Überstunden: Wenn die Arbeitszeit das Privatleben erobert

"Das muss heute noch fertig werden!"

von Marijke van der MostLesedauer: 5 Minuten

Die Mehrzahl aller Beschäftigten leistet regelmäßig Überstunden. Interessenkonflikte sind programmiert, wenn die Arbeitszeit das Privatleben erobert. Wie weit der Arbeitgeber gehen darf, erklärt Marijke van der Most.

Die Anordnung von Überstunden erfolgt selten mit einer ausdrücklichen und unmissverständlichen Weisung wie "Sie arbeiten heute länger!". Auch in Kanzleien heißt es eher: "Es wäre nett, wenn Sie das heute noch fertig stellen könnten." Der Arbeitnehmer hatte andere Pläne, grummelt - und erledigt die Arbeit.

Faktisch liegt hier bereits die Anordnung von Überstunden vor, egal wie der Arbeitgeber dies bezeichnet. Eine derartige Anordnung ist nämlich bereits dann schon gegeben, wenn der Arbeitgeber eine Aufgabe zuweist, die der Mitarbeiter unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit nicht innerhalb der regulären Arbeitszeit bewältigen kann. Damit gilt dann auch für Anweisungen wie "Das muss heute noch fertig werden!" das Arbeitsrecht – und damit müssen bestimmte rechtliche Grundvoraussetzungen eingehalten werden.

Dazu gehört, dass die Anordnung von Überstunden zunächst einer Rechtsgrundlage bedarf, da sich der Arbeitnehmer grundsätzlich nur zur Leistung einer bestimmten, festen Arbeitszeit verpflichtet hat. Oft verpflichtet jedoch bereits der Arbeitsvertrag den Arbeitnehmer, auch darüber hinaus zu arbeiten. Ferner kann auch eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat oder ein anwendbarer Tarifvertrag dem Arbeitgeber erlauben, von Arbeitnehmern mehr als die jeweils vereinbarte Arbeitszeit zu fordern.

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Engpässe sind keine Notfälle

Nur im äußersten Notfall bedarf es einer solchen expliziten Rechtsgrundlage nicht. Dazu muss es im Betrieb jedoch wirklich brennen oder einem das Wasser fast bis zum Hals stehen – und zwar nicht nur metaphorisch. Ein kurzfristig eingehender Großauftrag oder Personalengpässe aufgrund von Urlaub und Krankheit fallen hierunter grundsätzlich nicht.

Existiert ein Betriebsrat, hat dieser bei einem kollektiven Bezug nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)mitzubestimmen, ob, in welchem Umfang und durch welche Arbeitnehmer Überstunden zu leisten sind. Dabei ist der generelle Umgang mit Überstunden oft Gegenstand einer Betriebsvereinbarung, welche zum Beispiel die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers auf bestimmte Fälle eingrenzen oder ein festes Prozedere vorgeben kann. Harte Grenzen setzt ferner das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) mit der Vorgabe in § 3 ArbZG, dass täglich nicht länger als zehn Stunden gearbeitet werden darf.

Verlangt der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden entgegen dieser essentiellen Grundbedingungen, ist seine Weisung offensichtlich nicht rechtens und muss vom Arbeitnehmer nicht befolgt werden - so sehen es die Senate des Bundesarbeitsgerichts (BAG) inzwischen einheitlich (BAG 14.09.2017, Az. 5 AS 7/17).

Graubereiche der Einzelfallabwägung

Die individuelle Anordnung von Überstunden als Weisung des Arbeitgebers muss nach billigem Ermessen erfolgen, so verlangt es § 106 Gewerbeordnung (GewO). Das bedeutet, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abzuwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen hat. Seitens des Arbeitnehmers können hier insbesondere familiäre Belange einfließen, welche nach Art. 6 Grundgesetz (GG) besonders schutzwürdig sind. Aber auch besondere Freizeitaktivitäten, die Ausübung von Ehrenämtern ebenso wie gesundheitliche Aspekte können vom Arbeitgeber eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern. Die Gewichtung muss jedoch nicht immer gleich sein, privater Termin ist nicht gleich privater Termin. Doch wie stark hat der Arbeitgeber es beispielsweise in seine Abwägung einfließen zu lassen, wenn der Arbeitnehmer etwas für seine Gesundheit tun möchte? Kann es einen Unterschied machen, ob der Mitarbeiter zum Physiotherapeuten, zu einem "Rücken Fit" oder "Bauch-Beine-Po"-Kurs gehen will?

Umgekehrt fließen auf Seiten des Arbeitgebers neben dem Anlass für die Überstunden auch Aspekte wie deren voraussichtliche Dauer und die Berücksichtigung einer angemessenen Ankündigungsfrist mit ein. Damit lässt sich folgende Grundaussage treffen: Je früher der Arbeitgeber einen nur geringen Umfang von Überstunden fordert, umso eher können damit private Belange aufgewogen werden. Unbillig dürfte es daher stets sein, Überstunden am selben Tag zu fordern, wenn der Arbeitnehmer sein Kind betreuen muss. Aber auch bei sonstigen privaten Terminen wie Arztbesuchen, Sport oder dem Treffen von Freunden gilt: Eine Ankündigungsfrist von zwei bis vier Tagen ist Arbeitgebern in der Regel zumutbar.

Auch bei der Auswahl desjenigen, der die Überstunden leisten soll, sind diese Grundsätze zu beachten. Dabei ist der Arbeitgeber gehalten, eine ausgewogene Beanspruchung und Verteilung zwischen den Mitarbeitern zu schaffen. Auch Teilzeitbeschäftigte sind hiervon nicht ausgenommen.

Was tun, wenn es hart auf hart kommt?

Nach der neueren Rechtsauffassung des BAG sind Arbeitnehmer nicht (mehr) verpflichtet, unbillige Weisungen ihres Arbeitgebers zu befolgen. Entsprechend können wirksame rechtliche Konsequenzen wie eine Abmahnung oder gar Kündigung dann nicht drohen, wenn der Arbeitnehmer die Leistung unbillig angeordneter Überstunden verweigert.

Der eigentliche Konflikt ist damit jedoch nicht gelöst. Zunächst ergibt sich die Rechtsfrage, ob eine Überstundenanordnung tatsächlich unbillig war oder nicht. Eindeutig wird sich dies nur selten beantworten lassen. Ergibt dann eine rechtliche Überprüfung, dass die Weisung billig war, kann der Arbeitgeber auf deren Verweigerung sehr wohl arbeitsrechtliche Konsequenzen stützen. Das Risiko liegt also beim Arbeitnehmer.

Fast noch größer ist das Konfliktfeld jedoch auf der tatsächlichen Ebene. Ein klares "Nein" oder eine Diskussion über die Rechtslage wird kaum ein Arbeitgeber gerne sehen. Zudem geht die Weigerung dann oft zu Lasten von unmittelbaren Kollegen, die stattdessen einspringen müssen. Der Betriebsfrieden leidet.

Lösungen eher praktischer Natur

Lösungsansätze sollten sich daher im präventiven Bereich finden lassen. Kaum ein Chef wird es provozieren, dass das Kind alleine vor der Schule stehen gelassen wird oder der Arbeitnehmer nicht zu seiner Geburtstagsfeier erscheinen kann. Eine klare Kommunikation ist daher unerlässlich. Dies betrifft auch sonstige Freizeittermine. Der Sportkurs am Montag, der Klavierunterricht am Donnerstag – was der Arbeitgeber nicht weiß, kann er auch nicht berücksichtigen. Hilfreich ist hier beispielsweise das für den Arbeitgeber erkennbare Blocken privater Termine im betrieblichen Kalender.

Gleichzeitig unterstützt der Aufbau eines Sicherheitsnetzes im privaten wie im betrieblichen Bereich. Kollegiale Vertretungsregelungen oder die Etablierung von Vertretungstandems schaffen es, einen gerechten Ausgleich auch unter Kollegen herzustellen.

Aufgelockert werden kann die Konfliktsituation in einigen Fällen auch durch mobiles Arbeiten, wenn eine zeitliche und örtliche Flexibilität besteht. Der Ausnahmecharakter von Überstunden sollte hierunter jedoch nicht leiden. Es bleibt jedoch die Feststellung: Der Spagat zwischen betrieblichen und privaten Notwendigkeiten bleibt eine Herausforderung – für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer.

Die Autorin Marijke van der Most ist Rechtsanwältin bei Noerr LLP in Frankfurt. Sie berät Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

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