Betriebliches Eingliederungsmanagement vor Kündigung

Wenn die Krank­heit lange dauert

Gastbeitrag von Gerd KaindlLesedauer: 4 Minuten

Wer wegen Krankheit lange nicht arbeiten konnte, benötigt ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Wie ein solches abläuft und was Ziele und Tabus der Maßnahme sind, erläutert Gerd Kaindl.

Krankheit und Unfälle können jeden treffen. Die Auswirkungen spüren die Betroffenen selbst, zudem aber auch die Kolleg:innen und die Arbeitgeber:innen. Die Betroffenen hadern womöglich mit dem verschlechterten Gesundheitszustand, die Kolleginnen und Kollegen werden durch das zusätzlich abzudeckende Arbeitsaufkommen belastet. Die Unternehmen müssen mit höheren Kosten und Störungen im Betriebsablauf rechnen. Die Folgen einer Gesundheitsbeeinträchtigung können sich also nicht nur auf die unmittelbar Betroffenen für lange Zeit negativ auswirken.  

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) geschaffen. Es greift, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Über ein ergebnisoffenes Verfahren sollen in einem solchen Fall die Parteien die Arbeitsunfähigkeit überwinden und einer erneuten Krankheit vorbeugen. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann auf diese Weise ihr Arbeitsplatz erhalten werden, für Unternehmen bietet das Konstrukt den Vorteil, dass ihre vertrauten Beschäftigten womöglich auf ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.

Anzeige

BEM – nur im Einvernehmen

In der Praxis lädt das Unternehmen die betroffene Person zu einem Gespräch über das BEM ein mit dem Ziel, einen Weg zur Rückkehr in den Job zu finden oder Krankheit zu vermeiden. Als Beispiele sind die stufenweise Wiedereingliederung, der Einsatz technischer Hilfsmittel, die Suche nach leidensgerechten Einsatzmöglichkeiten und/oder Umschulungen zu nennen. Bei der Suche nach der passenden Methode haben die Beteiligten einen weiten Spielraum. Voraussetzung ist allerdings, dass der oder die Arbeitnehmerin schon dem BEM-Gespräch und dann auch der Maßnahme zustimmt.  

Einigen sich die Arbeitsparteien, muss das Unternehmen den vereinbarten Weg umsetzen. Das kann im Falle einer stufenweisen Wiedereingliederung die Organisation einer stundenweisen Rückkehr des oder der Arbeitnehmer:in in den Job sein, für die der Arzt einen Zeitplan festlegt. Erst mit der vollständigen Umsetzung der Maßnahme ist das BEM beendet.  

Allerdings: Können sich die Beteiligten nicht auf eine Maßnahme verständigen, endet das BEM ebenfalls. Die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben zudem das Recht, ein laufendes Verfahren jederzeit ohne Nennung von Gründen zu beenden.

"Haltbarkeit" des BEM

Ist ein BEM abgeschlossenen, so muss das Unternehmen das Verfahren ein weiteres Mal einleiten, falls ein:e Beschäftigte:r innerhalb eines Jahres nach Abschluss des BEM erneut für einen Zeitraum von länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt (Urt. v. 18.11.2021, Az. 2 AZR 138/21) und damit den Streit beendet, ob ein BEM für einen bestimmten Zeitraum Bestand haben muss, wie einige Stimmen vertraten. Dieser Ansicht hat das BAG eine Absage erteilt.

Diese Frage der "Haltbarkeit" ist von hoher Praxisrelevanz. Denn ein ergebnisloses BEM kann die Arbeitgeberseite dazu veranlassen, als nächsten Schritt eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen. Eine solche kann jedoch grundsätzlich nur nach Durchführung eines ordnungsgemäßen BEM Aussicht auf Erfolg haben - im Zweifel müssen Unternehmen also ein weiteres BEM-Verfahren einleiten - bevor sie zur Kündigung greifen.

Doch was ist, wenn das Unternehmen das Verfahren nicht erneut durchführen möchte? Nur in Einzelfällen wird sich ein Unternehmen unter Umständen darauf berufen können, dass ein erneutes BEM von vorneherein überflüssig gewesen wäre, da es keine Veränderung gebracht hätte – dies beispielsweise, weil eine alternative Beschäftigung oder andere Maßnahmen aufgrund einer dauerhaften und umfassenden Arbeitsunfähigkeit keinen Sinn ergeben würden.

Beschäftigte können BEM nicht einklagen

Die betroffenen Beschäftigten selbst haben indes nach der Rechtsprechung des BAG keinen Anspruch auf Durchführung eines BEM gegenüber ihrem Arbeitgeber oder ihrer Arbeitgeberin (Urt. v. 07.09.2021, Az. 9 AZR 571/20). Denkbar wäre für sie lediglich ein Anspruch auf Schadensersatz. In der Praxis müssten die Beschäftigten jedoch einen Schaden infolge des unterbliebenen BEMs beweisen können.

Ein Klagerecht haben allerdings der Betriebsrat und - bei schwerbehinderten/gleichgestellten Menschen - die Schwerbehindertenvertretung.  

Eine Vertrauensperson darf dabei sein

Der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung kommen im BEM-Verfahren auch als Beteiligte in Betracht, darüber hinaus z.B. noch der Betriebsarzt, das Integrationsamt, eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, die Krankenkasse, etc. Die Teilnahme erfordert jedoch jeweils die Zustimmung der betroffenen Beschäftigten.

Die Betroffenen dürfen nach einer gesetzlichen Neuregelung seit dem 01.01.2022 zudem eine Vertrauensperson ihrer Wahl hinzuziehen (§ 167 Abs. 2 Satz 2 SGB IX), dies kann auch ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin der Arbeitnehmerseite sein. Nach der alten Rechtslage durften die Mitarbeiter:innen einen Anwalt bzw. eine Anwältin nur mit Einverständnis der Arbeitgeberseite in das BEM-Verfahren einbeziehen.  

Die Beteiligung eines Rechtsbeistands auf beiden Seiten kann das Verfahren erleichtern. Denn die Parteien können im Falle von strittigen Punkten Rechtsklarheit erlangen. Im Übrigen fürchten Arbeitnehmer:innen oftmals den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Hier kann eine rechtliche Beratung für ein sicheres Gefühl bei den Beschäftigten sorgen und das Finden geeigneter BEM-Maßnahmen gefördert werden. Dies ist auch für das Unternehmen erstrebenswert.

Ziel ist (meist) immer der Bestand

Tatsächlich dürfen Themen wie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gar nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. Denn das BEM soll den Arbeitsplatz erhalten und nicht das Beschäftigungsverhältnis auflösen. Damit sind z.B. ein Aufhebungsvertrag und eine (krankheitsbedingte) Kündigung tabu. Anderenfalls wäre das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht ordnungsgemäß erfolgt.  

Für die Arbeitgeberseite würde sich das negativ auf die Erfolgsaussichten einer krankheitsbedingten Kündigung auswirken. Nach Scheitern des BEMs kann das Unternehmen allerdings die krankheitsbedingte Kündigung als letztes Mittel zumindest in Erwägung ziehen und prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Denn das abgelaufene BEM bietet keinen Bestandsschutz für das Arbeitsverhältnis, wie die Rechtsprechung zu Recht entschieden hat (BAG, Urt. v. 29.06.2017, Az. 2 AZR 47/16).

Der Autor Gerd Kaindl ist Partner bei Advant Beiten und dort als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Praxisgruppe Arbeitsrecht am Standort München tätig.

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Arbeitsunfall

Verwandte Themen:
  • Arbeitsunfall
  • Berufskrankheit
  • Kündigung
  • Human Ressources

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter