Stressmanagement für Juristen

Immer unter Hoch­druck?

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten

Die Arbeit als Juristin oder Jurist ist anspruchsvoll, der Druck groß. Gerade im Homeoffice kann es richtig stressig werden. Doch nicht alle Stressoren kommen von außen. Und einige kann man selbst verändern. 

Fristen, die eingehalten werden müssen, Entscheidungen, für die man geradestehen muss, Chefs, die zusätzlich Druck machen – das Arbeitsleben von Juristinnen und Juristen ist oft kein Spaziergang. Das betrifft Juristen in allen Einsatzgebieten: Die selbständige Anwältin trägt Verantwortung für ihre Mitarbeiter und muss ständig ihren Umsatz im Auge behalten. In großen Kanzleien sind die Arbeitszeiten häufig lang und der Konkurrenzdruck zu den Kollegen ist hoch. In Behörden sind Entscheidungen nicht immer nachvollziehbar, und die Beschäftigung mit fachfremden Themen kann zu einer echten Herausforderung werden. 

Dabei reagiert jeder anders auf die Einflüsse am Arbeitsplatz. "Ob und durch was sich jemand gestresst fühlt, ist individuell unterschiedlich", sagt Business Coach und Trainerin Ellen Pachabeyan, die seit vielen Jahren auch mit Juristinnen und Juristen arbeitet. "Jeder hat andere Stresstrigger und andere Wege, mit Stressoren umzugehen." Eine große Rolle spielt die Resilienz – also die Einstellung, mit der man stressvollen Lebensumständen entgegentritt. "In schwierigen Situationen zeigt sich, wie gut das 'psychische Immunsystem' bereits ist. Gleichzeitig können wir gerade in solchen Situationen die Resilienz trainieren und innerliche Stärke hinzugewinnen", erklärt die Diplom-Psychologin. Sieht man in allem ein Problem? Oder ist man in der Lage, immer wieder nach Lösungen zu suchen, den Blick für das zu schärfen, was gut läuft und zuversichtlich zu bleiben? Die Corona-Pandemie verlangt uns besonders viel ab und erhöht das ohnehin hohe Stresslevel von Juristinnen und Juristen noch um Einiges. Vor allem die Arbeit im Homeoffice bringt zusätzliche Herausforderungen mit sich.

"Die berufliche und oft damit einhergehende soziale Isolation im Homeoffice macht vielen zu schaffen", beobachtet Life-Balance- und Burnout-Coach Sabine Keiner. "Der Austausch mit den Kollegen fehlt, vieles muss man mit sich selbst ausmachen." Die wirtschaftliche Unsicherheit und das Gefühl des Kontrollverlustes machen ebenfalls einigen zu schaffen – gerade Juristinnen und Juristen sind es gewohnt, die Fäden in der Hand zu behalten. Hinzu kommt bei vielen neben der Arbeit zu Hause die zusätzliche Kinderbetreuung zu Corona-Zeiten oder der Partner, der ebenfalls im Wohnzimmer seinen Arbeitsplatz eingerichtet hat. Da kann die Konzentration schon mal leiden. Wenn dann auch noch technische Probleme hinzukommen, für die nicht direkt der IT-Experte aus dem Büro zur Hand ist, kann das schon sehr stressen. 

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"Meist reicht es, seine Mails zwei- oder dreimal am Tag zu checken"

René Riedl, Vizedekan an der Fachhochschule Oberösterreich und Professor der Wirtschaftsinformatik an der Universität Linz, hat sich in einer Studie mit digitalem Stress befasst. Außerdem hat er ein Buch mit dem Titel "Digitaler Stress: Wie er uns kaputt macht und was wir dagegen tun können" geschrieben. 

Zu den größten digitalen Stressfaktoren gehört seiner Ansicht nach die Erwartung, ständig erreichbar sein zu müssen. "E-Mails, WhatsApp, Handy oder soziale Medien – wir werden ständig bei der Arbeit unterbrochen. Das stört den Flow, und es dauert lange, bis man nach einer Unterbrechung wieder in die ursprüngliche Aufgabe hineingefunden hat", sagt René Riedl. Sein Tipp: sich nur auf die notwendigsten Kanäle beschränken und Push-Nachrichten ausschalten. "Meist reicht es auch aus, seine E-Mails nur zwei,- dreimal am Tag zu checken."

Ein weiterer Stressfaktor sei die Videokonferenzermüdung, die größer wird, je länger wir uns im Homeoffice befinden. Fast alle Meetings, die bislang physisch stattgefunden haben, werden nun in Onlinekonferenzen verlegt. "Die Aufmerksamkeitsspanne ist dabei viel kürzer als bei realen Treffen", sagt der Professor. "Hier helfen häufigere Pausen, in denen sich die Teilnehmer auch mal vom Bildschirm wegbewegen." Oder auch der Griff zum Telefon: Nicht jede Besprechung muss zwangsläufig online abgehalten werden. 

"Man muss nicht alles allein schaffen"

Wer das Gefühl hat, dass alles zu viel wird, sollte die Reißleine ziehen. Doch woran merkt man eigentlich, dass man gestresst ist? "Schlechte Konzentration, zunehmende Gereiztheit, Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände, die sich auch durch Freizeit am Wochenende nicht beheben lassen – das sind alles Anzeichen dafür, dass der Stress überhandnimmt", erklärt Sabine Keiner. "Anspannung ist eine Zeitlang in Ordnung – aber es muss auch immer wieder Erholungsphasen geben, um die Batterien aufzutanken." Sie empfiehlt zur Regeneration aktive Entspannung – also lieber ein Spaziergang, Yoga, progressive Muskelentspannung oder ein kreatives Hobby als Fernsehen auf der Couch. Zudem regelmäßige Bewegung, eine gute Ernährung und eine gesunde Einstellung. 

Denn: Nicht immer kommen die Stressoren von außen. Beschränkende innere Einstellungen und erlernte Verhaltensmuster erhöhen ebenfalls den Druck. Vieles ist auch eine Frage der eigenen Ansprüche. "In manchen Situationen ist es sinnvoll, den eigenen Perfektionismus zu hinterfragen: Reicht es auch mal, nur 80 Prozent Leistung zu geben?", nennt Sabine Keiner ein Beispiel. Ellen Pachabeyan ergänzt: "Ich kann die Ansprüche an mich selbst kritisch hinterfragen: Sind diese immer zielführend? Ist mein Wunsch nach Karriere es wirklich wert, dass dafür meine Gesundheit oder mein soziales Leben auf der Strecke bleibt?" Gerade bei Anwälten sei der Aspekt Beruf oft  übermächtig im Leben, so ihre Beobachtung. "Hier hilft es manchmal, aus dem Konkurrenzdenken herauszukommen." Ihr konkreter Rat: sich vernetzen und dadurch erkennen, dass andere mit ähnlichen Problemen kämpfen und vor den gleichen Herausforderungen stehen. Oder sich Unterstützung von außen holen – sei es in Form von Coaching, Beratung, Delegation von Arbeitspaketen an Mitarbeiter oder Outsourcing von Leistungen. "Man muss nicht alles allein schaffen." 

Wird der Zeitdruck zu groß oder der innere Antreiber zu mächtig, sollte man sich immer sagen: "Meistens geht die Welt nicht unter, wenn ich einige Dinge erst am nächsten Tag erledige", so Sabine Keiner. Das gilt auch und gerade fürs Homeoffice: Wo es niemanden gibt, der Grenzen setzt und zur Pause oder zum Feierabend aufruft, da sollte man sich selber Grenzen setzen, um auch anderen Lebensbereichen Raum zu geben. Und kommen dann doch noch Gedanken an den Job auf, sollte man sich bemühen, innerlich Stopp zu sagen – der Gesundheit und auch der Arbeit zuliebe. 

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