Special Anwaltstag: Advokaten im Web 2.0

Mit dem Mandanten auf Klick und Klick

von Judith HammerLesedauer: 6 Minuten
Bloggen zwischen Aktenstapeln, twittern in der Verhandlungspause: Immer mehr Rechtsanwälte erobern das Web 2.0. Ob Mandantenakquise oder Selbstdarstellung, die Ziele sind verschieden und ebenso der Erfolg. Glaubwürdig bleiben, Vertrauen schaffen und sich der Öffentlichkeit stellen – wer das richtig macht, kann nur gewinnen, sagen PR-Experten.

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Deutsche Rechtsanwälte lassen die Tasten glühen: Über 470 Blogs nennt das Verzeichnis www.jurablogs.com, Tendenz steigend. Bei Twitter sieht es ähnlich aus: Laut der Twitter-Liste von Ralf Zosel, Jurist und Community-Manager bei der Saarbrückener e.Consult AG, sind es aktuell über 430. Vor zwei Jahren zählte er nur 80. Dabei sind die Inhalte sehr unterschiedlich: "Einige Kollegen betreiben interessante und für Laien und Kollegen gut lesbare Blogs, die sehr unterhaltsam sind. Andere schreiben eher wissenschaftlich oder auf einem fachlich enorm hohen Niveau, das insbesondere für Laien nicht mehr auf Anhieb verständlich ist", beobachtet der Kölner Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Dominik Boecker.  Aber wenn die Zielgruppe stimme, müsse das kein Fehler sein, meint der Spezialist, der selbst in Seminaren seinen Kollegen das Werkzeug für Social Media an die Hand gibt. Sein Juristenkollege Christian Dingler, der in seiner Agentur genuin4 in Köln Rechtsanwälte in Sachen Public Relations berät, sieht das ähnlich: "Es gibt wenige, die es schlecht machen und noch weniger, die es richtig gut machen." Viele fingen jetzt erst an, das Web 2.0 für sich zu entdecken. "Die Mehrzahl der in Social Media aktiven Anwälte kommt aus kleinen Kanzleien. Offizielle Social Media Angebote von Großkanzleien sind äußerst selten und bleiben hinter den Möglichkeiten zurück." Weniger als 1 Prozent der gesamten Anwaltschaft habe das Potential bisher erkannt, schätzt Rechtsanwalt Michael Friedmann aus Hannover, der als einer der Geschäftsführer der QNC GmbH das Rechtsportal www.123recht.net betreibt. Vorurteile gegen das Medium könnten der Grund für die Zurückhaltung sein, so Experte Christian Dingler. So empfänden viele die Social Media als "Low Class" oder als Spielerei, man habe dort keine Kontrolle über das, was man äußert oder dürfe als Organ der Rechtspflege keine Publicity erzeugen. "Und die Klassiker: 'Das kostet nur Zeit und Nerven, bringt nichts und die Mandanten haben kein Verständnis dafür.'"

Vertrauen und Verschwiegenheit, auch im Web 2.0

Gerade der Jurist tut von Berufs wegen gut daran, sich seine Schritte im Netz gut zu überlegen: "Insbesondere die Vertraulichkeit der Kommunikation mit dem Anwalt und seine Verschwiegenheit sind zentrale und hohe Güter, die unbedingt gewahrt bleiben müssen", so Dominik Boecker, der selbst bloggt und twittert. Neben dem Anwaltsgeheimnis hält die Frage, wieviel an Werbung zulässig sei, manche Juristen von eigenen Aktivitäten im Web 2.0 ab.  PR-Experte Dingler wird häufig nach den Fallstricken bei Twitter und Co. gefragt. Aber: "Ein Anwalt, der offline souverän mit dem Berufsrecht umgeht, wird dies auch online tun. Sorgen muss sich eigentlich nur machen, wer es mit den standesrechtlichen Vorgaben nicht so genau nimmt, denn was einmal im Netz steht, bleibt in den meisten Fällen auch auffindbar." Seriösität ist das Kapital, das ein Anwalt auch im Netz nicht verspielen sollte. Auch bei der Pflege des eigenen Netzwerkes ist das wichtig: "Ich muss von jedem einzelnen Kontakt wissen, wer er ist und was er wo macht und wie gut er darin ist, damit es mir etwas bringt. Und meine Kontakte müssen das über mich wissen. Reines Kontaktesammeln, nur um Kontakte zu haben, ist daher brotlose Kunst und wirkt schnell eitel und unseriös. Xing und LinkedIn sind für mich lediglich die Plattformen oder Online-Adressbücher, mit denen ich mein ganz reales Netzwerk verwalte", empfiehlt Christian Dingler. Mandanten, die früher Kanzleibroschüren lasen oder die Homepage studierten, erfahren jetzt in Echtzeit, wo sich ihr Anwalt befindet und vielleicht sogar, was er in seiner Freizeit macht. Rechtsanwalt Boecker hat damit verschiedene Erfahrungen gemacht: "Einige Mandanten bemerken das Engagement nicht. Andere Mandanten finden mich gerade ob oder trotz meines netzpolitischen Engagements." Aber die Zielgruppe ist dieselbe: "Denn auch der Mensch im Web lebt – und der überwiegende Teil der Bevölkerung nutzt das Netz. Das Netz ist mehr als nur ein Abbild der Wirklichkeit, denn es ist seinerseits auch Wirklichkeit, aber ohne Menschen gäbe es kein Netz."

Juristen können alles selbst - auch PR

Ein Jurist erarbeitet sich von Berufs wegen auch die schwierigsten Themen im Handumdrehen, und sprachlich macht ihm ohnehin niemand etwas vor. Gilt das auch für Auftritte im Web 2.0? PR-Experte Christian Dingler sieht das kritisch. Typische Juristenfehler gäbe es zwar nicht. Aber: "Die Fehler ähneln denen anderer Branchen. Einfach mal starten, ohne zu wissen, was man will, verschiedene Plattformen mit Verkündungskommunikation bombardieren." Auch sprachlich müssen manche Anwälte also umdenken. Ein Blog ist kein Schriftsatz. Steife Formulierungen und zu viel Fachvokabular, Passivkonstruktionen und Substantivierungen führten dazu, dass die Angebote keinen Erfolg hätten, so Dingler. Besser vertraue sich der Anwalt einem Profi an. Die zentrale Frage laute: "Wie bekomme ich meine Botschaft in den Kopf eines potenziellen Mandanten?" Kommunikationsziele und Strategien entwickeln, die Maßnahmen in die Kanzleiabläufe integrieren, Technik auswählen und die Erfolge messen gelingen mit Hilfe eines ungetrübten Blickes von außen besser, meint Christian Dingler. Was den Inhalt betrifft, stellt sich zunächst die Frage, ob man dem Leser mehr als Werbung bieten will. Rechtsanwalt Boecker stellt diesen Anspruch an sich selbst, denn auch er wende als Leser schließlich seine Zeit auf: "Daraus möchte ich einen persönlichen oder beruflichen Mehrwert ziehen". Seine Grundregel: Sei ehrlich und interessant. Außerdem sollte sich ein Anwalt die rechtspolitische Diskussion einbringen. Die Grundregeln von PR-Profi Dingler sind überschaubar:
  • Teilen Sie Ihr Wissen: So werden Sie als Experte wahrgenommen.
  • Positionieren Sie sich: Meinung ist ein starkes Alleinstellungsmerkmal.
  • Suchen Sie den Dialog: Verkündungskommunikation wirkt steif und unflexibel.
  • Augenhöhe: Diskutieren Sie fair. Von oben herab wurde noch kein Mandat gewonnen.
  • Gesicht zeigen: In der Kommunikation ist der einzelne Anwalt wichtiger als die Kanzlei. Denn Expertise und Vertrauen sind immer von Individuen anhängig, nie von abstrakten Gebilden wie Kanzleien oder Marken.
  • Mensch bleiben: Nutzen Sie Ihre natürliche Sprache – ehrlich, direkt, authentisch.
  • Fair bleiben: Kein abfälliges Wort über Mandanten oder Wettbewerber.
Was aber ist, wenn man als Anwalt nicht in die Social Media einsteigen will? Die Meinungen gehen auseinander: Es sei kein Muss, sich im Netz zu bewegen, meint Dominik Boecker: "Wenn man  sich aber engagieren möchte, sollte einem vorher bewusst sein, dass das keine kurz- oder mittelfristige Aktion ist, sondern einen langen Atem braucht." Sein Kollege Dingler sieht das so: "100 Prozent der 14-19-Jährigen suchen online nach Informationen. Bei den 50-59-Jährigen sind es immerhin rund 70 Prozent. Wenn die einen Anwalt suchen, dann gucken die nicht in die Gelben Seiten oder in die FAZ. Sie fragen Google. Wer nicht in den Suchergebnissen erscheint, bekommt das Mandat nicht. So einfach ist das in den meisten Fällen." Dennoch meint auch er: Wer nicht mitmacht, werde nicht morgen oder übermorgen pleite sein. Er könne allerdings den Anschluss verlieren.

Chance oder Bedrohung: Bewertungsportale für Anwälte

Das Internet ist keine Einbahnstraße: Wer früher mit seinem Anwalt zufrieden war, erzählte es weiter – und auch, wenn er nicht zufrieden war. Heute können Mandanten in Bewertungsportalen große Kreise ziehen. "Wir sind – jedenfalls nach meinem Dafürhalten – Dienstleister für die Mandanten und diese Dienstleistung kann auch bewertet werden", findet Rechtsanwalt Boecker. Aber: "Die Bewertung anwaltlicher Dienstleistung wird dadurch schwierig, dass rechtliche Fragen fast immer auch Wertungsfragen sind." Auch hinter einem verlorenen Verfahren könne eine gute oder auch hervorragende anwaltliche Leistung stehen, wie andersherum ein gewonnenes Verfahren nicht zwingend eine gute anwaltliche Leistung sein müsse. Aus PR-Sicht rät Christian Dingler, dazu, die Herausforderung anzunehmen: "Ich plädiere dafür, dass Anwälte auf den Bewertungsplattformen in den Dialog mit unzufriedenen Mandanten treten. Das zeigt Größe und den Willen, aus Fehlern zu lernen. Zwei Attribute, die positiv sind." Michael Friedmann von 123recht.net weist auf die positiven Effekte solcher Portale hin: "Durch 123recht.net haben Ratsuchende zum ersten Mal einen einfachen Zugang zum Recht gefunden. Sie sind heute eher bereit, einen Anwalt zu konsultieren, als sie es vorher waren. Die Kollegen waren zunächst kritisch. Mittlerweile werden selbst anfangs unbeliebte Erneuerungen wie Bewertungen von Anwälten positiv gesehen. Die Anwälte haben erkannt, dass man mit guten Kundenbewertungen höhere Preise im Markt erzielen kann. Maßgeblichen Erfolg als Anwalt kann man nur haben, wenn die Mandanten zufrieden sind. Das steht an erster Stelle. Das haben einige Kollegen leider noch nicht verinnerlicht." Insgesamt sieht er bei den Anwälten eine natürliche Entwicklung in Richtung Social Media: "Bereits heute steigen die ersten Digital Natives - ab 1980 geborene - aktiv als Anwälte ein. Wir anderen werden uns anpassen müssen. Es ist ein Technologiewechsel, wie damals bei der Einführung des Personal Computers. Welcher Anwalt benutzt heute noch eine Schreibmaschine?"

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