Homosexualität im Anwaltsberuf

Queer Law

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 4 Minuten
Vor einigen Jahrzehnten war Homosexualität noch ein Grund, Bewerbern die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen. Heute buhlen Kanzleien gezielt um Juristen aus der LGBT-Community – auch aus wirtschaftlichem Interesse. Ein kleiner Blick auf einen großen Wandel.

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1974: Der Spiegel berichtet unter der Überschrift "Ewiges Gesetz" über den Fall des Regierungsrats Otto J., dem die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt wird – nicht aus fachlichen Gründen, sondern weil er im Verdacht steht, homosexuell zu sein. 2014: Die LGBT-Karrieremesse Sticks & Stones feiert in Berlin ihr fünfjähriges Jubiläum. Keine andere Berufsgruppe ist unter den Ausstellern so stark vertreten wie die der Rechtsanwälte. Im selben Jahr vollzieht RiBGH Prof. Dr. Jürgen Schmidt-Räntsch eine Geschlechtsumwandlung und heißt künftig Johanna. Keine Frage, die Gleichberechtigung von Menschen, deren Sexualität nicht der Norm entspricht, hat in den letzten Jahrzehnten einen weiten Sprung nach vorne getan – in manchen Berufsgruppen freilich weiter als in anderen. Fußballer fühlen sich auch heute allenfalls nach ihrer aktiven Zeit zum öffentlichen Coming-Out bereit, von einem schwulen Dax-Vorstand hat man noch nicht gehört. Instinktiv würde man wohl auch die Rechtsanwälte, die oft ein Hauch von Konservatismus umweht, eher den late adoptern der sexuellen Gleichstellung zurechnen. "Tatsächlich haben sich die Anwälte erst spät bewegt – seit zwei, drei Jahren tun sie das aber nun sehr zügig", so Jens Schadendorf, der in seinem kürzlich im Redline Verlag erschienenen Buch "Der Regenbogen-Faktor" die Entwicklung der Akzeptanz und Integration homosexueller Menschen in Gesellschaft und Wirtschaft nachzeichnet. Der Anwaltschaft, und dabei vor allem den Großkanzleien, hat er ein eigenes Kapitel gewidmet, Titel: "Die Roben werden bunter". 

Diversity-Maßnahmen als Wettbewerbsvorteil

Darin zieht er ein durchaus positive Zwischenbilanz: Deutsche Wirtschaftskanzleien würden mittlerweile nicht nur aktiv nach Bewerbern aus der LGBT-Community Ausschau halten, sondern beispielsweise auch die unentgeltliche Vertretung von Vereinigungen übernehmen, die sich für sexuelle Gleichberechtigung stark machen. Um Inklusion in den eigenen Reihen zu fördern, werden zudem Diversity-Beauftragte benannt und schwul-lesbische Mitarbeiternetzwerke ins Leben gerufen, etwa "Halo" bei Freshfields oder "Spectrum" bei White & Case. Dass es sich bei den Genannten um Großkanzleien mit englischen bzw. amerikanischen Wurzeln handelt, ist durchaus kein Zufall. Vor allem in den USA ist die Förderung von "Diversity" längst zur unverzichtbaren Zielvorgabe aller großen Law Firms geworden. "Auch aufgrund des wachsenden Compliance-Drucks in den Staaten, und nicht nur aus uneigennützigen oder humanen Motiven", meint Schadendorf. Im wachsenden Wettbewerb um die besten Bewerber sei es angesichts des demografischen Wandels ganz einfach notwendig geworden, auch sogenannte gesellschaftliche Randgruppen in den Blick zu nehmen. In Deutschland beheimatete Kanzleien hingen dabei allerdings ihren anglo-amerikanischen Gegenstücken wie Freshfields, White & Case, Simmons & Simmons und anderen noch deutlich hinterher. 

Diversity-Förderung wird auch in Deutschland zum Thema

Außerdem – und wohl noch bedeutsamer – machten viele Großkunden inzwischen stramme Vorgaben: "General Electric etwa fordert von Kanzleien, mit denen es eine Zusammenarbeit erwägt oder betreibt, konkrete Diversity-Kennzahlen an und beobachtet auch deren Entwicklung", weiß Schadendorf. "Wenn die nicht stimmen, kann das ein Ausschlusskriterium sein." Auch in Deutschland stellten im Jahr 2012 nach einer Juve-Umfrage unter 65 Großkanzleien Mandanten immerhin 47 Mal die Frage nach dem Bestehen interner Diversity-Programme. Die Unterstützung von sexueller, ethnischer oder Geschlechtervielfalt führt also nicht mehr nur zu sozialen Fleißsternchen, sondern könnte allmählich zur festen Messgröße werden, die über wirtschaftlichen Erfolg und Misserfolg mitentscheidet. Folgerichtig versuchen Ratings, das Engagement der Arbeitgeber in diesem Bereich zu erfassen. Für England ist dies etwa der Stonewall-Index, der jährlich die 100 Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen für Mitglieder der LGBT-Community prämiert. In Deutschland verleiht die juristische Fachzeitschrift auch einen Preis, der 2014 an die Rechtsabteilung der Deutschen Bahn ging – dort firmiert allerdings offenbar bereits die Förderung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen und weiblicher Anwälte als Diversity-Maßnahme.

Viele Maßnahmen ergeben nur in Großkanzleien Sinn

Einer, der zur Förderung der LGBT-Belange in der deutschen Anwaltschaft beiträgt, ist Matthias Stupp, Partner bei White & Case in Hamburg und Begründer der zuvor erwähnten Mitarbeitergruppe "Spectrum". In über einem Jahrzehnt Berufserfahrung als homosexueller Anwalt hat er mit Diskriminierung keine Schwierigkeiten gehabt: "Gerade als Jurist arbeiten Sie ja mit überdurchschnittlich gebildeten Menschen zusammen, die alle mal eine Vorlesung zu Grundrechten gehört haben." Dass die Lage in kleinen oder mittelständischen Kanzleien hier anders aussehen könnte als in den großen, hält er für unwahrscheinlich: "Es stimmt zwar, dass Diversity-Programme fast nur in Großkanzleien aufgelegt werden. Das hat aber eher mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu tun – und auch mit der Mitarbeiterzahl. Eine Gruppe wie Spectrum, die Austausch und Aktivitäten ermöglichen soll, würde in einer Kanzlei mit 20 Mitarbeitern, von denen vielleicht einer oder zwei homosexuell sind, einfach keinen Sinn ergeben."

"Ein bisschen wie ein Kickerturnier"

Die Beteiligung an Spectrum ist freiwillig und steht auch heterosexuellen Mitarbeitern offen. Einige homosexuelle Kollegen würden es bevorzugen, nicht teilzunehmen, sagt Stupp. "Ob man die eigene sexuelle Orientierung im Beruf überhaupt zum Thema macht, ist jedem selbst überlassen. Man sollte sich allerdings nicht der Illusion hingeben, dass niemand über einen redet, weil man das selbst nie tut. Ein Grundrauschen an Klatsch & Tratsch gibt es an jedem Arbeitsplatz, auch in der Kanzlei". Angebote an schwule oder lesbische Mitarbeiter sieht er damit nicht als Antidiskriminierungsmaßnahme im engeren Sinne, sondern als Förderung eines positiven Betriebsklimas. "Das ist ein bisschen so wie ein Kickerturnier oder ein Sommerfest. Natürlich geht es auch ohne. Aber die Stimmung unter den Kollegen ist einfach besser, und alle fühlen sich stärker einbezogen, wenn man so etwas anbietet."

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