Justiziar beim Spiegel

Cool oder staubtrocken?

von Simone UtlerLesedauer: 4 Minuten
Ad-Hoc-Hilfe zu presserechtlichen Fragen, Bereitschaftsdienst am Wochenende, krude Abo-Tricksereien: Von den Justiziaren des Spiegel wird viel Flexibilität verlangt. Uwe Jürgens gefällt seine Stelle in diesem "Taubenschlag" – besser als ein Richterstuhl.

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Spaß an Sprache. Das ist nach Ansicht von Uwe Jürgens eine entscheidende Gemeinsamkeit von Juristen und Journalisten. "Freude an Formulierungen ist eine absolute Grundvoraussetzung für beide Berufe", sagt der 42-jährige Jurist, der eng mit Journalisten zusammenarbeitet und sich gern auf deren Schreibe einlässt. "Ich sehe die Aufgabe eines Juristen auch nicht darin, eigentlich einfache Fälle unnötig zu verkomplizieren. Aber: Wenn ein komplexer Sachverhalt es erfordert, muss man auch allen Facetten gerecht werden können." Uwe Jürgens ist einer von drei Justiziaren beim Spiegel Verlag. Zu ihrem Arbeitsalltag gehören das Vertriebs-, Wettbewerbs- und Urheberrecht, der gewerbliche Rechtsschutz und natürlich das Presserecht. Bevor das Nachrichtenmagazin erscheint, gehen die Texte durch die Rechtsabteilung. "Wir bekommen jeden Artikel in der Produktion auf den Tisch", sagt Jürgens, der mit seinen Kollegen prüfen muss, ob die Geschichten angreifbar sind.

Zwischen NSA-Skandal, Organhandel und Miele-Waschmaschinen

Mal geht es um Material von Whistleblower Edward Snowden, mal um illegalen Organhandel im Kosovo, dann um für die Öffentlichkeit bedeutsame, für die Betroffenen aber unangenehme Verdachtsberichterstattung – oder um die Laufzeit von Miele-Waschmaschinen. Jürgens mag diese Abwechslung. "Du bist am Puls der Zeit, immer mitten im Zeitgeschehen", so der Jurist, der schon als Jugendlicher politisch interessiert war und jede Zeitung verschlang, die er in die Hände bekam. Da das Nachrichtengeschäft rund um die Uhr läuft und Texte stets aktuell bearbeitet werden müssen, bedeutet das für die Justiziare ungewöhnliche Arbeitszeiten. Journalisten von Spiegel Online haben auch schon mal spät abends eine Frage, die Arbeit an der Print-Ausgabe nimmt zum Ende der Woche hin Fahrt auf, und das Spiegel TV Magazin sendet am Sonntagabend. Alle drei Wochen bedeutet das für Jürgens einen langen Freitagabend und Bereitschaft am Wochenende. Die anderen beiden Wochen sind seine Kollegen dran.

Die Auswirkungen der Google-Entscheidung des EuGH

Auch wenn die Juristen jeden Artikel prüfen, gibt es Beschwerden gegen das Nachrichtenmagazin. "Aber im Vergleich zur Relevanz des Spiegel bekommen wir wenig presserechtliche Beanstandungen", so Jürgens. Durchschnittlich seien es vielleicht zwei bis drei Rückmeldungen pro Heft. Regelmäßig benötigt auch die Abo-Abteilung juristische Unterstützung. Wenn Leser versuchen, mit kruden Methoden Geld zu schinden. "Immer mal wieder landen bei uns Abo-Verträge, in denen jemand mit Tipp-Ex Vertragsbedingungen ändern wollte und dann Forderungen stellt. Und kürzlich verlangte ein Mann Schadenersatz für eine verfärbte Hose." Der Mann habe zusammen mit dem bestellten Spiegel-Mini-Abo ein farbiges Schlüsselband bekommen und das dann mit seiner Hose gewaschen, die angeblich verfärbte. "Der warf dann wild mit Paragrafen um sich, wollte Schadensersatz oder eine neue Hose oder am besten beides und die Abo-Abteilung hat das an uns weitergeleitet." Ein Themengebiet, mit dem sich die Spiegel-Rechtsabteilung seit einiger Zeit befassen muss, ist die Frage, inwieweit Medien verpflichtet werden können, ihre Archive zu ändern und bei Veröffentlichung rechtmäßige Berichterstattung zu entfernen. "Früher wurden presserechtliche Ansprüche oder Unterlassungen nicht allein gegen die Archivierung geltend gemacht, auch wenn privat und öffentlich immer schon gesammelt wurde und jeder Mensch Zugriff darauf hatte. Heute gibt jemand seinen Namen bei Google ein, stößt sogleich auf einen Artikel aus dem Spiegel von 1979 und will mit den 'ollen Kamellen' nicht mehr konfrontiert werden", beschreibt Jürgens die aktuelle Thematik, die nach seiner Einschätzung aber nur scheinbar ein komplett neues Problem ist: "Auf dem Land und im persönlichen wie beruflichen Umfeld war das nie anders, die Erinnerung der Menschen lässt sich ohnehin nicht löschen." Nach der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Recht auf Vergessenwerden sind aber die besonderen Risiken der Google-Suche stärker in den Vordergrund gerückt.

Jurastudium statt Journalistenschule

Mit seiner Stelle in einem Medienunternehmen hat Jürgens das Glück, zwei Arbeitswelten zu verbinden, die ihn schon immer interessierten. Schon als Schüler hatte er sowohl Journalismus als auch Jura in Betracht gezogen. Als es mit der Aufnahme an einer Journalistenschule nach dem Abi nicht klappte, begann er in Hamburg sein Jurastudium und merkte recht schnell, dass sich beide Leidenschaften kombinieren lassen. Schon bald spezialisierte sich Jürgens auf Medienrecht, wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Hans-Bredow-Instititut für Medienwissenschaften, ging in seinem Referendariat bewusst zu einer großen Kanzlei mit Schwerpunkt im Kommunikations- und Internetrecht und zur Financial Times Deutschland. Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete er vier Jahre lang als Anwalt für mehrere Medienunternehmen – in einer großen Kanzlei. "Irgendwann gewann ich den Eindruck, dass eine Großkanzlei für mich auf Dauer nicht das Richtige ist", sagt der 42-Jährige, der anschließend für ein Jahr und acht Monate als Richter arbeitete, aber auch dort keine Wurzeln schlug. "Da habe ich den Taubenschlag vermisst, und in mir wuchs der Wunsch, wieder in den Medien zu arbeiten." Eine Stelle beim Spiegel, der FAZ, der Zeit oder der Süddeutschen Zeitung – das ist ein Traum für viele Medienrechtler. Doch diese Jobs liegen nicht auf der Straße. "Für Juristen gibt es weniger Stellen in Medienunternehmen als bei Autoversicherungen oder in der Verwaltung", sagt Jürgens, der eine der seltenen Stellen sicherlich ergattern konnte, weil er sich frühzeitig spezialisiert hatte. Auch wenn der Job beim Spiegel für Jürgens eine Traumstelle ist, würde er nicht sagen, dass die Arbeit in den Medien per se spannender ist als in einem anderen Unternehmen. Es passiere zwar schon mal auf Partys, dass jemand seinen Job "cool", die Juristerei an sich aber staubtrocken finde. Das seien aber oft Nichtjuristen und das gehe Juristen beim Auswärtigen Amt genauso.

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