Jobprofil Richter

Das echte Leben und die Robe

von Janina SeyfertLesedauer: 4 Minuten
Richter sprechen Recht - natürlich. Aber sie sind auch Vermittler, Moderatoren und Organisatoren. Wer in dem Beruf reüssieren will, muss deshalb mehr mitbringen als überdurchschnittliche Examensnoten. Janina Seyfert sprach mit einem erfahrenen Amtsträger über die notwendigen Soft Skills, besondere Herausforderungen seines Arbeitsalltags und warum es Perfektionisten schwer haben.

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"Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen", heißt es in Artikel 97 unseres Grundgesetzes. Wie kaum einer anderen Berufsgruppe wird deutschen Richtern ihre Freiheit garantiert. Für Thomas Vogt, Richter am Oberlandesgericht Hamm, war genau das einer der Gründe, weshalb er sich für den richterlichen Dienst entschied. Freiheit bedeutet allerdings gleichzeitig auch Selbständigkeit. Als Richter organisiert man seine Tätigkeit hauptsächlich selbst. Vogt ist neben seiner Tätigkeit als Vizepräsident des Gerichts in der Gerichtsverwaltung tätig und dazu Vorsitzender eines Zivilsenats. Zivilrichter haben in der Regel zwei feste Sitzungstage in der Woche. Ansonsten entscheiden sie selbst,  wie viel Zeit sie wann und für welche Aufgaben investieren. Einen großen Teil seiner Arbeitszeit verbringt der 59-jährige mit der Organisation des Sitzungsalltags. Verhandlungen muss er ausführlich vor- und nachbereiten und Termine abstimmen. "Den organisatorischen Aufwand hatte ich vor Beginn meiner Tätigkeit in der Tat unterschätzt", räumt Thomas Vogt ein.

Auf Augenhöhe mit den Prozessbeteiligten

Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit steht die rechtliche Würdigung des Verhandlungsstoffes. Dieser ist oft so umfangreich oder komplex, dass er auch in den späten Abendstunden oder am Wochenende nicht ruhen kann. Richter könnten sich Lücken schwerlich erlauben, ist Vogt überzeugt. Es sei unerlässlich für die rechtliche Bewertung, sich gründlich in Sachverhalte und die gefragte Materie einzuarbeiten. Eine besondere Herausforderung sei dabei, dass sie in den Verhandlungen auf hoch spezialisierte Anwälte treffen, in deren Fachgebiet sie mit ihnen auf Augenhöhe agieren müssen. Als Beispiel nennt Vogt das Arzthaftungsrecht: Vor einem möglichen Urteil stünden oft komplexe medizinische Fragen, etwa bei einem vermeindlichen Behandlungsfehler. Auch wenn Sachverständige hinzugezogen werden können, dürfe der Richter sich nicht zurücklehnen. Derjenige, der am Ende die Entscheidung trifft, sollte ganz genau verstanden haben, worum es geht. Die inhaltliche Vielseitigkeit ist wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen dieses Berufs. Gerade zu Beginn ihrer Karriere müssen Richter eine Balance zwischen den Anforderungen und dem zeitlichen Aufwand herstellen. Für einen hartnäckigen Perfektionisten kann das zu einer unlösbaren Aufgabe werden.

Mitgefühl im Gerichtssaal erlaubt

Ein Gleichgewicht müssen Richter auch seelisch halten, trotz der emotionalen Belastung, die je nach Tätigkeitsschwerpunkt unterschiedlich intensiv sein kann. Vor allem in Strafprozessen erfahren Richter aus nächster Nähe erschütternde menschliche Schicksale. Sie müssen damit umgehen können und trotz der belastenden Situation ein rationales Urteil fällen. Dabei sind Emotionen und Mitgefühl nicht verboten, sagt Vogt, der selbst lange als Strafrichter und als Staatsanwalt gearbeitet hat. Denn auch als neutraler Richter könne man Verständnis zum Ausdruck bringen. Die menschliche Komponente spielt eine wichtige Rolle im Arbeitsalltag an deutschen Gerichten. In Verhandlungssälen streiten die unterschiedlichsten Menschen über die verschiedensten Dinge, jede vorstellbare Tat wird zur Anklage gebracht. Unfälle, zerrüttete Familien und Gewalt gehören ebenso zu dem Stoff aus dem die Sachverhalte sind, wie Schimmel in der Mietwohnung.

Nachwuchs für den richterlichen Dienst

Bewerber auf das Richteramt im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm durchlaufen deshalb ein ausführliches Assessment Center. Dort müssen sie beweisen, dass sie die persönliche Eignung mitbringen. Neben der richtigen Motivation sind besonders Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungsfreude unerlässliche Eigenschaften. Sehr wichtig ist laut Vogt, frei reden zu können. Für die zentrale und lenkende Figur in einer Verhandlung sei eine Schwäche in diesem Bereich nicht vorstellbar. Als Prüfer in den Staatsprüfungen und als Mitglied der Auswahlkommission für die Einstellung in den richterlichen Dienst hat er die Erfahrung gemacht, dass die rhetorischen Fähigkeiten bei den Kandidaten äußerst unterschiedlich ausgeprägt sind. Deshalb rät er jungen Juristen, sich um Soft Skills zu bemühen. Das freie Reden könne man beispielsweise gut in Arbeitsgemeinschaften trainieren. Eintrittskarte für das Auswahlverfahren sind allerdings zuerst die Leistungen in den Staatsprüfungen. Für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm in Nordrhein-Westfalen sollten Bewerber derzeit zumindest ein vollbefriedigendes zweites und ein befriedigendes erstes Staatsexamen vorweisen. In besonders beliebten Bundesländern wie Hamburg ist sogar ein zweifaches "VB" erforderlich. Der dem demographischen Wandel geschuldete erhöhte Bewerberbedarf könnte die hohen Anforderungen an die Punktzahlen in Zukunft aufweichen – der Nachwuchs, der in den kommenden Jahren den Vorbereitungsdienst abschließt, hat somit möglicherweise bessere Chancen auf die Robe, als noch seine Vorgängergenerationen. So heißt es auf der Homepage des Oberlandesgerichts Hamm, dass Bewerber mit den genannten Mindestpunktzahlen "vorrangig" eingeladen werden – bei entsprechend geringer Bewerberzahl kann das Assessmentcenter auch bei niedrigerer Benotung durchlaufen werden. Thomas Vogt würde immer wieder den Beruf wählen, in dem er arbeitet. Die hohe Belastung sieht er nicht als Nachteil. Er schätzt die Entwicklungsalternativen im richterlichen Dienst: "Man kann sich spezialisieren, aber auch theoretisch alle fünf oder sechs Jahre etwas anderes machen und einen anderen fachlichen Schwerpunkt wählen." Auch gibt es die Möglichkeit, sich wie Vogt in der Ausbildung und Lehre zu engagieren – derzeit hat er einen Lehrauftrag an der Uni Münster. Der Richter schätzt den Kontakt zu jungen Juristen, daher nimmt die zusätzliche Belastung gerne in Kauf. Als große Bereicherung empfindet er die menschlichen Kontakte. Unter den vielen Kollegen, die sich unter dem Dach eines Gerichts begegnen, seien immer wieder besondere Persönlichkeiten, die ihn prägten. "Das gehört zu den schönsten Dingen in meinem Beruf", sagt er. Mehr auf LTO.de: Richter auf Probe: Vor Lebenslänglich steht die Bewährung Erinnerungen eines Anklage-Gesellen: Die Gürteltierpfleger vom Kriminalgericht Berlin-Moabit Freischuss: Leid und Glück der frühen Vögel

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