Verdienst in der Berufsorientierung

Wann gibt es im Prak­tikum den Min­dest­lohn?

Gastbeitrag von Roland KleinLesedauer: 6 Minuten

Praktika sind ein probates Mittel, um die eigenen Präferenzen für Berufsfelder zu überprüfen. Außerdem sind sie vielfach in Ausbildungs- oder Studienordnungen vorgeschrieben. Wann es dafür Geld gibt, erklärt Roland Klein.

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"Scheinpraktika" als getarnte Billigjobs zu bekämpfen, ohne das echte Praktikum als Berufsorientierung oder Bestandteil der Ausbildung zu gefährden, – das war eine der Zielsetzungen, die der Bundesgesetzgeber verfolgt hat, als er im Jahr 2015 den gesetzlichen Mindestlohn einführte. Diese Abwägung in einer Regelung zu formulieren, ist weder dem Gesetzgeber leichtgefallen, noch ist sie in der der Praxis immer einfach. Wann muss Mindestlohn an Praktikanten gezahlt werden, wann nicht?  

Die Antwort scheint auf den ersten Blick ins Gesetz recht durchschaubar zu sein: Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben alle Arbeitnehmer:innen (§ 22 Abs. 1 S. 1 MiLoG) Praktikant:innen im Sinne des § 26 Berufsbildungsgesetz sind über § 22 Abs. 1 S. 2 MiLoG in den Kreis der Berechtigten einbezogen, auch wenn sie keinen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben.  

So als wäre dem Gesetzgeber sein eigener Verweis auf § 26 Berufsbildungsgesetz (BBiG) noch nicht deutlich genug, definiert er im folgenden Satz 3 des § 22 MiLoG einen Praktikanten als Person, die "sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine vergleichbare praktische Ausbildung handelt". 

Die Grundregel lautet demnach, Praktikant:innen kriegen Mindestlohn, Auszubildende nicht. Auf die Bezeichnung des Vertrags selbst kommt es dabei nicht an, sondern auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses.  

Kein Mindestlohn bei Förderung der Ausbildung 

Damit ist die Suche nach der vollständigen Antwort auf die Ausgangsfrage aber noch nicht zu Ende. Denn neben der Berufsausbildung und einer damit vergleichbaren praktischen Ausbildung nennt § 22 vier weitere Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht. 

Nr. 1 Praktika, die verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie geleistet werden 

Nr. 2 Praktika, die bis zu drei Monate zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums zu leisten sind 

Nr. 3 Praktika, die bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung zu leisten sind, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis bestanden hat  

Nr. 4 Praktika als Einstiegsqualifizierung nach § 54a SGB III oder eine Berufsausbildungsvorbereitungsmaßnahme nach §§ 68 bis 70 SGB III. 

All diesen Fällen ist gemeinsam, dass der Gesetzgeber das mindestlohnfreie Praktikum im Sinne einer Förderung von beruflicher Aus- und Weiterbildung ermöglichen möchte, weil er in den genannten Fällen Missbrauchsgefahren als nicht gegeben ansieht bzw. diese durch entsprechende Einschränkungen von vornherein begrenzt. 

Dies lässt sich zum einen beim verpflichtenden Praktikum nach Nr. 1 daraus ableiten, dass sich eine entsprechende Verpflichtung aus einer (Hoch-)Schulordnung ergibt. Das Praktikum dient also nicht in erster Linie Erwerbsinteressen von Arbeitgebenden, sondern muss im Rahmen einer Ausbildung absolviert werden. In diesem Fall bedarf es hier keiner eigenen gesetzlichen zeitlichen Vorgabe, da diese sich aus der jeweiligen Ausbildungsordnung selbst ergeben wird. Dauert das Praktikum demnach nach Vorgabe der Studienordnung sechs Monate, so führt dies nicht zu einer Mindestlohnpflicht nach Nr. 1.   

Kein Mindestlohn bei Studienvorbereitung 

Ferner hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) kürzlich auch solche Praktika aus der Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns ausgenommen, die vor Aufnahme eines Studiums nach Vorgabe der Hochschule als Aufnahmebedingung absolviert werden müssen (BAG, Urt. v. 19.01.2022, Az. 5 AZR 217/21).  

Geklagt hatte eine angehende Medizinstudentin, die vor Studienbeginn ein mehrmonatiges Praktikum in einem Krankenhaus absolviert hatte und für diesen Zeitraum eine Bezahlung nach dem MiLoG verlangte. Nach dem Wortlaut des MiLoG war fraglich, ob nur Praktikumsvorgaben für bereits eingeschriebene Studenten erfasst sind. Das BAG argumentierte überzeugend, dass auch entsprechende Aufnahmevorschriften als Ausnahme vom MiLoG zulässig seien. Denn bei einer Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns sei eine Beschränkung des Zugangs zur Hochschule und damit zum gewünschten Beruf zu befürchten. Im vorliegenden Fall war unschädlich, dass die Vorgabe von einer privaten Universität stammte. Insoweit sei ausreichend, dass diese staatlich anerkannt sei, stellte das BAG klar. Eine sachwidrige Umgehung des MiLoG sei in dem Fall ausgeschlossen.  

Bis zu drei Monate unentgeltlich schnuppern 

Bei sogenannten Orientierungspraktika oder auch Schnupperpraktika nach Nr. 2 wird der Missbrauchsgefahr dagegen durch eine gesetzliche Beschränkung der maximalen mindestlohnfreien Dauer auf drei Monate begegnet. Denn hier fehlt es an zeitlichen Vorgaben Dritter für die Dauer und den Inhalt des Praktikums. Vielmehr soll der Praktikant, der sich noch nicht in einer entsprechenden Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit befindet, erst selbst herausfinden, ob ein bestimmter Beruf seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechen kann oder nicht.  

Das Orientierungspraktikum darf nur längstens drei Monate dauern, es muss aber nicht zwangsläufig ununterbrochen absolviert werden. Wird das Praktikum aus in der Person des Praktikanten liegenden Gründen unterbrochen und dann um die Dauer der Unterbrechung verlängert, dann schadet die Verlängerung nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zwischen den einzelnen Abschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und die Höchstdauer von drei Monaten nicht überschritten wird. Dabei kann laut BAG ein Monat pauschal in 30 Tage umgerechnet werden (BAG, Urt. v. 30.01.2019, Az. 5 AZR 556/17). Laut BAG kommt es auch nicht darauf an, ob die Unterbrechung vor Aufnahme des Praktikums bereits vereinbart war oder erst während des laufenden Praktikums ausgemacht wird. 

Kein Mindestlohn für Spaßpraktika 

Praktika, die dagegen begleitend zu einer bereits laufenden (Hochschul)-Ausbildung sinnvoll, aber nicht vorgeschrieben sind, werden nach der Nummer 3 ebenfalls auf drei Monate beschränkt -danach unterfallen sie dem MiLoG und müssen bezahlt werden. Zudem hat der Gesetzgeber ein Vorbeschäftigungsverbot verhängt, um auch hier mindestlohnfreie "Kettenpraktika" zu verhindern. Aus dieser Fallnummer ergeben sich derzeit die wohl einschneidendsten Beschränkungen für die Unternehmen und Institutionen: Vor Inkrafttreten des MiLoG war es etwa im Kulturbereich gängig, Studenten einschlägiger Studienrichtungen dauerhaft als billige Arbeitskräfte einzusetzen.  

Frühere bzw. vorherige Praktikumsverhältnisse schließen ein erneutes mindestlohnfreies Praktikum generell aus. Darüber hinaus lassen sich die Grundsätze des zitierten BAG-Urteils zu Unterbrechungen des Schnupperpraktikums nicht ohne Weiteres auf das studienbegleitende Praktikum nach Nr. 3 übertragen, denn eine Unterbrechung könnte hier zu der Annahme eines bereits zuvor bestehenden Praktikums führen, welches in der Nr. 3 zur Mindestlohnpflicht führt. Auch wenn die Übertragung der Überlegungen des BAG nach Ansicht des Verfassers auch in diesem Fall gut vertretbar wäre -ein vorsichtiger Arbeitgebender sollte derzeit im Zweifel bei Unterbrechungen auf eine Fortsetzung oder Verlängerung verzichten, wenn er/sie die Zahlung des Mindestlohns vermeiden möchte.  

Kein Mindestlohn bei praktischer Ausbildung 

Ein weiteres Problem ist im bereits zitierten Satz 3 des § 22 Abs. 1 MiLoG verborgen: denn ausgenommen vom Mindestlohn soll auch eine "mit dem Berufsbildungsgesetz vergleichbare praktische Ausbildung" sein. Wann aber liegt Vergleichbarkeit vor, sodass eine Ausnahme gerechtfertigt erscheint?  

Im Fall eines syrischen Zahntechnikers, der eine sogenannte Anpassungsqualifizierung absolvierte, um als Zahntechniker auch in Deutschland zugelassen zu werden, entschied das BAG, das ein entsprechendes Praktikum nach Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz nicht der Mindestlohnpflicht unterfällt. Die Entscheidung enthält wertvolle Hinweise zum Begriff der "vergleichbaren beruflichen Ausbildung". Laut BAG sei ein Praktikum dann mit einer Berufsausbildung vergleichbar, wenn es im Hinblick auf Lernziele und Lernmethoden sowie deren Vermittlung anhand eines didaktischen Konzepts und im Hinblick auf seine Anerkennung im Berufsleben als Weg zum Berufseinstieg angesehen werden kann (BAG, Urt. v. 18.11.2020, Az. 5 AZR 103/20). Das kann auch für Volontariate und Traineeprogramme gelten, muss aber im Einzelfall und kritisch geprüft werden. 

Dr. Roland Klein, Partner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der multidisziplinären Kanzlei Schomerus in Berlin. Er berät sowohl gewerbliche wie auch gemeinnützige und karitative Arbeitgeber und Non-Profit Organisationen im Kollektiv- wie Individualarbeitsrecht und arbeitet eng mit seinen Partnerinnen und Partnern aus der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung zusammen.

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