LG Berlin zu Anwaltsalgorithmus Kelsen

Aussterben des Berufsstandes auf unbestimmte Zeit vertagt

Lesedauer: 3 Minuten
Für kurze Zeit sorgte das Start-Up Kelsen für Aufsehen in der Rechtsbranche und bei potentiellen Investoren. Mit Hilfe eines selbstlernenden Algorithmus sollten Nutzer dort passende Antworten auf ihre Rechtsfragen finden - kostenlos und in Echtzeit. Tatsächlich wurden nur die Datenbanken zweier Konkurenten kopiert und mit irreführenden Aussagen geworben, so das LG Berlin vergangene Woche.

Die Ankündigung schlug hohe Wellen: Das Berliner Start-Up "Kelsen" trat mit einem Konzept an, das die Rechtsberatung gründlich aufmischen sollte. Dafür stellte das Unternehmen eine Art digitalen Anwalt vor, dem Nutzer ihre Fragen stellen konnten und der mithilfe eines selbstlernenden Algorithmus Daten aller existierenden deutschen Rechtsquellen in Echtzeit abgleichen sollte. Mit speziellen, "innvoativen Analyseverfahren" sollte der Online-Anwalt dem Nutzer dann die passende Antwort ausspucken. Die Nützlichkeit der Antworten, die zeitweise auf einer öffentlichen Betaversion unter ask-kelsen.com erprobt werden konnten, war, vorsichtig gesagt, optimierungsfähig. Wie in einem Verfahren vor dem Landgericht (LG) Berlin offenbar wurde, verbarg sich dahinter jedoch keineswegs ein neuartiger und potentiell revolutionärer Algorithmus nebst allumspannender Quellensammlung, sondern vielmehr eine bei den Konkurrenten justanswer.de und frag-einen-anwalt.de zusammengeklau(b)te Häufung von Antworten, die thematisch oft keinerlei Bezug zur gestellten Frage aufwiesen. Die Daten von Letzterem darf Kelsen nach einem Urteil des LG Berlin von vergangener Woche jedoch nicht mehr nutzen (v. 05.05.2015, Az. 16 O 74/15). Auch auf irreführende Werbeaussagen wie jene, dass "mithilfe innovative[r] Analysemethoden [...] relevante Informationen gewichtet und ausgewertet [werden], um passende Antworten bereitzustellen", muss das Unternehmen in Zukunft verzichten.

Anzeige

Kelsen erkennt Unterlassungsansprüche an

Die Verantwortlichen bei Kelsen haben eingeräumt, dass der neuartige Algorithmus, welcher das Herzstück des Dienstes bilden würde, bislang noch nicht existiert. Bisher habe man nur einen Prototypen entwickeln können, für mehr reiche die Kapazität des Start-Ups nicht aus. Genau diese Entwicklung eines Algorithmus, der in sinvoller Weise eine auf den jeweiligen Einzelfall passende rechtliche Antwort liefern kann, stellt aber das bislang ungelöste Hauptproblem bei der Automatisierung anwaltlicher Beratungsleisten dar, weshalb die Furcht vor einem Arbeitsplatzverlust durch intelligente Software dort weniger dringlich ist als in manch anderen Branchen. "Wir haben das Portal Kelsen getestet und waren natürlich gespannt", sagt Michael Friedmann der Geschäftsführer von frag-einen-Anwalt, wo bei der Beantwortung von inzwischen mehr als 120.000 Rechtsfragen noch echte Menschen tätig sind. "Wenn ein Unternehmen so übertreibt, kann das in die Irre führen. Das schadet dann zuerst den Wettbewerbern. Da muss man gegen vorgehen, damit der Markt fair bleibt."

"Jedes Unternehmen muss sich an seinen Werbeaussagen messen lassen", ergänzt Philipp C. Redlich aus der Kanzlei Härting, der frag-einen-Anwalt vor dem LG Berlin vertrat. "Wer eine fremde Datenbank kopiert und für ein Konkurrenzangebot nutzt, macht sich urheberechtlich und wettbewerbsrechtlich angreifbar." Wie es mit dem Projekt Kelsen weitergehen soll, steht noch nicht fest. Der Dienst Kelsen ist im Internet aktuell nicht mehr abrufbar. Auf der Website steht jetzt nur der Hinweis: "KELSEN LEGAL INTELLIGENCE POWERED BY BIG DATA – COMING SOON". acr/cvl/LTO-Redaktion

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Digitale Rechtsberatung

Verwandte Themen:
  • Digitale Rechtsberatung
  • Datenschutz
  • Internet
  • Anwaltsberuf

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter