Schutz von Whistleblowern in Unternehmen

Wer petzt, muss ehr­lich bleiben

von Dr. Barbara ReinhardLesedauer: 5 Minuten

Whistleblowing wird als nützlich im Kampf für die gerechte Sache eingeordnet. Was aber, wenn es  zweckentfremdet und einem Kollegen oder dem Arbeitgeber bewusst Schaden zugefügt wird? Eine arbeitsrechtliche Einordnung von Barbara Reinhard.

Der Arbeitnehmer kann beim Whistleblowing auf verschiedene Weise gegen seine Pflichten im Arbeitsverhältnis verstoßen: Er kann zu wenig oder Falsches oder Richtiges in der falschen Form melden. Da ein Whistleblower dem Unternehmen aber wertvolle Hinweise liefern kann und auch soll, um Schaden abzuwenden, wird der Schutz des Whistleblowers groß geschrieben.

Dies gilt sowohl für den Daten- und Identitätsschutz als auch den Schutz vor Maßregelungen. Nicht jede Meldung ist aber schutzwürdig. So sind auch beim Whistleblowing Grenzen zu beachten, bei deren Überschreitung der Deckmantel eines Zeugenschutzprogramms nicht greift.

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Die Pflicht oder die Aufforderung zur Meldung

Die gegenseitigen Treue- und Loyalitätspflichten nach §§ 241, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) halten den Arbeitnehmer dazu an, erhebliche Schäden von seinem Arbeitgeber fernzuhalten und bei Kenntnis schädigender Umstände den Arbeitgeber hierauf hinzuweisen. Eine solche Meldepflicht kommt aber nur bei schwerwiegenden Missständen in Betracht und bedarf jeweils einer Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall.

Daher öffnen Arbeitgeber gerne Meldekanäle, wie beispielsweise eine Hotline oder ein IT-Tool, um dem Arbeitnehmer die Anzeige von Fehlverhalten zu erleichtern. Begleitet werden solche Maßnahmen gerne durch Compliance-Richtlinien, in denen dem Arbeitnehmer die Meldung von Fehlverhalten nahegelegt, ja teilweise sogar als Soll-Bestimmung verpflichtend aufgetragen wird.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist jetzt sogar einen Schritt weitergegangen: Sie hat zum 2. Juli 2016 für den Finanzsektor eine zentrale Hinweisgeberstelle eingerichtet, um Hinweise auf Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen entgegennehmen zu können. Unter Bezug auf § 4d Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz soll besonderes Wissen der Mitarbeiter über Unternehmensinterna genutzt und im Gegenzug diesen Mitarbeitern ein besonderer Identitätsschutz zuteilwerden.

Vertragsverletzungen beim Whistleblowing

Auch wenn Meldungen insoweit gewünscht, ja sogar provoziert werden, kann es durch sie zu arbeitsvertraglichen Pflichtverstößen kommen. Das ist der Fall, wenn der Whistleblower gegen den Arbeitgeber oder auch Kollegen bewusst falsche Verdächtigungen ausspricht. Und auch wenn der Arbeitnehmer berechtigte Verdachtsmomente äußert, kann er dabei einen Kommunikationsweg wählen, der dem Arbeitgeber in erheblicher Weise schadet.

Da es weitgehend an spezifischen gesetzlichen Regelungen zum Whistleblowing fehlt, sind sämtliche dieser Fälle nach den allgemeinen Arbeitsrechtsgrundsätzen zu lösen. Dies bedeutet, dass es vorrangig auf die Feststellung einer konkreten Pflichtverletzung und sodann nach dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip darauf ankommt, ob dem Arbeitgeber angesichts der Pflichtverletzung noch ein Festhalten am Arbeitsverhältnis zuzumuten ist.

Konkrete Ansätze für eine verhaltensbedingte Kündigung

Das deutsche Kündigungsrecht erfordert jeweils eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Es ermöglicht damit eine hohe Einzelfallgerechtigkeit. Gleichwohl können im Zusammenhang mit dem Whistleblowing allgemeine Leitlinien benannt werden:

Fest steht zunächst, dass derjenige nicht zu schützen ist, der bewusst wahrheitswidrige Tatsachen verbreitet. Dabei ist die Grenze zum außerordentlichen Kündigungsgrund besonders schnell überschritten, wenn das Whistleblowing aus niederen Motiven eingesetzt wird, etwa um einem Kollegen den Karriereweg zu verbauen, sich mit Blick auf eine – gefühlte Benachteiligung – am Arbeitgeber zu rächen oder sogar eine Form der Erpressung oder Nötigung zu begehen.

Aber auch in den Fällen, in denen es an solchen Beweggründen fehlt, kann die Inkaufnahme einer falschen Behauptung aufgrund des damit ausgelösten Schadens eine erhebliche Pflichtverletzung darstellen. So können insbesondere falsche Behauptungen, die auf ein in der Gesellschaft geächtetes Verhalten des angeblichen Täters schließen lassen, dem Betroffenen einen erheblichen Schaden zufügen.

Ob der Arbeitgeber hierauf mit den Instrumenten der Abmahnung oder ordentlichen beziehungsweise außerordentlichen Kündigung reagieren kann, hängt von sämtlichen Umständen des Einzelfalles an. Spätestens seit der Emmely-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 10.06.2010, Az. 2 AZR 541/09) dürfte klar sein, dass in die vorzunehmende Abwägung auch der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses im Übrigen und das sogenannte Nachtatverhalten (hat der Arbeitnehmer etwa Reue gezeigt?) einfließen müssen.

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2/2: Abwägung im Einzelfall

Etwas schwieriger mag die Abwägung in Fällen sein, in denen der Arbeitnehmer im Sinne eines "Publikationsexzesses" Dritte oder die Öffentlichkeit über mögliche Missstände informiert. Sowohl das Einschreiten von Behörden als auch ein in der Öffentlichkeit ausgetragener Konflikt können für den Arbeitgeber ganz erhebliche Auswirkungen bis hin zur existenziellen Gefährdung haben.
Daher ist zu prüfen, ob die Meldung noch als angemessene und verhältnismäßige Reaktion gewertet werden kann. Folgende Fragen können eine Rolle spielen (vgl. BAG, Urt. v. 27.09.2012, Az. 2 AZR 646/11):

  • Hat der Arbeitnehmer den Missstand zunächst erfolglos dem Arbeitgeber gemeldet?
  • Bestand ein unmittelbares öffentliches Interesse an der Meldung (etwa bei einem Umweltskandal)?
  • Aus welchen Motiven handelte der Arbeitnehmer? War er an einer sachbezogenen Aufklärung des Sachverhalts und einem Abstellen eines objektiven Mangels interessiert oder hat er vielmehr aus eigenen, niederen Beweggründen gehandelt?
  • Wollte der Arbeitnehmer die Meldung nutzen, um seinen Arbeitgeber zu erpressen oder ihm einen Schaden zuzufügen?
  • Hat der Arbeitnehmer ohne zwingenden Grund Betriebsgeheimnisse verraten, als er eine Meldung abgegeben hat?

Vom Arbeitnehmer wird letztlich nicht mehr verlangt als umgekehrt vom Arbeitgeber, wenn er Abmahnungen oder Kündigungen ausspricht: Der Arbeitnehmer muss ein verhältnismäßiges Mittel nutzen, um gegen Missstände vorzugehen. Und dies bedeutet auch, dass er dem Arbeitgeber grundsätzlich eine Chance zu geben hat, die Missstände selbst zu prüfen und eigenständig abzustellen. An diesen Grundsätzen hat auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Heinisch (Urt. v. 21.07.2011, Az. 28274/08) nichts verändert.

Anonymität des Hinweisgebers

Aus den vorgenannten Gründen ist bei Einrichtung einer zentralen Meldestelle im Unternehmen gut zu überlegen, unter welchen Gesichtspunkten und in welchen Fällen die Anonymität des Meldenden zu wahren ist. Ein solcher Schutz wird die Hemmung vor einer Meldung erheblich senken und kann damit zum Schutz vor Missständen und Rechtsverstößen beitragen.

Zugleich zeigen aber auch die anonymen Kommunikationswege der Social Media, dass der Schutz ausgenutzt und missbraucht wird. Anonymität sollte daher nicht um jeden Preis gewährt werden. Entsprechend sehen auch die Regelungen der BaFin vor, dass personenbezogene Daten im Kontext weiterer Ermittlungen und nachfolgender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren auf Grund eines Gesetzes weitergegeben werden können.

Schutz des Whistleblowers gegen Abwehrmöglichkeiten des Arbeitgebers

Sofern Befürworter einer umfassenden gesetzlichen Regelung zum Whistleblowing den uneingeschränkten Schutz eines Hinweisgebers ähnlich eines Zeugenschutzprogramms fordern, blenden sie aus, dass auch der Betroffene einer Meldung Schutz verdient. Und dies umso mehr, wenn ein Arbeitnehmer die Grenzen des geordneten Miteinanders im Arbeitsverhältnis überschreitet und seine Kollegen und den Arbeitgeber bewusst zu Unrecht verdächtigt.

Da es kaum möglich sein wird, spezifisch im Vorhinein zu bestimmen, wo die jeweiligen Grenzen des noch schutzwürdigen Meldeverhaltens verlaufen und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein kann, sollte es bei der Klärung durch die Rechtsprechung bleiben. Auf diesem Weg können die jeweiligen Interessen am ehesten in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dies gilt im Zusammenhang mit dem Whistleblowing ebenso wie in allen anderen Fällen einer verhaltensbedingten Kündigung.

Die Autorin Dr. Barbara Reinhard ist Partnerin der Kanzlei Kliemt & Vollstädt, einer der führenden auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzleien in Deutschland. Sie ist im Frankfurter Büro tätig. Sie berät Unternehmen bundesweit, insbesondere im Rahmen von Restrukturierungen und zu kollektivrechtlichen Themen und insoweit auch in den Bereichen Datenschutz und Compliance.

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Thema:

Whistleblowing

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