Arbeitsschutz in Zeiten von Corona

Min­de­st­ab­stand, Masken, Lüften

Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael FuhlrottLesedauer: 5 Minuten

Die Kollegen tragen keinen MNS und gelüftet wird das Büro auch nie? Dann hilft vielleicht ein Hinweis an die Aufsichtsbehörden, denn der Arbeitsschutz gegen Covid-19 ist bundeseinheitlich geregelt. Die Details erklärt Michael Fuhlrott.

Abstandsregeln, Vermeidung von Ansammlungen und Maskenpflicht: Was vielerorts im öffentlichen Raum qua Landesverordnung gilt, ist auch in Unternehmen zu beachten. Hier allerdings mit dem Unterschied, dass in deutschen Betrieben nicht 16 verschiedene Landesverordnungen zur Anwendung gelangen, sondern ein bundesweit einheitlicher Schutzstandard besteht. Diese zunächst als Empfehlung von Bundesarbeitsministerium im April 2020 als "Sars-CoV2-Arbeitsschutzstandard" erarbeiteten Richtlinien wurden in leicht modifizierter und konkretisierender Form als „Sars-CoV2-Arbeitsschutzregel“ am 20. August 2020 im gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl. Nr. 24/2020, S. 484 ff.) veröffentlicht. Deren zeitlicher Anwendungsbereich ist befristet auf den Zeitraum des Vorliegens einer "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" gem. § 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG), deren Vorliegen durch den Bundestag erstmalig am 25. März 2020 festgestellt und deren Fortbestand der Bundestag am 17. September 2020 bestätigte.

Nunmehr soll die Einhaltung der Vorgaben in Unternehmen auch überprüft werden: Die Nationale Arbeitsschutzkonferenz, ein Gremium, in dem mit Bund, Ländern und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung sowie beratend den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften alle Akteure des Arbeitsschutzes in Deutschland vertreten sind, hat jüngst die "Leitlinie zur Beratung und Überwachung während der SARS-CoV-2-Epidemie" veröffentlicht. Diese soll Aufsichtsbehörden künftig ein "abgestimmtes und gleichgerichtetes Handeln (…) bei der Umsetzung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutz-Regel sowie Anwendung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards in den Betrieben" ermöglichen. Wie die Arbeitsschutzregel auch, ist sie auf den Zeitraum des Vorliegens einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zeitlich befristet.

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Hände waschen, Lüften, Bodenmarkierungen

Inhaltlich nennt die Arbeitsschutzregel eine Vielzahl von Vorkehrungen, die Arbeitgeber treffen sollen. Einige vorzunehmenden Maßnahmen sind vergleichsweise einfach umzusetzen, etwa die Handhygiene durch leicht erreichbare Waschgelegenheiten unter Aushängung der Händewaschregeln (Ziff. 4.2.2, Abs. 2), die mindestens arbeitstägliche Reinigung der Sanitärräume (Ziff. 4.2.2, Abs. 5) und verstärktes Lüften (Ziff. 4.2.3, Abs. 2).

Darüber hinaus sollen etwa Dienstreisen auf das Nötigste begrenzt werden (Ziff. 4.2.5, Abs. 1), zur Einhaltung der Abstandsregeln sollen Bodenmarkierungen angebracht werden (Ziff. 4.2.6, Abs. 3), Arbeitsmittel sind möglichst nur von einer Person zu nutzen (Ziff. 4.2.7, Abs. 1), Betriebsfremde sind möglichst fernzuhalten (Ziff. 4.2.10) und – wenn technische und organisatorische Schutzmaßnahmen wie Abtrennungen nicht möglich sind – individuelle Schutzmaßnahmen wie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen (Ziff. 4.2.13) vorzusehen. Je nach Branche sind überdies weitere oder andere Schutzmaßnahmen zu treffen – so sollen etwa auch auf Baustellen Toiletten- und Waschräume zur Verfügung gestellt werden.

Keine Rechtsnorm, aber Empfehlung mit Vermutungswirkung

Wie aber ist diese immerhin im Ministerialblatt veröffentlichte "Arbeitsschutzregel" rechtlich einzuordnen? Die Veröffentlichung im Ministerialblatt und nicht im Bundesanzeiger oder Bundesgesetzblatt spricht bereits dafür, dass es sich nicht um ein Gesetz oder um eine Rechtsverordnung handelt. Der Arbeitsschutzregel kommt auch inhaltlich kein Rechtsnormcharakter zu. Sie wirkt also weder unmittelbar noch zwingend.

Gleichwohl kommt den Arbeitsschutzregeln eine faktisch normative Wirkung dadurch zu, dass Arbeitgeber gem. § 4 Nr. 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) bei ihren Arbeitsschutzmaßnahmen den "Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen" hat. Diese Einschätzungen muss der Arbeitgeber bei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes gem. § 5 Abs. 1 ArbSchG beachten, also auch den Corona-Arbeitsschutzstandard. Weicht ein Unternehmen von den dortigen Maßnahmen ab, kann es sich nicht mehr auf die für den Arbeitgeber günstige Vermutungswirkung des § 3 a Abs. 1 S. 3 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) berufen, wonach bei der Einhaltung der "bekannt gemachten Regeln (…) davon auszugehen (ist), dass die in dieser Verordnung gestellten Anforderungen diesbezüglich erfüllt sind".

Arbeitsverweigerung bei erheblicher Gefährdung

Kommt es dann zu Infektionen am Arbeitsplatz, muss der Arbeitgeber darlegen, dass er durch andere Maßnahmen die gleiche Sicherheit und den gleichen Schutz der Beschäftigten erreicht hat. Damit konkretisieren die öffentlich-rechtlichen Schutzvorschriften auch die allgemeine vertragliche und auch in § 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) statuierte Nebenpflicht des Arbeitgebers, seine Arbeitnehmer in einem möglichst "gesunden" Arbeitsumfeld tätig werden zu lassen und Gefahren von ihnen abzuwenden.

Verletzt der Arbeitgeber in erheblichem Maße diese Vorgaben, so darf der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung verweigern – bei voller Vergütung. Nicht jeder einfache Verstoß des Arbeitgebers genügt hierfür allerdings. Bei nur geringfügigen oder kurzzeitigen Verstößen, die keinen nachhaltigen Schaden bewirken können, muss der Arbeitnehmer dennoch seine Arbeit aufnehmen. Tut er dies nicht, verliert er nicht nur seinen Lohnanspruch, sondern riskiert aufgrund der dann unberechtigten Arbeitsverweigerung auch seinen Arbeitsplatz, entschied bereits das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 28.6.2018, Az. 2 AZR 436/17). Wer aber etwa als Arbeitgeber seinen Mitarbeitern mit Kundenkontakt keine Masken oder Schutzwände zur Verfügung stellt und diese der Ansteckungsgefahr aussetzt, wird sich auf eine solche Geringfügigkeit sicherlich nicht berufen können.

Überwachung und Bußgelder bei Nichteinhaltung

Wer entsprechende Schutzmaßnahmen als Arbeitgeber nicht umsetzt, dem droht künftig aber nicht nur Ungemach mit seinen Arbeitnehmern, sondern er wird sich mit den Aufsichtsbehörden zur Überwachung der Einhaltung des Arbeitsschutzes, das sind die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter oder Ämter für Arbeitsschutz, auseinandersetzen müssen. Diese sind aufgerufen, durch Beratungen und Gespräche vor Ort in Unternehmen unter dem besonderen Blickwinkel der Corona-Epidemie bestehende Arbeitsschutz- und Hygienemängel abzustellen.

Bestehen Mängel, sind Arbeitgeber unter Fristsetzung zur Mängelbeseitigung aufzufordern. Im Falle schwerwiegender Mängel sollen die Behörden deren Abstellung nachverfolgen und ggf. die Verhängung von Bußgeldern erwägen (Ziff. 4.3 Leitlinie zur Beratung und Überwachung während der SARS-CoV-2-Epidemie). Schwerpunkte der Überwachung sind vom örtlichen Infektionsgeschehen abhängig , vorrangig werden Branchen und Bereiche ausgewählt, in denen ein hohes Infektionsrisiko besteht (Ziff. 4.4 Leitlinie zur Beratung und Überwachung während der SARS-CoV-2-Epidemie).

Spontaner Besuch der Gewerbeaufsicht möglich

Drohen nun unangekündigte Besuche der Gewerbeaufsicht? Rechtlich ist dies ohne weiteres möglich, da § 22 Abs. 2 S. 1 ArbSchG den Aufsichtsbehörden ein umfangreiches Betretungsrecht zu Überwachungszwecken einräumt. Als schärfstes Mittel ist bei gravierenden Mängeln überdies nach § 22 Abs. 3 S. 3 ArbSchG eine Betriebsuntersagung möglich.

Gleichwohl: Die Leitlinie betont zunächst den konsensualen Ansatz, der sich durch eine Beratung der Unternehmen und gemeinsame Erörterungen zur Mängelbeseitigung auszeichnen soll. Auch personell dürfte die Aufsichtsbehörden vielerorts nicht in der Lage sein, flächendeckende Betriebsbesichtigungen vorzunehmen. Unternehmen in Risikogebieten oder mit einer Häufung von Infizierten müssen aber ebenso wie in Fällen von (anonymen) Hinweisen von Arbeitnehmern davon ausgehen, unangekündigten behördlichen Besuch zu bekommen.

Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.

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