Verjährung von Regressansprüchen gegen Anwälte

Man­dant muss Fehler erkennen können

von Dr. Dirk MichelLesedauer: 4 Minuten
Mandanten müssen darauf vertrauen, dass ihr Anwalt weiß, was er tut. Beratungsfehler können sie nur schwer erkennen und erfahren davon eher zufällig. Der BGH hat daher zu Recht entschieden, dass die Verjährungsfrist für Regressansprüche eines Mandanten gegen seinen Anwalt erst läuft, wenn der Mandant einschätzen kann, dass sein Rechtsberater etwas falsch gemacht hat, meint Dirk Michel.

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Auch Rechtsanwälten unterläuft ab und an ein Fehler. Bei der Masse sich häufig ändernder Rechtsnormen sowie der Fülle gerichtlicher Entscheidungen, die ein Rechtsanwalt bei seiner Beratung zu berücksichtigen hat, ist das nicht verwunderlich. Eine falsche Beratung führt aber dazu, dass der Mandant eine falsche Entscheidung trifft. Er verzichtet etwa auf eine Klage oder nimmt diese zurück, obwohl sie gute Chancen vor Gericht gehabt hätte. Entsteht ihm dabei ein Vermögensschaden, haftet der Rechtsanwalt. Der Mandant kann dann beispielsweise den Betrag als Schadensersatz einfordern, den er bei ordnungsgemäßer Beratung hätte erfolgreich einklagen können.

Bisher waren die Oberlandesgerichte streng

Um Schadensersatz für einen Beratungsfehler ging es auch in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) (Urt. v. 06.02.2014, Az. IX ZR 217/12). Eine Mandantin hatte auf einen unrichtigen Rat ihres Rechtsanwalts hin im Dezember 2006 eine Revision zurückgenommen, obwohl diese Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Als die Mandantin den Rechtsanwalt im August 2010 auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens verklagte, berief sich der Rechtsanwalt auf Verjährung. Das Oberlandesgericht (OLG) Jena gab ihm Recht. Es nahm als Beginn der Verjährungsfrist den 31. Dezember 2006 an. Zu diesem Zeitpunkt seien der Mandantin alle den Schadensersatzanspruch auslösenden Umstände – eben der Ratschlag des Rechtsanwalts – bekannt gewesen. Karlsruhe war das zu früh. Typischerweise erkennt der unrichtig beratene Mandant den Fehler seines Rechtsanwalts nämlich nicht sofort. Häufig wird ihm erst geraume Zeit später – etwa durch die Beratung eines anderen Rechtsanwalts oder durch eine Veröffentlichung in der Presse – bewusst, dass er seinen Anspruch eigentlich hätte durchsetzen oder eine eigene Verpflichtung hätte verhindern können. Sind dann bereits mehr als drei Jahre seit der Beratung verstrichen, konnte der Mandant seinen Schadensersatzanspruch nach der bisherigen OLG-Rechtsprechung nicht mehr durchsetzen.

Wann weiß der Mandant von den anspruchsbegründenden Umständen?

Regressansprüche gegenüber einem Rechtsanwalt wegen eines Beratungsfehlers verjähren nach § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelmäßig nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Sie beginnt aber nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht zu laufen, bevor der Mandant von der Person des Schuldners und von den Umständen Kenntnis erlangt oder grob fahrlässig nicht erlangt hat, die den Anspruch begründen. Aber wann hat der Mandant diese Kenntnis? Verschiedene Oberlandesgerichte orientierten sich bisher an der grundsätzlichen Rechtsauffassung des BGH. Danach genügte allein die Kenntnis der den Schadensersatzanspruch auslösenden Umstände. Dies sei bereits mit der Kenntnis der fehlerhaften Beratung der Fall. Spätestens mit Ablauf des Jahres, in dem die anwaltliche Beratung endet, würde dann die Verjährungsfrist zu laufen beginnen. Der Anspruchsteller müsse den Fehler seines Anwalts nicht  aufgrund einer eigenen rechtlichen Würdigung erkennen können. Es sei denn, die Rechtslage ist unübersichtlich oder zweifelhaft und kann selbst von einem rechtskundigen Dritter nicht zuverlässig eingeschätzt werden.

Verbraucherfreundliche Lösung des BGH

In seinem aktuellen Urteil vertritt der BGH nun eine deutlich verbraucherfreundlichere Lösung. Der Mandant müsse einen Beratungsfehler seines Rechtsanwalts ableiten können. Vorher beginne die Verjährungsfrist nicht zu laufen. Entsprechend hat der IX. Senat in einem Urteil vom gleichen Tag (Az. IX ZR 245/12) sowie der III. Senat jüngst zur Haftung von Wirtschaftsprüfern (Urt. v. 24.04.2014, Az. III ZR 156/13) entschieden. Das überzeugt und entspricht auch der Beurteilung vergleichbarer Sachverhalte. So beginnt die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche gegen einen Arzt wegen eines Behandlungsfehlers nicht schon, wenn der Patient nur Kenntnis von dem (teilweisen) Misserfolg seiner Behandlung hat. Er muss auch Umstände kennen, aus denen sich eine Verletzung der ärztlichen Kunst ergibt. Die Karlsruher Richter berücksichtigen damit die typischerweise bestehende Informationsasymmetrie zwischen Rechtsanwalt und Mandant: Der Mandant kann den rechtlichen Sachverhalt selbst nicht beurteilen. Gerade deshalb sucht er ja anwaltlichen Rat. Die Qualität der Beratung kann der Mandant weder währenddessen noch anschließend abschätzen. Er muss darauf vertrauen, dass der Rechtsanwalt sein Bestes tut. Dieser Wissensvorsprung des Rechtsanwalts muss beim Beginn der Verjährungsfrist berücksichtigt werden. Erst, wenn der Mandant tatsächliche Anhaltspunkte für eine Falschberatung hat, kann er einen Regress bei seinem Rechtsanwalt in Betracht ziehen. Verbraucher müssen sich also erst dann Gedanken über mögliche Schadensersatzforderungen gegen ihren Rechtsanwalt machen, wenn sie Anhaltspunkte für eine Falschberatung haben. So ist ausgeschlossen, dass ein Anspruch verjährt, noch bevor sie überhaupt von einem möglichen Beratungsfehler Kenntnis erlangen. Die Entscheidung schafft Klarheit in einer seit der Schuldrechtsreform offenen Frage. Aber sie gilt nicht nur für Rechtsanwälte, sondern für alle Berufsträger, die einen strukturellen Wissensvorsprung gegenüber ihren Klienten haben: Ärzte, Architekten, Ingenieure, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer – und reicht damit weit über die Anwaltshaftung hinaus. Der Autor Dr. Dirk Michel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln und Geschäftsführer des dortigen Europäischen Zentrums für Freie Berufe. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das freiberufliche Berufsrecht, besonders jenes der Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.

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