Das "Mandanten-Schwarzbuch"

Quäl­geister und Wahn­sin­nige mit Sch­reib­ma­schine

von Adrian BechtoldLesedauer: 5 Minuten

Was Anwälte über ihre Mandanten denken, behalten sie meist für sich. Ganz anders Heinrich Stader: In seinem "Mandanten-Schwarzbuch" berichtet er unter einem Pseudonym über seine ganz persönlichen Erfahrungen und spricht aus, was viele Kollegen wohl am liebsten tagtäglich schreien würden. Dabei fehlt es nie an einem Augenzwinkern und einer guten Portion Selbstironie.

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LTO: Herr Stader,  das "Mandanten-Schwarzbuch" ist bei Ihren Kollegen sehr beliebt und wird oft als "Einstiegslektüre" empfohlen. Ist die Beziehung zwischen Anwalt und Mandant besonders kompliziert?

Stader: Lesen Sie von Dr. Bertold Block seine kürzlich erschienene "Patiententypologie". Dann wissen Sie, dass Ärzte genau dieselben Probleme haben. Anwälte sind da keinen Deut was Besonderes. Diese Probleme sind hier wie dort rein rhetorischer Natur: Es wollen Leute mitreden, die keine Ahnung haben. Das kann man sich schlicht nicht bieten lassen. Am schlimmsten sind wohl nach meiner Erfahrung die Architekten dran - im Fall privater Bauherren und ihrer Gestaltungswünsche.

LTO: Mit modernen Suchmaschinen kann schon vor dem Anwaltsbesuch die persönliche Lage umrissen werden. Hat das Internet Mandanten anstrengender gemacht?

Stader: Zweifelsohne sind sie das, und sie sind nicht nur anstrengend, sie sind eine rechte Pestilenz. Man möchte ihnen immerfort in ihre Gesichter brüllen: "Ja, wenn das so ganz anders im Internet steht, als ich Ihnen das hier dargelegt habe, dann lassen Sie Ihren Fall doch am besten von der Suchmaschine weiterbearbeiten. Finden Sie nicht auch?"

Es gehört dringend eine Zensur solcher Netzinhalte her; dafür müsste sich selbst unsere liberale Justizministerin bereitfinden. Immerhin steht die seelische Gesundheit des Anwaltsstandes auf dem Spiel - als übergeordnetes Allgemeinwohlinteresse. Oder gibt es ein Grundrecht auf falsche Information?

"Gesetzliche Gebühren sind eine Wohltat"

LTO: Ein häufiger Streitpunkt zwischen Anwalt und Mandat sind die Kosten für die Rechtsberatung. Speziell gesetzliche Gebühren sind umstritten. Wie reagieren Ihre Mandanten darauf, ohne Beachtung der Arbeitszeit zu bezahlen?

Stader: Gesetzliche Gebühren sind eine große Wohltat. Stellen Sie sich vor, Sie müssten jedes Mal wie ein Aalverkäufer zuallererst die Preise aushandeln. Eine taugliche Alternative wollte bisher auch noch keinem einfallen. Bei Kollegen mit Zeithonorar lesen Sie beispielsweise in der Kostennote, sie hätten anderthalb Stunden zugebracht, eine Vertragsklausel auf ihre Wirksamkeit zu prüfen, von der ich aus meiner Erfahrung auf den ersten Blick sagen konnte, dass sie nichtig war. Der Kollege wusste das offenbar nicht - der las die Zeit über in Büchern.

Wir sehen: Bei Stundenhonorar bezahlt der Mandant im Zweifel gern einmal die Unerfahrenheit seines Rechtsanwalt. Das ist zwar für den sehr schön, sich auf Kosten der Mandantschaft fortbilden zu dürfen, aber will man das?

LTO: Ist es dann nicht einmal schwierig, die vollen Gebühren für eine kurze, effektive Arbeit zu berechnen?

Stader:  Wenn Sie anfangen wollen, effektiv zu arbeiten, also kurz und genau, kriegen Sie nach Versand der Gebührenrechnung unweigerlich einen Anruf: Das ist aber mal viel Geld für so wenig Arbeit! Selbst wenn Sie das Beste herausgeholt haben. An diesem Punkt bin ich seit jeher auf der Suche nach dem Goldenen Schnitt, trage aber recht wenig Hoffnung, dass mir das zu Lebzeiten noch gelingt.

LTO: Wie häufig sind eigentlich Probleme mit dem Mandanten?

Stader: Als ich 1987 anfing geriet man ab und zu an einen Irren. Der schrieb einem wahnsinnige Briefe auf einer alten Gabriele-Schreibmaschine, die beim kleinen "i" Löcher ins Papier stanzte. Natürlich mit Durchschlag an Bundespräsident, Petitionsausschuss, Handwerkskammer, Arbeitsminister und vielen anderen. Darüber hat man sich amüsiert und sich an der Theke zum Bier die Briefe vorgelesen.

Mittlerweile haben Sie unter den Mandanten mit steigender Tendenz einen Bodensatz von 5% Verstrahlten; also Leuten, die sich ihre Rechtsirrtümer aus dem Internet heruntergeladen haben und die man dann Punkt für Punkt widerlegen muss, oder ihre E-Mails lauten beispielsweise wie: "Da der Gerichtstermin unweigerlich näher rückt, habe ich noch einige offene Punkte / Fragen". Gefolgt von einem Dutzend Fragen zu Ablauf, Zeitplänen und Wohnmobilparkplätzen.

Man meide klare Ansagen

LTO: Sie schreiben in Ihrem Buch, durchaus einmal Mandanten vor die Tür zu setzen. Haben sich die ehemaligen Kunden dafür schon einmal revanchiert?

Stader: Nein. Das traute sich ja keiner. Die Leute wissen sehr genau, dass dann mit Sicherheit im Gegenzug etwas noch perfideres zurückkäme. An diesem Punkt kommt uns der miserable Ruf des Berufsstandes höchst vorteilhaft zugute.

LTO: Was würden Sie einem jungen Kollegen empfehlen, der solch schwieriger Mandantschaft gerne aus dem Weg gehen würde?

Stader: Da gibt es nur einen einzigen Rat: einen anderen Beruf ergreifen. Im Ernst - Prophylaxe ist da ja gar nicht möglich. Beherzigen sollte man grundlegend nur eines: Man meide klare Ansagen, meide jede Spur von Wahrheit. Das Volk verträgt das nicht. Niemals eröffne man zum Beispiel einer Scheidungskandidatin: Das Haus können Sie auf Dauer nicht halten. Denn dann ruft die: "Ja aber meine Kinder!! Was sind Sie für ein Mensch!!" – schluchzt in ein Taschentuch, stürmt hinaus.

Drei Tage später kündigt ein Kollege das Mandat und fordert barschen Tones Einsicht in unsere Akte. Und ein Dreivierteljahr später liest man an der Gerichtstafel vom Versteigerungstermin. Letzteres bringt eine schale, leere Befriedigung, doch wie es so geht in unserem Beruf mit den schalen, leeren Befriedigungen: sie geben eine tiefe, warme Zufriedenheit.

"Lästige Quälgeister fliegen raus"

LTO: Wie reagieren andere Anwälte auf die direkten Formulierungen in Ihrem Buch?

Stader: Ein Kollege aus dem äußersten Norddeutschland hat dem Verlag geschrieben: "Es ist leider alles, alles wahr." Ein Kollege aus dem äußersten Süddeutschland hat in der Zeitung geschrieben: "Alles, was in dem Buch über Mandanten geschrieben steht, stimmt." Offenbar kann es bundesweit nicht direkt genug sein.

LTO: Sie kritisieren Ihre Mandanten deutlich. Was treibt Sie jeden Tag an, wieder in die Kanzlei zu gehen?

Stader: Es ist der freie Beruf im vollsten Wortsinne. Sie dürfen als Rechtsanwalt zum Beispiel straflos alle Gegner beleidigen (das ist "Wahrnehmung berechtigter Interessen"). Ich kann ja wirklich machen, was ich will. Die paar Quälgeister sind zwar lästig, aber wenn sie es übertreiben, dann fliegen sie halt raus.

Die allermeisten Mandanten sind aber doch friedliche Menschen, hören sich an, was man sagt, arbeiten mit und freuen sich am Ergebnis. Einige kommen sogar nach der Niederlage vor Gericht und sagen: so haben Sie es uns ja prophezeit. Sie dürfen als Anwalt nur eins nicht tun: falsch prophezeien. Das ist ein Verbrechen am Mandanten. Und dafür, dass man nach den Standards unserer deutschen Ingenieurkultur nun wahrlich nichts Richtiges gelernt hat, ist der Beruf relativ gut bezahlt.

LTO: Herr Stader, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Adrian Bechtold.

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Thema:

Mandantenmanagement

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