Neues Beschäftigungsmodell "Projektjurist"

Zeitarbeit? Ja, gerne!

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 5 Minuten
Der Begriff Zeitarbeit weckt nicht die besten Assoziationen; zu oft wurde er in jüngerer Vergangenheit mit prekären Arbeitsbedingungen und gezielter Ausbeutung in Verbindung gebracht. Die Übertragung dieses Beschäftigungsmodells auf den Anwaltsmarkt wird deshalb skeptisch beäugt - zu Unrecht, meint Constantin Baron van Lijnden.

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Tsanko Kalchev hat einen Job, der mit den Gesetzen des juristischen Arbeitsmarktes gleich in mehrfacher Hinsicht bricht. Er arbeitet bei einer internationalen Großkanzlei, aber nur für 40 Stunden die Woche. Überstunden macht er beinahe nie, und wenn doch, werden sie sauber nachgehalten und minutengenau abgerechnet. Er ist dort auch nicht etwa als Sekretär oder Putzkraft eingestellt, sondern als Volljurist - obwohl er in beiden Examina "nur" ein befriedigend vorweisen kann und bisher kaum Berufserfahrung hat. Ja, Herr Kalchev hat einen Job, um den ihn so mancher beneiden würde. Sein einziges Problem ist: Er hat ihn nicht mehr lange. Kalchev ist Zeitarbeiter, oder, wie es vornehmer heißt, Projektjurist. Als solcher wurde er von der Kanzlei über die Vermittlungsagentur PerConex zwecks Arbeitserleichterung bei einem besonders umfangreichen Mandat eingestellt. Ist die Sache erledigt, endet auch sein Vertrag, und er muss sich anderweitig umschauen - wann genau das sein wird, weiß er noch nicht. "Diese Form der Beschäftigung bedeutet schon eine gewisse Planungsunsicherheit", räumt Kalchev ein. "Doch für mich überwiegen die Vorteile deutlich. Ich habe mein 2. Examen Ende 2011 gemacht und dann, trotz 85 verschickter Bewerbungen, erstmal keinen Job gefunden, der mir zusagte. Ich wollte aber nicht monatelang nur zu Hause rumlungern - meine jetzige Anstellung ist ideal, um die Zeit zu überbrücken, und inzwischen habe ich eine dauerhafte Stelle gefunden, die ich im Anschluss antreten werde. Der Arbeitgeber und die Agentur sind auch kulant, was die Festlegung meiner Arbeitszeiten angeht, um mir den Besuch von Bewerbungsgesprächen zu ermöglichen."

Vor- und Nachteile der Zeitarbeit

Natürlich ist die befristete Arbeit in einer Großkanzlei nicht ganz mit jener zu vergleichen, die fest angestellte Anwälte dort erledigen - im Guten wie im Schlechten. Niedrigeren Notenanforderungen und humaneren Arbeitszeiten stehen weniger anspruchsvolle Aufgabenstellungen und ein geringeres Gehalt gegenüber. Außerdem wird manchmal ein - dann allerdings bezuschusster - Umzug nötig, wenn sich keine passende Stelle für einen Projektjuristen im näheren Umfeld des Kandidaten finden lässt. Trotzdem sieht Kalchev keinen Grund zu klagen: "Gemessen an dem, was ich auf dem Anwaltsmarkt sonst verdienen könnte, ist mein derzeitiges Gehalt überdurchschnittlich. Ich wäre aber auch bereit, ein etwas niedriges Gehalt in Kauf zu nehmen, wenn das heißt, dass ich wirklich selbst als Anwalt arbeiten kann - dafür habe ich schließlich Jura studiert. Im Augenblick beschränkt sich meine Tätigkeit eher auf Zuarbeiten und bloß peripher juristische Aufgaben." Die Rechnung in Fällen wie Kalchevs ist einfach, und sie geht auf: Der oft am Anfang seiner beruflichen Laufbahn oder zwischen zwei Jobs stehende Jurist vermeidet Leerlauf, erhält Einblicke in die Praxis und kann seinen Lebenslauf mit einer Referenz schmücken, für die die eigenen Examensnoten sonst womöglich nicht gereicht hätten. Der Arbeitgeber - meist eine Großkanzlei oder die Rechtsabteilung eines großen Unternehmens - kann Aufgaben, für die ihm die kostbaren billable hours seiner Associates zu schade sind, vorübergehend auslagern, ohne sich langfristig an einen neuen Angestellten binden zu müssen. So arbeitet man eine gewisse Zeit - i.d.R. 6 bis 24 Monate – zusammen und geht dann getrennte Wege. Zu dauerhaften Übernahmen kommt es eher selten; über die Notenhürde helfen auch positive Erfahrungen bei der Zusammenarbeit nicht hinweg. Sehr wohl aber bietet sich dem Projektjuristen die Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und so womöglich seinen Einstieg in eine kleinere Kanzlei in die Wege zu leiten. Fast möchte man da fragen, warum es dieses Beschäftigungsmodell für Anwälte nicht schon länger gibt.

In Deutschland ein Novum, in Übersee seit langem etabliert

"In vielen Ländern tut es das auch", erklärt Andreas Müller, Geschäftsführer der Personalvermittlung PerConex, die neben Tsanko Kalchev momentan etwa 75 weitere Volljuristen zeitweise an Arbeitgeber quer durch die Bundesrepublik vermittelt.  "Im anglo-amerikanischen Raum etwa ist das Berufsbild des "project lawyers" seit Jahrzehnten eine feste Größe auf dem Arbeitsmarkt. Gerade die  Anwaltstätigkeit, die ja ohnehin an einzelne Mandate und Projekte gebunden ist, eignet sich dafür hervorragend." Müller ist selbst Jurist, arbeitete nach seiner Zulassung 2001 jedoch nur ein Jahr als Anwalt und wechselte sodann bis Ende 2006 zum Personal-Rekrutierungsunternehmen IQB, welches die bekannte Fachmesse Juracon organisiert. Währenddessen blieb er in Kontakt mit seinem alten Studienkollegen Dr. Olaf Schmitt, der zunächst einige Jahre als Associate bei Norton Rose (internationale Großkanzlei, Anm. d. Red.) und anschließend als Partner einer mittelständischen Kanzlei gearbeitet hatte. 2005 rief Schmitt sodann PerConex ins Leben; 2007 trat Müller dem Projekt bei.
 
"Ich war von der IQB mit dem Thema Personalvermittlung natürlich ohnehin vertraut, und ich glaube, Herr Schmitt hätte sich während seiner Arbeit bei Norton Rose durchaus das eine oder andere Mal einen Projektjuristen herbeigewünscht. Die waren aber in Deutschland kaum zu kriegen - daraus entstand die Idee und das Unternehmen", führt Müller aus. Ein Unternehmen, das es nun seit sechs Jahren gibt und welches anscheinend nicht schlecht läuft. Mittlerweile erfährt es Konkurrenz durch die Personalvermittlung Hays, die ebenfalls Juristen auf Zeit im Angebot hat. Dennoch verwundert, dass nicht bereits mehr Anbieter auf den Zug aufgesprungen sind.

"Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass man für diese Arbeit eine Doppelbegabung braucht. Man muss juristischen Sachverstand haben, um beurteilen zu können, welchen Bewerber man dem Kunden für welches Projekt anbieten kann. Gleichzeitig ist auch betriebswirtschaftliches Know-how nötig,  um die Vermittlung einer erheblichen Zahl von Arbeitnehmern und die zugehörige Buchhaltung ordentlich zu managen. Hier war es hilfreich, dass Herr Schmitt zuvor eine Banklehre absolviert hatte", erklärt Müller.

Lösung eines Imageproblems - die Zeitarbeit salonfähig machen

Nicht zuletzt mag auch das negative Image der Zeitarbeit dazu beigetragen haben, dass diese nur langsam und zögerlich in Deutschland Fuß fasst. In einer Branche, der ein gewisser Standesdünkel nicht ganz fremd ist, will man eben ungern mit (ehemaligen) Schlecker-Bediensteten in einen Topf geworfen werden. Selbst die Kunden gehen bei der Suche nach Projektjuristen so verschämt vor, als wollten sie Gott weiß was für unsittliche Dienstleistungen einkaufen. Statt namentlich in Erscheinung zu treten, sprechen sie in einschlägigen Inseraten fast immer davon, dass "Eine internationale Großkanzlei" oder "Eine große Rechtsabteilung" vorübergehend Unterstützung brauche. "Die Vorurteile bestehen, aber zu Unrecht", meint Müller. "Die Arbeitnehmerüberlassung in Form der Zeitarbeit ist ganz einfach diejenige arbeitsrechtliche Figur, die sich für die vorübergehende Tätigkeit als Jurist an einem bestimmten Projekt am besten eignet - mit fragwürdigen Praktiken in anderen Branchen haben wir deshalb aber nichts zu tun. Nebenbei bedeutet unser Beschäftigungsmodell auch, dass wir an das Arbeitszeitgesetz gebunden sind, auf dessen Einhaltung wir streng achten. Wir hoffen, dass wir den Begriff Zeitarbeit somit auf dem juristischen Arbeitsmarkt weiter salonfähig machen können."

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