BVerfG stoppt unkonventionellen Rechtsanwalt

Strenge Regeln für die Schockwerbung

von Alexander Cremer und Anne-Christine HerrLesedauer: 6 Minuten
Mit drastischen Motiven, bedruckt auf Kaffeetassen, wollte ein Anwalt zum gesellschaftspolitischen Diskurs anstoßen. Das BVerfG sah aber einen vorrangigen Zweck in der Aktion: Werbung für die Kanzlei. Dass die bei Rechtsanwälten strenger reguliert wird als bei Textilunternehmen, wird auch in Zukunft so bleiben. Damit erteilt das Gericht den Befürwortern progressiverer Anwaltswerbung eine Absage.

Nun ist sie da, die mit Spannung erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Doch ein Urteil haben die Richter nicht gefällt. Mit dem am Freitag veröffentlichtem Beschluss haben die Richter die Verfassungsbeschwerde eines Rechtsanwalts gegen das zuvor vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte Verbot anwaltlicher Schockwerbung nicht einmal zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 05.03.2015, Az. 1 BvR 3362/14). Rechtsanwälte seien als Organe der Rechtspflege und dürften demzufolge nur mit weniger provokativen Mitteln werben als es Firmen wie Benetton erlaubt sei. Das in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) geltende Sachlichkeitsgebot sei verfassungsrechtlich unbedenklich, so die Richter der 2. Kammer des Ersten Senats.

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Nackte Gesäße, Rohe Gewalt und ein Rechtsanwalt

Der Brühler Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer hatte ursprünglich die Rechtanwaltskammer gebeten, die Zulässigkeit einer von ihm geplanten, selbst in der Beschwerdeschrift so genannten "Werbeaktion" zu überprüfen. Er hatte Tassen mit provokativen Bildern gestaltet und wollte daneben die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" und seine Kontaktdaten aufdrucken lassen. Ein Bild zeigt die durchgestrichene Abbildung einer Frau, die mit einem Knüppel auf das entblößte Gesäß eines Kindes schlägt. Daneben sollte der Text "Körperliche Züchtigung ist verboten § 1631 Abs. 2 BGB" stehen. Eine andere Tasse war mit dem Bild eines älteren Mannes "geschmückt", der mit einem Stock auf das entblößte Gesäß einer Frau schlägt, nebst Frage "Wurden Sie Opfer einer Straftat?". Die dritte Kreation zeigte eine Frau, die sich eine Schusswaffe an den eigenen Kopf hält und offenbar im Begriff ist, sich selbst zu töten. An der Seite sollte der Text "Nicht verzagen, Riemer fragen" abgedruckt werden. Nach eigener Aussage sollte es damit jedoch nicht primär um die eigene Bekanntheit gehen. Er habe lediglich einen gesellschafts- und rechtspolitischen Diskurs anstoßen wollen, so sein Vortrag. Die Rechtsanwaltskammer (RAK) hielt alle (Werbe-)maßnahmen wegen eines Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot gemäß § 43b der BRAO für unzulässig. Nach erfolglosen Klagen vor dem Anwaltsgerichtshof NRW und dem Bundesgerichtshof (BGH) nahm nun auch das BVerfG seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Eine Verletzung von Grundrechten im konkreten Fall habe der Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt, so die knappe Erläuterung der Verfassungsrichter, die sich in ihrer Beurteilung ebenfalls maßgeblich auf die Schranke des § 43b BRAO stützten.

Keine Parallelen zum Benetton-Urteil

Riemer hatte Verletzungen seiner Grundrechte auf Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG und der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG geltend gemacht. Er stützte seine Behauptung eines Verfassungsverstoßes unter anderem darauf, dass die Ausgangsgerichte die Entscheidungen des BVerfG zur Werbung der Firma Benetton (Urt. v. 08.11.2000, Az. 1 BvR 1762/95 und Urt. v. 11.03.2003, Az. 1787/95 1 BvR 426/02) auch auf seinen Fall hätten anwenden müssen. Die Textilfirma hatte für ihre Werbungen ebenfalls schockierende Motive benutzt, wie ölverschmutzte Vögel, Kinderarbeit und einem nackten Gesäß mit dem Stempelaufdruck "HIV-Positive". Diese Argumentation hatte im vergangenen Jahr schon den BGH nicht überzeugen können. In seinem damaligen Urteil stellte der Gerichtshof klar, dass für Werbung aus der freien Wirtschaft andere Maßstäbe gelten als für anwaltliche Werbung. Die Verfassungsrichter folgten Riemers Ausführungen nun ebenfalls nicht. Es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Ausgangsgerichte die "Werbetassen" am Maßstab des § 43b BRAO geprüft haben, da er als Rechtsanwalt und damit als Organ der Rechtspflege bei der Werbung für seine berufliche Tätigkeit den besonderen Einschränkungen dieser Norm unterliege. Insbesondere ginge der Vortrag Riemers, dass er mit dem Druck und der Verteilung der Tassen keine Werbemaßnahme beabsichtige, sondern lediglich einen gesellschafts- und rechtspolitischen Diskurs anstoßen wolle, an den Tatsachen vorbei. Zum einen, weil der Anwalt sein beabsichtigtes Vorhaben in der Begründung der Verfassungsbeschwerde selber "Werbeaktion" genannt habe, zum anderen weil ein weiteres Anliegen neben Werbung, wie etwa ein gesellschaftspolitischer Diskurs, die Anwendbarkeit des § 43b BRAO nicht hindert. Auf die Frage, ob tatsächlich in Grundrechte eingegriffen wurde, gingen die Verfassungsrichter nur am Rande ein. Wichtiger war ihnen die Ausführung, warum § 43b BRAO in verfassungsgemäßer Weise allen vom Beschwerdeführer genannten Grundrechten eine Grenze setzt.

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2/2: Meinungsfreiheit ja, aber nicht uneingeschränkt

Die Norm, welche das anwaltliche Sachlichkeitsgebot statuiert, sei ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das als Schranke der Meinungsfreiheit in Betracht käme, stellen die Karlsruher Richter klar. Schutzzweck der Regelung sei die Sicherung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Mit seiner Stellung sei im Interesse des rechtsuchenden Bürgers insbesondere eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt, mit der eigentlichen Leistung des Anwalts aber nichts mehr zu tun hat und sich nicht mit dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats vereinbaren lasse. Der klagende Anwalt ist sichtlich unzufrieden mit dieser Argumentation und sieht die Rechte deutscher Anwälte um 20 Jahre zurückgeworfen. Damit spricht er auf die auch in der berufsrechtlichen Literatur geäußerten Vorstöße an, die anwaltliche Werbung zu liberalisieren.  "Das BVerfG negiert - anders als für Benetton - die Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 1 GG bei Rechtsanwälten. Das ist die Kernaussage. Regelmäßig bezeichne das höchste deutsche Gericht die Meinungsfreiheit als "schlechthin konstituierend für die verfassungsmäßige Ordnung". Offensichtlich gelte das jedoch nicht uneingeschränkt für jeden, so der Brühler Anwalt. "Es hält damit einer Berufsgruppe, die weit mehr als ein bloßes Textilunternehmen rechtspolitisch wirkt, elementare Grundrechte vor, die in seiner bisherigen Rechtsprechung selbstverständlich höchste Priorität besaßen." Die Kernaussage des Gerichts und die Reichweite der anwaltlichen Meinungsfreiheit beurteilt Martin W. Huff ganz anders: "Moderne Werbemethoden von Rechtsanwälten bleiben ja erlaubt, nur müssen sie eben sachlich sein", so der Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er begrüßt den Beschluss, mit dem die Rechtsauffassung seiner Kammer bestätigt wurde. "Das BVerfG unterstreicht zu Recht, dass Anwälte zur sachlichen Werbung verpflichtet sind und § 43b BRAO ihre Grundrechte in verfassungsgemäßer Weise einschränkt. Eine Anwendung der Schockwerbungsrechtsprechung des BVerfG auf Rechtsanwälte hat das Gericht daher richtigerweise ebenfalls abgelehnt."

Die Kunst darf fast alles, der Rechtsanwalt nicht

Die Frage, ob die Ausgangsgerichte durch ihre Entscheidungen überhaupt in den Schutzbereich der Kunstfreiheit des Anwalts eingegriffen haben, ließ das BVerfG offen, da dieser sich insoweit nur auf das Benetton-Urteil berufen, jedoch nicht ausreichend mit der Rechtfertigung eines etwaigen Eingriffs auseinander gesetzt habe. Insbesondere habe er die Unterschiede zwischen normaler und anwaltlicher Werbung im Hinblick auf die Voraussetzungen und die Zulässigkeit nicht deutlich genug herausgearbeitet, so Karlsruhe. Sehr deutlich wird das Gericht an dieser Stelle nicht, insbesondere präzisiert es nicht, ob es die Rechtfertigung auch hier in der BRAO sähe. So versteht es jedenfalls der Beschwerdeführer: "Selbst die nur durch kollidierendes Verfassungsrecht antastbare Kunstfreiheit soll überraschend durch § 43b BRAO in die Schranken gewiesen werden. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo völlig unverständlich und gefährlich. Mit solchen Sprüchen bombt uns Karlsruhe nicht nur in die Zeit vor den Bastille-Beschlüssen zurück und erstickt liberale Berufsrechtsentwicklungen der letzten Jahre im Keim, sondern schadet uns allen." Die durch § 43b BRAO gezogenen Grenzen sahen die Karlsruher Richter schließlich auch bei der behauptete Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Auch hier beachte der Beschwerdeführer nicht, dass er als Rechtsanwalt seinen Beruf nur in den besonderen gesetzlichen Grenzen für die Werbung ausüben könne. Dass die Norm als solche oder im konkreten Fall ihrer Anwendung in nicht zu rechtfertigender Weise in seine Berufsfreiheit eingreifen könne, habe er nicht hinreichend dargelegt. Dass das Gericht so vehement betont, er habe sich nicht ausreichen mit den Rechtfertigungsgründen auseinandergesetzt, versteht der progressive Anwalt nicht. Er sei ja nicht einmal angehört worden. Die Entscheidung, die innerhalb von nur zwölf Wochen ergangen sei, hält er für einen "Schnellschuss". Ob dies so ist oder nicht, sei dahingestellt. Fest steht, dass sich nun auch in Zukunft an den Grundsätzen anwaltlicher Werbung nichts Wesentliches ändern wird. Werbespots, wie sie der amerikanische Fernseh-Anwalt Saul Goodman präsentiert, bleiben hierzulande also vorerst Fiktion.

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