Stimmtraining für Juristen

"Teil­weise singen wir ganze Arien"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Mit einer klaren Stimme kann man im Gerichtssaal oder bei Mandantengesprächen überzeugen. Stimmcoach Ute Bolz-Fischer erklärt im Interview, welche Bedeutung die Atmung hat – und wie sie die Stimme ihrer Klienten durch Singen schult.  

LTO: Frau Bolz-Fischer, Sie sind Stimmcoach, Sängerin und Musikwissenschaftlerin, also sehr kreativ unterwegs. Mit "Law & Voice" haben Sie sich auf die Arbeit mit Juristinnen und Juristen spezialisiert, die im Volksmund als eher trocken wahrgenommen wird. Wie passt das zusammen?

Ute Bolz-Fischer: Mein privates Umfeld ist juristisch geprägt: Mein Mann ist Richter, bei uns in der Familie gibt es viele Anwältinnen und Anwälte. Einer meiner Söhne ist Rechtsreferendar, der andere macht in diesem Jahr sein erstes Examen.  

Eines Tages sagte mein Mann zu mir, vor Gericht bemerke er immer wieder Defizite in der stimmlichen Qualität von Anwältinnen und Anwälten. Teilweise könnten sie ihre ausgezeichneten Qualifikationen stimmlich nicht rüberbringen. Deshalb habe ich mich der Sache angenommen und biete seit einigen Jahren Stimmtraining für Juristinnen und Juristen an.  

Welche Faktoren haben Einfluss auf die Stimme, was macht unsere Stimme aus?

Vor allem die Atmung bestimmt, wie unsere Stimme klingt. Damit die Stimmbänder locker schwingen können, der Hals nicht verkrampft ist und man dort keinen Druck aufbaut, ist es wichtig, die sogenannte Tiefatmung wieder zu erlernen. Eigentlich werden wir mit der richtigen Atmung, das heißt der Atmung aus dem Unterleib, geboren. Das beste Beispiel sind kleine Babys, die stundenlang schreien können, ohne heiser zu werden. Diese Atmung müssen wir wieder erlernen.

Viele Menschen atmen nur in den Brustraum hinein: Dies ist die sogenannte Hoch- oder auch Stressatmung. Das führt dazu, dass der Hals verengt und der Kehlkopf immer weiter nach oben geschoben wird. Deshalb sind auch viele Stimmen zu hoch und zu eng – das kann man durch die richtige Atmung ändern.

Es wird zu wenig ausgeatmet. Wenn man immer nur einatmet, wird der Atemmuskel, das Zwerchfell, inaktiv. Das Zwerchfell arbeitet nur dann, wenn Sie die Luft regelmäßig komplett ausatmen. Atmet man in den Unterleib, strahlt man auch mehr Souveränität und Ruhe aus – also das, was der Jurist bzw. die Juristin braucht.  

Wie sieht die richtige Atmung aus?

Zuerst muss man tief ausatmen. Beim Einatmen sollte man die Schultern unten lassen und sich nur auf den Bauch bzw. den Rücken konzentrieren. Als erste Übung könnte man zum Beispiel erst ausatmen und dann eine Hand auf den Bauch und die andere auf den Rücken legen. Beim Einatmen sollte man genau dorthin atmen, wo die Hände sind. Von dort aus geht die Reise immer weiter nach unten. Diese Übungen können die Klientinnen und Klienten auch im Büro machen und so in den Alltag integrieren.  

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"Man lernt, seine Stimme je nach Situation unterschiedlich einzusetzen"

Warum ist die Stimme für Juristinnen und Juristen so wichtig?

Über die Körperhaltung, die Ausstrahlung und in erster Linie die Stimme wird Vertrauen aufgebaut. Wenn die Stimme z. B. zu brüchig, heiser oder zu hoch ist, wirkt das nicht sympathisch. Gerade in der Akquise, bei Mandantengesprächen, vor Gericht oder bei Präsentationen kann man mit seiner Stimme punkten. Je klangvoller und angenehmer die Stimme ist, desto lieber hören andere Menschen zu.  

Es geht nicht nur um das laute Sprechen oder die Deutlichkeit, sondern vor allem um den Klang. Wenn Sie die Resonanzräume, die sich im Kopf, im Brustraum und im Unterleib befinden, ausbauen, wird auch die Stimme von selbst voluminöser. Um lauter zu sprechen, drücken viele erstmal mit dem Hals. Das geht vielleicht eine kurze Zeit gut, aber dann macht die Stimme nicht mehr mit.

In meinem Stimmcoaching lernt man, seine Stimme je nach Situation unterschiedlich einzusetzen und sich seinem Gegenüber anpassen: Eine zierliche Person, die sehr filigran spricht, sollte man nicht mit einer bestimmenden Stimme überfrachten. Auf der anderen Seite muss ein Richter etwa bei der Verlesung des Tenors Autorität ausstrahlen oder ein Anwalt sein Plädoyer überzeugend vortragen.

Früher gab es Mandantengespräche vor allem in der Kanzlei bzw. beim Mandanten oder bei der Mandantin, jetzt bestimmen Videokonferenzen den juristischen Alltag. Inwiefern wirkt sich das auf die Stimme aus?

Bei Videokonferenzen steht allein die Stimme im Fokus. Die weiteren Faktoren, etwa der Raum, die Kleidung oder die Ausstrahlung, mit denen Menschen in Präsenzzeiten gepunktet haben, spielen so gut wie keine Rolle mehr. Das Gegenüber sieht bei digitalen Konferenzen nur den Kopf und hört die Stimme – ganz "präsent". Man kann nicht weghören, daher fallen viele Defizite auf.

Durch die Übertragung werden die Daten komprimiert, deshalb kommt die Stimme bei Videokonferenzen ohnehin schlechter an, das gilt insbesondere bei hohen Stimmen. Durch die Technik werden die hohen Frequenzen beschnitten, deshalb ist es wichtig, an der Stimme zu arbeiten, um dies zu kompensieren.

Viele merken aufgrund der häufigen Videokonferenzen auch, dass sie an ihrer Stimme arbeiten müssen.  

Welche Klientinnen und Klienten kommen zu Ihnen und welche Anliegen haben Sie?

Das sind unterschiedliche Personengruppen, von Referendarinnen und Referendaren über Associates bis hin zu Partnerinnen und Partnern. Auch Kanzleien kommen auf mich zu, um ihren Associates, aber auch ihren Partnerinnen und Partnern entsprechende Coachings anzubieten – denn von einer guten Stimme profitieren diese und somit auch die Kanzlei, z. B. bei Pitches und in der Akquise. Ich bereite Kandidatinnen und Kandidaten auch oft auf mündliche Prüfungen vor – auch da kann man mit seiner Stimme punkten, vor allem beim Aktenvortrag.

"Jeder Mensch hat eine Wohlfühllage der Stimme"

Wie sieht ein erstes Stimmtraining mit einem neuen Klienten bzw. einer neuen Klientin aus?

Es ist sehr wichtig, tief zu atmen – und genau das lernt man am Anfang. Es gibt verschiedene Übungen, die durchgeführt werden. Zuerst lernen wir, komplett die Luft auszuatmen, sodass das Zwerchfell die Arbeit aufnimmt.

Jeder Mensch hat eine Wohlfühllage der Stimme, das ist die Lage, in der man am lockersten spricht. Diese ist bei jedem Menschen anders. Viele Menschen sprechen aufgrund falscher Atmung und einer Kehlkopfhochstellung zu hoch – und das stresst. Wenn man die Wohlfühllage herausgefunden hat, muss man aber auch trainieren, in dieser Lage zu sprechen. Wie im Fitnessstudio muss man jeden Muskel trainieren. Das braucht Zeit, aber es funktioniert.  

Wie findet man denn die eigene Wohlfühllage heraus?

Durch Summen. Ich lasse den Klienten bzw. die Klientin verschiedene Töne ausprobieren, bis wir zu der Lage gelangen, worin er oder sie sich wohlfühlt. Dies ist bei jedem Menschen völlig unterschiedlich. Von diesem Ton aus gehen wir weiter nach oben, um alle Frequenzen – die mittleren, tiefen und hohen – abzudecken. Diese machen im Endeffekt den Klang der Stimme aus.

"Teilweise singen wir auch ganze Arien"

Wie kann man am Klang der Stimme arbeiten?

Man muss selbst Töne produzieren und nicht nur summen, sondern singen, um die Stimmbänder zu trainieren und zu kräftigen. Viele Menschen haben noch nie, auch nicht in der Schule, gesungen. Aus diesem Grund dauert es meistens eine Zeit lang, bis die Töne richtig getroffen werden. Aber bei den meisten klappt es nach zwei oder drei Coaching-Stunden. Der Tonumfang – von den tiefen bis zu den hohen Tönen – muss langsam aufgebaut werden. So wird die Stimmfarbe flexibler und die Klientinnen und Klienten bleiben auch in den Extremlagen stimmlich locker und drücken die Töne nicht aus dem Hals.

Man sollte denken, Juristinnen und Juristen würden sich weigern, zu singen – aber das Gegenteil ist der Fall! Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass durch das Singen Cortisol abgebaut und Immunglobulin A aufgebaut wird, also insgesamt das Stresslevel gesenkt wird. Neben den positiven Effekten für den Beruf tut man also auch noch für sich selbst etwas Gutes.

Ein weiterer schöner Nebeneffekt: Es gibt viele Talente unter den Juristinnen und Juristen, die gar nicht wussten, dass sie gut singen können. Teilweise singen wir dann sogar ganze Arien. Das ist etwas ganz anderes als Jura und es macht etwas mit dem Körper, wenn man die Stimme als ureigenstes Instrument so einsetzen kann.

Welche abschließenden Tipps können Sie Juristinnen und Juristen für ihre Stimme geben?

Zunächst sollten sie sich auf das Ausatmen konzentrieren und nicht nur immer einatmen. Zudem kann ich die Gähnübung empfehlen: Den Kiefer weit öffnen, bis der Gähnreflex ausgelöst wird, um den Hals zu öffnen. Die Idealstellung für die Weite des Halses ist die Gähnstellung. Beim Gähnen ist auch der Hals sehr weit – und diese Weite geht durch den ganzen Körper. Wenn der Hals zu geschlossen ist, ist auch die Stimme gestresst, weil sie nicht schwingen kann.

Wenn Sie eine Stimme aufbauen wollen, müssen Sie diszipliniert sein und am Ball bleiben. Die Stimme hängt mit der Muskulatur zusammen, deshalb muss man immer wieder an sich arbeiten. Das ist wie in der Juristerei: Wenn man beschließt, sich nicht mehr fortzubilden, kann man direkt einpacken.

Vielen Dank für das Gespräch.

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