Nachwuchswissenschaftler des Jahres 2020

Der erste Jurist

von Dr. Franziska KringLesedauer: 5 Minuten

Seit 2007 vergibt das Online-Karriereportal academics seinen Nachwuchspreis. Jetzt bekam zum ersten Mal ein Jurist diese Ehre: Hanjo Hamann, der in Bonn forscht, in Berlin habilitiert und zwei Doktortitel hat.

Dr. Dr. Hanjo Hamann darf sich offiziell Nachwuchswissenschaftler des Jahres 2020 nennen. Seit dem Jahre 2007 zeichnet "academics", das größte Online-Karriereportal für Wissenschaft und Forschung, jährlich eine Person für ihre herausragenden Forschungsleistungen aus. Academics ist im Jahre 2005 vom Zeitverlag und dem Deutschen Hochschulverband (DHV) gegründet worden.

Am 31. Mai 2021 fand die "Gala der Wissenschaft" des DHV statt, in deren Rahmen der Preis zusammen mit anderen Auszeichnungen verliehen wird. 

Corona-bedingt gab es dieses Jahr keine große Gala in Berlin, sondern eine Online-Veranstaltung – gefeiert wurde trotzdem. Neben dem Nachwuchswissenschaftler des Jahres zeichnete der DHV unter anderem auch die "Hochschullehrer des Jahres" aus. Der Preis ging dieses Jahr zum ersten Mal an zwei Personen, Professor Dr. Christian Drosten und Professorin Dr. Sandra Ciesek. Beide wurden für ihren NDR-Podcast "Coronavirus Update" und ihre Information über neue Forschungserkenntnisse zum Coronavirus ausgezeichnet. 

Dass der Nachwuchswissenschaftler des Jahres auch im Rahmen der großen Gala ausgezeichnet wird, sei eine bewusste Entscheidung, so Dr. Miriam Stehling, promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Senior Marketing Managerin bei academics. Sie betreut den Preis seit drei Jahren. Es sei zwar ein Nachwuchspreis, dieser solle aber genauso gewürdigt werden wie andere, etabliertere Preise. 

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Aus 50 mach 10 

Der Preis wird fachübergreifend vergeben und ist nicht auf bestimmte Disziplinen beschränkt. Es kommt nicht nur auf die fachliche Expertise an, sondern auch auf das sonstige Engagement innerhalb und außerhalb der Wissenschaft. Viele bisherige Preisträgerinnen und Preisträger engagieren sich etwa als Sprecherin oder Sprecher ihrer Fachgruppe oder in der Geflüchtetenhilfe. 

Die Vorauswahl aus bis zu 50 promovierten Kandidat:innen trifft Stehling bei academics gemeinsam mit einem Kollegen. Die Altersgrenze für die Bewerbung liegt bei 35 Jahren, denn der Preis ehrt speziell den wissenschaftlichen Nachwuchs für besondere Leistungen im jungen Alter. Anhand verschiedener objektiver Kriterien wählen sie die zehn Besten aus und leiten ihre Vorschläge an eine Jury weiter. Die Forschungsleistung bewerten sie mithilfe klassischer wissenschaftlicher Kriterien, die auch bei der Vergabe einer Professur relevant sind, zum Beispiel die Anzahl der Publikationen, die Lehrerfahrung und etwaige Stationen im Ausland.  

Dabei achtet Stehling auch auf Diversität, sowohl im Hinblick auf die Fachbereiche als auch auf die Geschlechter. Das komme aber angesichts der vielen hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer gut hin, sagt sie. 

Selbst bewerben können sich die Kandidatinnen und Kandidaten nicht, sie müssen vorgeschlagen werden. Das macht in der Regel ihr wissenschaftlicher Mentor. In einem Empfehlungsschreiben muss er auch die Leistungen seines Schützlings in dem jeweiligen Fach einordnen. Auf diese Expertise verlassen sich dann die Mitglieder des academics-Auswahlkomitees und die Jury. Wichtig ist, dass jemand aus einer anderen Disziplin die Forschung begreifen kann. 

Fünf Professorinnen und Professoren haben die Qual der Wahl 

Auf dem Schreibtisch der fünf Jurymitgliederinnen und -mitglieder landet eine Liste mit den zehn Besten. Der Jury gehören fünf renommierte Professorinnen und Professoren aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen an. Jedes Jury-Mitglied nominiert seine ersten drei Plätze.  

Bei der Auswahl achten sie wiederum auf die wissenschaftliche Exzellenz, die Bedeutung der Forschung für das jeweilige Fach und das ehrenamtliche Engagement außerhalb der Wissenschaft. Je nach Platzierung bekommen die Kandidatinnen und Kandidaten unterschiedlich viele Punkte. Am Ende entscheidet die Gesamtpunktzahl.  

Die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger kamen vor allem aus dem naturwissenschaftlichen Bereich oder aus den Disziplinen Medizin, Informatik oder Robotik. Wichtig für die Jury sind immer innovative Forschungsansätze – und der Mut, das eigene Fach voranzubringen. 

Früher bewunderte Hamann noch die Preisträger 

Mut hatte nach Meinung der Jury auch Hanjo Hamann. Er arbeitet interdisziplinär und versucht, die Rechtswissenschaft mit empirischen Forschungsmethoden zu verbinden. Dieses Interesse ist nicht nur theoretischer Natur: Hamann hat gleich zwei Doktortitel. Nach seiner juristischen Doktorarbeit und während seines Referendariats hat er noch im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich zu Fragen der Verhaltensökonomik promoviert. Erst kürzlich hat Hamann zudem eine Studie über die Anzahl veröffentlichter Gerichtsentscheidungen herausgegeben – mit einem drastischen Ergebnis: In Deutschland werden weniger als ein Prozent aller ergangenen Urteile auch veröffentlicht. 

Er ist erste Jurist, der ganz oben auf dem Treppchen steht – auch wenn es mit Prof. Dr. Felix Ekardt im Jahre 2007 und Jan Lieder im Jahre 2013 immerhin zwei Juristen in die Top-3 geschafft haben. 

Hamann sagt, diese Auszeichnung sei etwas ganz Besonderes für ihn gewesen: "Ich erinnere mich, schon als Doktorand hin und wieder die neuen Preisträger gesehen zu haben. Wahnsinnig beeindruckende Menschen wie Ingo Barth und Walid Maleej, zu denen ich damals aufblickte." Dass er selbst einmal dazugehören würde, hätte er damals nicht gedacht. 

Studierende dürften den promovierten Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler auch wegen seiner Eselsbrücken kennen. Auf seiner Homepage "Esel brück' Dich" sammelt er Merkhilfen für das juristische Studium. Angefangen habe alles mit "SenfpaTe", einer Eselsbrücke für die Merkmale des Gewerbebegriffs. "Ich habe leider ein ziemlich schlechtes Gedächtnis", so Hamann. Deshalb sei er auf die sogenannte Mnemotechnik gestoßen, die Merkhilfen in Form von Sätzen, Reimen oder Schemata entwickelt. Zum Thema "Gedächtniskunst in der Rechtsdidaktik" verfasste er auch Beiträge für Fachzeitschriften. 

Jura und Sprachwissenschaften – wie passt das zusammen? 

Ohnehin forscht er am Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn und als externer Habilitand an der Freien Universität Berlin viel zu den Verbindungen zwischen den Rechtswissenschaften und anderen Disziplinen.  

Gerade auch die Sprachwissenschaften seien von großer Bedeutung. "Grammatikalische Auslegung, unbestimmte Rechtsbegriffe, Gesetzesbindung – alles juristische Phänomene, die sich ohne sprachwissenschaftliche Orientierung kaum durchdringen lassen", sagt Hamann.  

Sein Ziel sei es, die Rechtswissenschaft für Methoden der Nachbardisziplinen anschlussfähig zu machen. In letzter Zeit habe er sich auch vermehrt digitalen Geisteswissenschaften wie der sogenannten Korpuslinguistik gewidmet, einer Wissenschaft, die sich mit der Erstellung und Auswertung von Textsammlungen beschäftigt. Diese sei für Jurist:innen leicht zugänglich, weil sie ebenfalls interpretativ mit Texten arbeitet. 

Empirische Methoden in der Rechtswissenschaft 

Schwerpunktmäßig forscht und lehrt er aber im Vertrags- und Gesellschaftsrecht unter Berücksichtigung empirischer Forschungsmethoden. Hamann nimmt so oft wie möglich externe Lehraufträge wahr, bisher unter anderem an den Universitäten Bonn, Chengdu (China), Gießen und Berlin. 

Er sagt, als Jurist stoße man immer wieder auf Annahmen über menschliches Verhalten, die auch für die Auslegung von Vorschriften relevant seien.  Als Beispiel nennt er die für Aufsichtsräte vorgeschriebene Organkollektivität nach § 108 Abs. 1 Aktiengesetz, also die Entscheidung des Aufsichtsrates durch Beschluss als Kollektivorgan.  

Er habe sich die Frage gestellt, ob dieser Grundsatz zu besseren Entscheidungen führe. Aber was heißt denn eigentlich "besser"? Seine Erfahrung und auch die anderer Juristinnen und Juristen zeige: "Wer sich mit solchen Fragen beschäftigt, landet zwangsläufig in der empirischen Verhaltensforschung." 

Zukunftsweisend und modern 

Sein interdisziplinärer Ansatz hat schließlich auch die Jury überzeugt: "Das Faszinierende an Hanjo Hamann ist, dass er ein ausgezeichneter Jurist und zugleich exzellenter Sprachwissenschaftler ist. Wie er diese beiden unterschiedlichen Disziplinen verbindet und dadurch zu neuen Erkenntnissen gelangt, hat die Jury überzeugt”, erklärt Rainer Esser, Geschäftsführer der Zeit Verlagsgruppe. Hamann ziehe die Rechtswissenschaft zukunftsweisend und modern auf. Das sei genau das Richtige zu dieser Zeit, sagt Miriam Stehling. Trotz vieler Bewerbungen aus dem medizinischen Bereich habe der Jurist sich durchgesetzt. 

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