Small Talk mit Vergaberechtler Henning Feldmann

"Nicht alle Auf­träge sollen im Schüt­zen­ve­rein ver­geben werden"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie so machen. Heute: Vergaberechtler Henning Feldmann über den Nutzen von Bürokratie – und wieso er durch seinen Job weiß, wie Ultraschallgeräte und Computertomographen funktionieren. 

LTO: Was machen Sie beruflich?   
Henning Feldmann: Ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht – und das kann man vereinfacht so erklären: Immer dann, wenn öffentliche Stellen Steuergelder ausgeben, um sich eine Ware, eine Dienstleistung oder eine Information extern einzukaufen, kommt das Vergaberecht zur Anwendung. Diese Auftragsvergabe an einen externen Dienstleister muss nach bestimmten Verfahrensregeln stattfinden. 
 
Unsere Kanzlei berät dabei sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieter. Die öffentlichen Auftraggeber unterstützen wir damit, die Ausschreibungen rechtssicher zu konzipieren und aufzusetzen. Oder wir werden für Unternehmen tätig, die sich an einem Vergabeverfahren beteiligen wollen. 

Henning Feldmann …

Ist Fachanwalt für Vergaberecht

Arbeitet bei ESCH BAHNER LISCH in Köln

Mag die kreative Arbeit im Vergaberecht

Hat durch seinen Job seine Technik-Skills ausgebaut

Boxt leidenschaftlich gerne


 
Können Sie Beispiele aus der vergaberechtlichen Praxis nennen? 

Auf Bieterseite kommt es häufig vor, dass ein Unternehmen an einer Ausschreibung teilgenommen und ein Angebot abgegeben hat - und dann von der Ausschreibung ausgeschlossen worden ist. Als Grund hierfür wird angeführt, dass es bestimmte Vorgaben nicht eingehalten hat, zum Beispiel Zertifikate oder Nachweise nicht oder nicht richtig vorgelegt hat. Häufig soll auch nicht unsere Mandantin, sondern ein Konkurrenzunternehmen den Auftrag erhalten – dann wollen sich die Unternehmen gegen die Auftragsvergabe an diese Wettbewerberin wehren, z.B. weil sie sich nicht vorstellen können, dass das Angebot günstiger als ihr Angebot war oder weil sie meinen, dass der Wettbewerber nicht alle Anforderungen der Ausschreibung erfüllt haben kann. 
 
Auftraggeber beraten wir, wenn sie eine Dienstleistung oder Ware beschaffen wollen – das kann ein Schulträger sein, der einen neuen Caterer für die Mensen im Stadtgebiet sucht oder eine Behörde, die Softwarelizenzen, einen Reinigungsdienstleister oder Büromöbel benötigt. Wir helfen unserem Mandanten bzw. unserer Mandantin dann dabei, die Vergabeunterlagen rechtssicher vorzubereiten und beispielsweise die Vergabekriterien zu entwickeln. Wir prüfen die Vergabeunterlagen und begleiten das gesamte Verfahren. Auch bei Beschwerden von Bieterseite werden wir tätig. 
 

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"Vergaberecht soll Korruption und Vetternwirtschaft verhindern" 
 

Wie unterscheidet sich die Beratung auf Auftraggeber- und Bieterseite? 
Die Beratung der Auftraggeberin bzw. des Auftraggebers ist häufig kreativer als die Beratung der Unternehmen: Man kann von Anfang an in Abstimmung mit dem Mandanten bzw. der Mandantin deutlich mehr Einfluss nehmen und Ideen einbringen, wie bestimmte Beschaffungsziele am besten erreicht werden können. Wie soll das Verfahren ausgestaltet sein, wie die Vergabekriterien? Diese kreative Arbeit macht viel Spaß. 
 
Das Vergaberecht ist für Anwältinnen und Anwälte eher eine Nische und gilt als sehr bürokratisch – was entgegnen Sie diesem Vorurteil? 
Das Wort "Bürokratie" ist ja eher negativ behaftet, aber Bürokratie heißt erstmal nur, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens genau geregelt ist. Insofern ist Bürokratie notwendig, damit das Verfahren fair für alle Bieter abläuft. Das ist immer das oberste Ziel der Rechtsberatung im Vergaberecht. Das Vergaberecht dient auch nicht nur dem Ziel, eine wirtschaftliche Beschaffung der öffentlichen Hand mit Steuergeldern zu gewährleisten. Es soll vor allem auch Korruption und Vetternwirtschaft verhindern. Feste Regeln helfen dabei, dass nicht alle Aufträge innerhalb einer Kommune an den Schwager des Oberbürgermeisters oder im Schützen- oder Karnevalsverein vergeben werden.  
 
Man darf auch die wirtschaftliche Bedeutung des Vergaberechts nicht unterschätzen: Das Beschaffungsvolumen der öffentlichen Hand in Deutschland liegt pro Jahr bei ca. 300 bis 400 Milliarden Euro. Das entspricht etwa zehn bis 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die durch Vergabeverfahren in den Wirtschaftskreislauf kommen. Deshalb sind die Vergabeverfahren auch entsprechend streng reguliert. 
 
In bestimmten Situationen muss es aber schnell gehen – bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr etwa blieb keine Zeit, um ein achtwöchiges Vergabeverfahren durchzuführen. Wie flexibel ist das Vergaberecht in solchen Situationen? 
In solchen Ausnahmesituationen bietet das Vergaberecht die Möglichkeit, schnell und unbürokratisch Handwerker oder andere mit notwendigen Arbeiten zu beauftragen, ohne ein langes Vergabeverfahren abzuwarten. Es stand völlig außer Frage, dass eine vom Hochwasser schwerstgeschädigte Kommune sofort Hilfe benötigt und nicht erst in acht Wochen. 
 

"Ich weiß, welche Ultraschallgeräte welche Vorzüge haben"  
 

Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten?  
Ich mag die Abwechslung. Je nach Gegenstand der Ausschreibung muss man sich immer wieder in neue Lebensbereiche oder neue technische, wirtschaftliche oder soziale Fragestellungen einarbeiten. Ich begleite beispielsweise viele technische Vergabeverfahren im Medizinproduktebereich. Wenn es etwa um eine Ausschreibung geht, mit der Ultraschallgeräte oder Computertomographen für Krankenhäuser geht, möchte und muss ich wissen, wie diese Geräte funktionieren. Ich muss die Ausschreibungsunterlagen verstehen, um richtig beraten zu können. Durch meine Arbeit habe ich schon viele Dinge gelernt, die ich ansonsten nicht gelernt hätte. Wenn ich mal im Krankenhaus liege, weiß ich immerhin, welche Ultraschallgeräte welche Vorzüge haben. 
 
Und was mögen Sie nicht?  
An meinem Job mag ich eigentlich alles. Wie viele andere Anwältinnen und Anwälte halte ich nichts von Konfrontationen mit der Gegenseite, bei denen der Gegner ohne Grund unangemessen scharf oder aggressiv oder polemisch auftritt. Das führt meiner Meinung nach zu nichts. 
 
Müssen Sie häufig vor Gericht auftreten? 
Die "Gerichte" im Vergaberecht heißen in erster Instanz "Vergabekammern". Das sind Stellen, die in der Verwaltung angesiedelt sind, meistens bei den Bezirksregierungen bzw. den Regierungspräsidien der jeweiligen Länder. Diese führen ein gerichtsähnliches Verfahren durch, das im Wesentlichen so abläuft wie ein Gerichtsverfahren. Nachprüfungsverfahren gibt es im Vergaberecht wenige, in Deutschland knapp 900 bis 1.000 im Jahr. Ich selbst habe daher in der Regel etwa eine Handvoll Nachprüfungsverfahren im Jahr. Die Hauptarbeit eines Vergaberechtlers findet meistens im Vorfeld statt, also bei der Begleitung des Verfahrens. 
 

"Bis zu meinem ersten Job hatte ich vom Vergaberecht noch nichts gehört" 
 

Haben Sie eher Ihren Job gefunden oder Ihr Job Sie? 
Eindeutig hat das Vergaberecht mich gefunden. Ich bin zum Vergaberecht gekommen "wie die Jungfrau zum Kinde". Nach dem Examen wollte ich gerne im öffentlichen Wirtschaftsrecht arbeiten und habe mich auf eine Stelle im öffentlichen Wirtschaftsrecht/Vergaberecht beworben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich vom Vergaberecht aber eigentlich noch nie etwas gehört.  
 
Was ist Ihr Highlight des Jahres?  
Wir haben ein Unternehmen über fast zwei Jahre bei einem großen Vergabeverfahren eines Bundesministeriums mit einem Auftragsvolumen von ca. 100 Millionen Euro begleitet. Als unsere Mandantin am Ende den Zuschlag erhalten hat, habe ich mich sehr gefreut. Ich habe mit den Mandanten über einen längeren Zeitraum sehr eng an diesem Verfahren gearbeitet. Deshalb war das ein großer Erfolg. 
 
Was wird sich in Ihrer Branche in den nächsten fünf Jahren ändern? 
Die Digitalisierung treibt auch das Vergaberecht um. Seit einigen Jahren werden Vergabeverfahren komplett elektronisch abgewickelt; die Zeiten, in denen man einen Kurier mit Angebotsunterlagen zum Auftraggeber schicken musste, sind vorbei. Legal Tech ist ja in aller Munde und es gibt auch schon eine Vielzahl an Vertragsgeneratoren mit Algorithmen, die Verträge entwerfen. Ich bin sehr gespannt, ob und wie es sowas bald auch im Vergaberecht geben wird. Ich persönlich kann mir das kaum vorstellen, da jedes Vergabeverfahren individuell ist und jeder Auftraggeber seine eigenen Ziele hat.  

"Boxen ist ein super Ausgleich zum Bürojob" 

Wenn Sie nicht gerade in der Kanzlei sind, boxen Sie gerne. Was fasziniert Sie am Boxen? 
Das Boxen ist ein super Ausgleich zum Bürojob. Es ist eine Mischung aus Kraft und Konditionstraining am Sandsack und – wenn man will – auch Sparringskämpfen mit Gegnern.  Das mache ich sehr gerne – mit Gegnern, die auf meinem Niveau sind.  
 
Zum Schluss fragen wir unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner gerne nach Buchempfehlungen – haben Sie eine für uns? 
Ich mag die Bücher von Daniel Kehlmann und habe zuletzt den Roman "Tyll" von ihm gelesen. Den fand ich großartig und kann ihn jedem empfehlen. Das ist eine episodenhafte Erzählung aus dem 30-jährigen Krieg. In jedem Kapitel geht es um eine andere Person, die mit dem Krieg befasst ist. In allen Episoden taucht die Figur des "Tyll Ulenspiegel" als verbindendes Element auf, der am Ende alle verschiedenen Handlungsstränge zusammenfügt.

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