Marian Niestedt, Partner bei Graf von Westphalen

"Man muss bei uns keinen Urlaub­s­an­trag stellen"

von Christian DülpersLesedauer: 7 Minuten

Marian Niestedt ist Partner im Bereich Außenhandel bei Graf von Westphalen. Im Interview erklärt er, wie Mitarbeiter die Kanzleikultur ändern, zeigt die Karriereperspektiven auf und erklärt, wie Donald Trump seine Arbeit beeinflusst.

LTO: Herr Niestedt, wie war Ihr Weg in die Partnerschaft bei Graf von Westphalen (GvW)?

Marian Niestedt: Ich habe 2001 bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Berlin im Bereich Zoll & Außenhandel angefangen. 2009 bin ich zu GvW nach Hamburg gewechselt, zunächst als Salary Partner. Im folgenden Jahr wurde ich dann Equity Partner. 

Was waren die Gründe zu GvW zu gehen?

Für den Wechsel gab es im Wesentlichen zwei Gründe: Das "Window of Opportunity" und die Perspektive. Der Bereich Zoll & Außenhandel ist eine relativ kleine Community. Lothar Harings, damals wie heute Partner bei GvW, hat mich seinerzeit gefragt, ob ich jemanden kennen würde, der bei Graf von Westphalen als Berufseinsteiger anfangen könne. So kamen wir ins Gespräch. 
Gleichzeitig stellte sich in meiner alten Kanzlei für mich die Frage, ob bzw. wie der Bereich weitergeführt wird, wenn der damalige Partner in den Ruhestand geht. Das schien mir keine echte Perspektive zu sein. Weil ich in dem Bereich bleiben wollte und ich die Menschen bei GvW kannte, habe ich die Gelegenheit genutzt. Auch von der Größe her war mir GvW sympathisch. 

Wie haben Sie die Kanzlei damals erlebt?

Von der Kultur war ich positiv überrascht. GvW hatte früher einen eher konservativen Ruf. Das hatte vielleicht auch mit dem Namen zu tun. Ich habe aber festgestellt, dass es eine sehr offene Kanzleikultur gab. Dieser Eindruck hat sich seither noch verstärkt. Die Trennung von Friedrich Graf von Westphalen im Jahr 2010 hat insgesamt zu einer Verjüngung geführt. Wir haben viele eigene Associates zu Partnern gemacht, aber auch junge Leute von außen dazu geholt.

"Junge Anwälte sind heute bewusster und stoßen Themen an"

Wenn man Videos auf Ihrer Karriereseite anschaut, sieht man ein GvW-Team beim Tough Mudder, man sieht Lastenfahrräder mit GvW-Label vor Ihrem Standort in Hamburg. Das erwartet man nicht zwingend von einer Wirtschaftskanzlei und hätte es vor zehn Jahren sicher nicht gefunden. Wieso haben Sie solche Angebote entwickelt?

Zum einen ändert sich die Gesellschaft als solche. Zum anderen ist die Offenheit innerhalb der Partnerschaft größer geworden. Wenn Vorschläge von Mitarbeitern, von Referendaren oder vom Marketing kommen, hat man das früher möglicherweise zunächst eher skeptisch gesehen. Heute ist schneller ein Commitment da, egal ob das Jobfahrräder sind oder das Thema Corporate Social Responsibility, das wir gerade verstärkt angehen. Im Bereich Personal haben wir jüngst eine Umfrage zum Thema Gesundheit gemacht: Was ist dort gewünscht? Solche Angebote werden wichtiger, das merken wir auch bei Berufseinsteigern. Gehalt ist nicht alles.

Sind aus der Initiative im Bereich Corporate Social Responsibility schon konkrete Projekte entstanden?

Die Initiative ist gerade angestoßen, wir verschaffen uns derzeit einen Überblick über den Status quo. Aber es gibt die feste Absicht, Projekte daraus zu machen. Wir finden soziales Engagement in der Sache gut und wichtig, auch weil es für unsere Mitarbeiter wichtig ist. Man sieht das auch an Bewerbungen, in denen zunehmend soziales Engagement wie die Refugee Law Clinic genannt wird. Das finde ich prima. Junge Leute sind entgegen dem, was oft behauptet wird, sehr engagiert. 

Die jungen Anwälte sind heute offener und bewusster und stoßen eher von sich aus Themen an. Ich hätte mich damals bei Freshfields kaum getraut zu sagen: Jetzt müssen wir ein bisschen nachhaltiger werden.

Ist die Ursache das Mindset der Generation oder hat das auch mit der Kultur bei Ihnen zu tun? Holen Sie sich proaktiv Feedback ab und haben sie das institutionalisiert?

Das bedingt sich gegenseitig. Wenn man etwas anstößt, erwartet man Feedback. Partner und Associate führen am Jahresanfang ein gemeinsames Gespräch im Zusammenhang mit der Umsatzplanung. Dabei schauen sie gemeinsam: Was planen wir im kommenden Jahr? Gibt es etwa ein spannendes Projekt, das man anstoßen will? 

Die technischen Möglichkeiten helfen uns natürlich. Man kann heutzutage zum Beispiel sehr schnell eine Mitarbeiterumfrage durchführen. So können wir bei der schon angesprochenen Gesundheitsinitiative vorab feststellen, ob eine Kooperation mit einem Fitnessanbieter sinnvoll ist oder ob alle schon ihr Fitnessstudio haben.

Mehr Infos: Arbeitgeberprofil von Graf von Westphalen

"Wer bei uns anfängt, arbeitet schnell eigenständig"

Jetzt haben Sie schon einiges genannt, was junge Juristen neben dem Gehalt bei Ihnen erwartet.  Haben Sie weitere Angebote?

Wichtig sind auch die Karriereperspektiven. Bei uns ist es realistisch, dass unsere Eigengewächse assoziierte Partner und schließlich Equity Partner werden. Für Mitarbeiter mit einer anderen Lebensplanung gibt es bei uns den Counsel Status. 

Wer bei uns anfängt, arbeitet schnell eigenständig und hat direkten Mandantenkontakt. Bei uns ist die Leverage je nach Dezernat in der Regel etwa bei 1:1 bis 1:2. Wenn der Partner mal nicht da ist, muss deshalb der Associate zum Telefonhörer greifen.

Was ich bei uns besonders schätze, ist die Möglichkeit mitzugestalten. Wenn zum Beispiel jemand bei einem Länderdesk mitmachen oder aufgrund besonderer Sprachkenntnisse einen neuen Länderdesk gründen möchte, machen wir das in der Regel möglich. Gleiches gilt für andere Ideen, zum Beispiel haben Associates ein Seminar für Vernehmungstechniken als Teil der Referendarsausbildung aufgebaut und selbst für die Referendare eine Arbeitsgemeinschaft zu Aktenvorträgen ins Leben gerufen. Das gilt auch für Partner, wenn diese einen neuen Bereich beackern wollen. 

Was viele Partner bei uns anfangs nicht verstanden haben, ist unsere Urlaubregelung. Wir nennen das Vertrauensurlaub. Im Vertrag stehen 27 Tage Urlaub, aber man muss bei uns keinen Urlaubsantrag stellen. In Absprache mit dem zuständigen Partner ist es jederzeit möglich, Urlaub zu nehmen und so auch Stunden auszugleichen. Wir wollen weg von der Verwaltung und - ganz wichtig - wir wollen, dass die Associates unternehmerisch arbeiten. Wir Partner stellen ja auch keine Urlaubsanträge. 

Führt das nicht dazu, dass die Leute weniger Urlaub nehmen, weil interner Druck da ist? 

Das ist immer der erste Einwand, der kommt. Wir achten darauf und appellieren, dass die Associates ihren Urlaub nehmen. Und die sind selbstbewusst genug, den auch einzufordern. Bislang gab es auch nur positive Rückmeldungen. 

50% Ihrer Associates sind weiblich aber nur 10% Ihrer Partner. Das ist sicher kein optimales Verhältnis. Was machen Sie dagegen?

Das ist ein Problem, das uns als Sozietät und mich persönlich umtreibt und mit dem ganz viele Kanzleien zu tun haben. Ein Patentrezept scheint niemand zu haben. Wir arbeiten an flexiblen Arbeitszeitmodellen, wir haben eine Teilzeitregelung und wir erlauben mehr mobiles Arbeiten. Es gibt auch die Überlegung, ein Mentorenmodell einzuführen. Die Kultur im Bereich Diversity ist bei uns bereits eine andere geworden. Wenn Themen angestoßen werden, ist die Geschäftsführung sehr offen.  

Vielleicht wird es in der Partnerschaft irgendwann die Diskussion geben, ob Quoten etwas bringen. Es gibt ja bereits Meldungen von ersten Kanzleien, die gewisse Quotenregelungen vorsehen. Da wäre ich persönlich allerdings noch zurückhaltend und hoffe, dass es sich in den nächsten Jahren verbessert. Denn die ganzen Maßnahmen, die wir und auch andere Sozietäten treffen, brauchen einfach Zeit. 

"Wenn Trump Sanktionen erlässt, schlägt das Thema am nächsten Tag bei uns auf"

Ihr Fachbereich Zoll & Außenhandel steht in der Regel nicht so sehr im Fokus. Wie sind Sie dort gelandet? 

Ich hatte im Studium den Schwerpunkt Europa- und Völkerrecht. Damit geht man entweder zur Europäischen Kommission, zum Auswärtigen Amt oder, wenn man im anwaltlichen Bereich tätig sein will, häufig ins Kartellrecht oder Beihilfenrecht. Wenn man auf diese beiden Bereiche weniger Lust hat, dann bietet das Außenhandelsrecht eine gute Alternative. Im Referendariat wollte ich Stationen in diesem Bereich machen und bin seinerzeit bei Freshfields hängen geblieben. 

Was erwartet junge Juristen in Ihrem Fachbereich?

Wir sind auf Kanzleien-Ebene die größte Einheit in Deutschland, das ist schon mal etwas Besonderes. Im Außenhandel arbeitet man am Puls der Zeit. Wenn U.S.-Präsident Trump Sanktionen erlässt, schlägt das Thema am nächsten Tag bei uns auf. So traurig es manchmal sein mag, solche Entwicklungen sind für uns spannend.

Insgesamt haben wir eine gute inhaltliche Mischung. Zum Beispiel gehört auch Forensik zu unserer Tätigkeit, wenn auch nicht jede Woche. Wir führen Gerichtsverfahren beim Finanzgericht oder bei der Verwaltungsgerichtbarkeit und, sicher als ein Highlight im Berufsleben, Verfahren beim EuGH. Dort durfte ich selbst bereits mehrfach plädieren. 

Wir sind sehr international aufgestellt, vergleichbar vielleicht noch mit dem Bereich M&A. Wir kommunizieren zu etwa 40% auf Englisch. Die Publikations- und Seminartätigkeit ist bei uns ebenfalls vergleichsweise hoch. Ich selbst gebe Kommentare mit heraus, an denen auch Associates beteiligt sind - natürlich unter ihrem Namen. Wissenschaftliches Interesse lässt sich also bei uns ebenfalls ausleben. 

Außer den völker- oder europarechtlichen Kenntnissen, sollte ein Bewerber bei Ihnen weitere Kenntnisse oder Fähigkeiten mitbringen?

Sprachen sind sehr wichtig, gerne ausgewiesen durch einen internationalen LL.M. oder andere Auslandserfahrung. Eine Promotion ist nicht zwingend, aber es ist sicher hilfreich, wenn jemand Veröffentlichungen aufzuweisen hat. 

Ist ein steuerrechtlicher Anteil dabei?

Zollrecht hat enge Bezüge zum Steuerrecht, wir sehen uns aber eher als Europarechtler. Wir beschäftigen uns auch mit Verbrauchsteuern und grenzüberschreitender Einfuhrumsatzsteuer. Das hat aber nichts mit dem Steuerrecht zu tun, das man im Studium lernt.  

Wie sieht es aus mit Reisetätigkeit? Ist man viel unterwegs?

Ja schon, gerade auf Partnerebene. Wir sind deutschlandweit unterwegs, oft auch aus Akquisegründen. Das hat sich während der Corona-Pandemie geändert und wird sich wahrscheinlich durch die Erfahrung während Corona auch insgesamt reduzieren. Ich denke, wir werden auch künftig mehr per Video kommunizieren als in der Vergangenheit.

Stehen auch Auslandsreisen an?

Wir haben viele Mandanten in den USA, aber können natürlich nicht für jede Besprechung nach Nordamerika fliegen. Kontakte versucht man zu bündeln und reist vielleicht einmal im Jahr für längere Zeit dorthin. Selbst dann ist es aufgrund der Entfernungen kaum möglich, alle Mandanten zu besuchen. Der eine sitzt in Minnesota, der andere in Alabama - das kann man gar nicht leisten. Eher besucht man Partnerkanzleien bzw. befreundete Kanzleien in Washington oder New York. In Rest-Europa sind wir weniger unterwegs als in den USA, auch insoweit arbeiten wir aber viel mit lokalen, häufig spezialisierten, Partnerkanzleien zusammen.

Mehr Infos: Arbeitgeberprofil von Graf von Westphalen

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