Berufsstatus des Syndikus

Schon die freie Rechtsberatung macht den Anwalt

von Martin W. HuffLesedauer: 6 Minuten
Immer mehr Rechtsanwälte arbeiten nicht in einer Kanzlei, sondern zum Beispiel in Unternehmen oder Verbänden. Der BGH geht dabei davon aus, dass die Betreffenden keine anwaltliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne ausüben – und hat dafür heftige Kritik der Berufsverbände geerntet. Sie wollen eine Gleichstellung nun über gesetzliche Änderungen erreichen. Von Martin W. Huff.

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Allein im Jahr 2011 haben 26,2 Prozent der bei der Rechtsanwaltskammer Köln neu aufgenommenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einen Arbeitsvertrag mit einem "nichtanwaltlichen" Arbeitgeber vorgelegt. Sie arbeiten als Anwälte nicht nur in eigener Praxis, sondern sind in Rechtsabteilungen von Unternehmen etwa mit Compliance oder Steuerrechtsfragen beschäftigt, regulieren komplizierte und juristisch anspruchsvolle Schäden bei Versicherungen oder geben Rechtsrat für Verbände und Vereine. Diese oft als "Syndikusanwälte" bezeichnete Berufsgruppe bildet also einen großen Teil der deutschen Anwaltschaft. Alte Schätzungen, wonach nur fünf bis zehn Prozent der Anwälte in einem Unternehmen oder Verband arbeiten, dürfen nach den Kölner Zahlen überholt sein. Vielmehr scheint die Zahl insgesamt heute wohl eher bei 20 Prozent zu liegen, in den Ballungsgebieten mit vielen Unternehmen eher noch höher.

BGH: Nur "juristische", keine "anwaltliche Tätigkeit"

Doch ist die Tätigkeit im Unternehmen wirklich eine anwaltliche Tätigkeit – oder ist es, wie es früher immer hieß, eine Nebentätigkeit neben dem Anwaltsberuf und damit gerade nicht anwaltlich? Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom September 2010 (Rs. C-550/07 - Akzo-Nobel-Verfahren) und einem Beschluss des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 7. Februar 2011 (AnwZ [B] 20/10) ist die Diskussion um die Rechtsstellung der Syndikusanwälte wieder voll entbrannt. Beide Gerichte hatten Bedenken angemeldet, ob ein Anwalt, der in einem Beschäftigungsverhältnis steht, wirklich auch anwaltlich tätig ist. Weil er im Ergebnis nicht so unabhängig wie ein freier Rechtsanwalt sei, könne seine Arbeit nur als "juristisch" gewertet werden. Das Problem stellt sich zum Beispiel dann, wenn bei Unternehmensanwälten Unterlagen aus der "anwaltlichen Tätigkeit" beschlagnahmt werden sollen oder es um ein mögliches Zeugnisverweigerungsrecht geht. Aber auch für die Frage, ob ein Syndikusanwalt mit den Fällen für seinen Arbeitgeber eine Fachanwaltsbezeichnung erwerben kann, ist noch nicht endgültig geklärt. Denn führt er bei seinem Arbeitgeber "Fälle" eigenverantwortlich? Was man unter einer "anwaltlichen Tätigkeit" versteht, ist nicht zuletzt für die Frage bedeutsam, ob Anwälte für ihre Tätigkeit im Unternehmen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung oder in die anwaltlichen Versorgungswerke abführen müssen.

Syndikus wird in der Rechtsanwaltsordnung nicht definiert

Schon auf dem Anwaltstag 2011 in Straßburg hatte der Präsident des Deutschen Anwaltvereins Wolfgang Ewer klargestellt, dass Anwälte in Unternehmen genau die gleichen Rechte und Pflichten hätten wie ihre angestellten Kollegen in Kanzleien. Und auf einer Veranstaltung in Berlin Ende Januar 2012 unterstrich nun der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Axel Filges, dass aufgrund der Diskussionen über eine gesetzliche Klarstellung nachgedacht werden müsse. So findet sich In der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) keine Definition des Syndikusanwalts. In § 46 BRAO wird nur – wie selbstverständlich – davon ausgegangen, dass Rechtsanwälte in "die aus eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis dem Auftraggeber ihre Arbeitszeit und –kraft zur Verfügung stellen müssen" für ihren Auftraggeber nicht vor Gerichten oder Schiedsgerichten in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden dürfen. Das bedeutet, dass etwa bei einem Verfahren vor einem Landgericht mit Anwaltszwang der Syndikusanwalt nicht den Arbeitgeber vertreten darf. Dies gilt aber nicht nur für Syndikusanwälte, sondern nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes genauso für angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien, wenn es etwa um eine Honorarklage gegen einen Mandanten geht. Damit steht aber auch fest, dass es eine anwaltliche Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber gibt. Diesen Umstand betonte zuletzt Professor Hanns Prütting von der Universität zu Köln, zugleich Direktor des Instituts für Anwaltsrecht und einer der anerkannten Kommentatoren des anwaltlichen Berufsrechts, bei einem Vortrag in Bonn. Prütting weist auch darauf hin, dass sich entgegen der Auffassung des BGH, das Bundesverfassungsgericht noch nicht mit dem Problem befasst hat. So sei es in einer Entscheidung der der höchsten deutschen Richter aus dem Jahr 1992 nur um die Frage gegangen, ob ein Volljurist zur Anwaltschaft zugelassen werden kann, der etwa als Universitätsassistent oder als Angestellter in einem nichtjuristischen Bereich tätig ist. "Diese Entscheidung ist für das Problem der Syndikusanwälte nicht einschlägig", betont Prütting  auch in einem Aufsatz in der Zeitschrift "KammerForum" der Rechtsanwaltskammer Köln, der in diesen Tagen erscheint.

Auch angestellte Anwälte sind nicht so unabhängig wie die Freiberufler

Auch die Rechtsanwaltskammern prüfen bisher nicht, ob die Tätigkeit eines Anwalts bei einem Arbeitgeber eine anwaltliche Tätigkeit ist oder nicht. Für die Frage der Zulassung sind für sie zwei Punkte entscheidend: Ist die Tätigkeit vom Inhalt her mit dem Anwaltsberuf überhaupt vereinbar? Und: Hat der Rechtsanwalt immer die Möglichkeit, als Anwalt zu arbeiten und seinen Arbeitsplatz zu verlassen - unabhängig von der Frage, ob es sich um eine Wahrnehmung der anwaltlichen Tätigkeit für den Arbeitgeber handelt oder nicht? Für einen Rechtsanwalt ist es nach Ansicht der Kammern nämlich entscheidend, jederzeit als Anwalt für seine Mandanten tätig werden zu dürfen. Die Merkmale einer "anwaltlichen Tätigkeit" sind nun Dreh- und Angelpunkt der Diskussion. So vertritt etwa der Anwaltssenat des BGH die Auffassung, dass ein Anwalt im Unternehmen nie die gleiche anwaltliche Unabhängigkeit haben kann wie ein freiberuflich tätiger Kollege. Dem hält Professor Prütting entgegen, dass diese Unabhängigkeit auch der angestellte Rechtsanwalt in einer Kanzlei nicht hat. Er darf oft schon nicht einmal über die Annahme eines Mandats entscheiden, ist an Weisungen der Partner gebunden. Auch Anwälte, die Sozien sind, unterliegen den Weisungen des Mandanten, und können diesen nur folgen oder das Mandat niederlegen. Prütting sieht hier keine entscheidenden Unterschiede in der heutigen Ausprägung des Anwaltsberufs – ähnlich die 31. Kammer des Kölner Sozialgerichts, die mehreren Entscheidungen klargestellt hat, dass das Gesetz gerade die anwaltliche Tätigkeit im Unternehmen nicht verbietet (zuletzt Urteil vom 15.12.2011, Az.  S 31 R 865/10). Im Gespräch mit Unternehmensanwälten wird immer wieder deutlich, dass diese oft freier als angestellte Anwälte in Kanzleien sind. "Gegen unseren Rat, etwa im Hinblick auf Compliance-Fragen oder auf problematische Klauseln in Verträgen, entscheidet kaum einmal die Geschäftsführung", meint etwa der Anwalt eines Handelsunternehmens. Denn dann müssten sie die Verantwortung übernehmen und gegen den Rat des Syndikus handeln. Dies sei schon eine beträchtliche Hürde.

Steuerberater in Unternehmen werden bereits gleich behandelt

Was aber nun sind die inhaltlichen Merkmale für eine anwaltliche Tätigkeit? Im Wesentlichen geht es um die Rechtsberatung und Rechtsgestaltung, etwa wie ein Gesetz zu verstehen ist oder wie ein Vertrag vernünftig formuliert wird. Sie machen den Kern aus: Wer in diesen Bereichen weisungsunabhängig beraten und gestalten darf, ist klassisch anwaltlich tätig. Dies bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber oder Mandant dem Rat oder dem Vertragsentwurf folgen muss. Die Tätigkeit muss aber jedenfalls auch im Rahmen der Beschlagnahme- und Zeugnisverweigerungsrechten immer eine freie anwaltliche Tätigkeit bleiben und entsprechend geschützt werden. Ob – wie im Streit mit der Deutschen Rentenversicherung – zusätzlich die Merkmale Rechtsentscheidung und Rechtsvermittlung notwendig sind, muss die Anwaltschaft diskutieren. Denn nicht jeder angestellte Rechtsanwalt in einer Kanzlei kann ohne seinen Arbeitgeber oder die Weisung seines Mandanten frei über die Führung eines Prozesses entscheiden. Und nicht jeder hält Vorträge oder verfasst Veröffentlichungen. Die Überlegungen innerhalb der Anwaltschaft müssen jetzt dahin gehen, ob – eventuell im § 46 BRAO – eine gesetzliche Klarstellung nötig ist. Auf jeden Fall wäre es wünschenswert, wenn der BGH endlich die Syndikusanwälte anerkannt. Die Kollegen vom Münchener Bundesfinanzhof (BFH) haben da bei dem seit einiger Zeit gesetzlich vorgesehenen Syndikus-Steuerberater weniger Probleme. In ihrem Urteil vom 9. August 2011 stellen sie klar, dass der Steuerberater in einem Unternehmen ohne Zweifel dann auch steuerberatend tätig ist, wenn es sich um eine solche beratende Tätigkeit handelt (Az. VII R 2/11). Dabei will der BFH allerdings den Konflikt mit dem BGH vermeiden, indem er kurz und knapp meint, es gebe einen Unterschied zwischen Anwälten und Steuerberatern. Hier kann man sich, den Worten von Hanns Prütting, nur "verwundert die Augen reiben". Der Autor ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Er ist auch Sprecher des Ausschusses Syndikusanwälte im Kölner AnwaltVerein, dem größten örtlichen Anwaltsverein in Deutschland.

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