Meine Juristenausbildung

Die Angst­ma­cher

Leserbrief von Hans-Günter HuberLesedauer: 6 Minuten
Er mochte das Studium und wurde Rechtsanwalt. Dass Jurastudenten aber von Anfang an besondere Angst gemacht werde, heißt Hans-Günter Huber gar nicht gut. Und auch das Referendariat könnte man seiner Meinung nach neu gestalten.

Würden Sie noch einmal Jura studieren? Würden Sie jemand anderem die Ausbildung zum Juristen empfehlen? Wenn ja, warum? Oder eben: warum nicht? Viele Leser schreiben uns, einige Ihrer Erfahrungen werden wir veröffentlichen. Dieses Mal berichtet Rechtsanwalt Hans-Günter Huber über Angstmacher im Studium und Enttäuschungen im Referendariat. Ein Jurastudium aus Verlegenheit anzufangen, ist wohl keine gute Idee. Das dürfte aber auf jeden Studiengang beziehungsweise jede Ausbildung zutreffen. Meinen eigenen Entschluss, Jura zu studieren und danach den Anwaltsberuf zu ergreifen, fasste ich bereits in der gymnasialen Oberstufe. Nun könnten diejenigen, die mich besser kennen, einwenden, dass das bei meiner familiären Prägung (Juristen über mehrere Generationen hinweg) ja wohl auch nicht anders zu erwarten war. Das stimmt aber so nicht. Die Juristen in der Familie machten mir von Anfang an klar, dass das Studium lange dauert und den Studenten so manches Mal an den Rand des Wahnsinns treibt. Getreu dem Motto: Gestern standen wir am Abgrund – heute sind wir einen großen Schritt weiter. Ich traf meine Entscheidung jedenfalls aus einer anderen intrinsischen Motivation heraus: Unsere Gesellschaft hat für sich beschlossen, nicht nur dem Staat das Gewaltmonopol zu übertragen, sondern darüber hinaus auch, dass jede Handlung rechtlich umformt ist. Diese Umformung nimmt die Legislative vor und die Judikative überprüft sie. Die Vorgänge dazwischen, also der normale, vermeintlich unjuristische Alltag, kommen demnach ständig mit dem Recht in Berührung. So beginnt ein Tag vielleicht mit dem Kauf eines Frühstücks oder einer Fahrkarte und geht über den Erwerb von Gehaltsansprüchen weiter bis zur gemütlichen Brotzeit am Abend mit Freunden und Familie im Biergarten.

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"Gerechtigkeit" oder "Frieden stiften" – dafür studiert man nicht Jura

Alle diese ganz banalen Dinge, der Alltag, bestehen aus unglaublich vielen Rechtsgeschäften und Willenserklärungen. Überall besteht das Potenzial für Konflikte. Um diese möglichst zu vermeiden beziehungsweise zu lösen, gibt es eben unsere Rechtsordnung. Und im Fall der Fälle die Rechtsanwälte, die sich der Lösung rechtlicher Probleme annehmen. Natürlich spielen immer mehrere Faktoren zusammen – aber diese faszinierende Vorstellung war der Grund für mich, Jura zu studieren. Deshalb konnte ich schon während des ersten Semesters diejenigen Kommilitonen nicht verstehen, die auf die Frage, warum sie Jura studieren, antworteten, dass sie für "mehr Gerechtigkeit" sorgen oder gar "Frieden stiften" wollten. Meines Erachtens wären sie mit dieser Motivation beim Roten Kreuz oder in der Politik besser aufgehoben gewesen. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Rechtsanwenders, für Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn das als Anwalt gelingt und man dazu auch noch Rechtsfrieden erreicht, dann ist das ein wahrhaft toller Tag. Leider ist das aber nicht der Regelfall.

Nicht der umfangreiche Stoff ist das Problem

Die größte Herausforderung des juristischen Studiums sind dabei nicht die Klausuren, Hausarbeiten oder der umfangreiche Stoff. Für mich waren und sind das größte Problem diejenigen, die von Beginn der ersten Vorlesung an Angst, Panik und Sorge verbreiten. Jeder Student bekommt in den ersten Tagen seines Studiums von irgendwem eine Phrase wie diese zu hören: "Schauen Sie sich um. Einmal nach links und einmal nach rechts. Merken Sie sich die Gesichter und Namen nicht. Es lohnt sich nicht. Nur ein Drittel von Ihnen wird bis zum Examen durchhalten und wenn Sie dazugehören wollen, dann können ihre Nebensitzer das nicht." Eine unglaublich aufbauende und den Teamgeist und die Motivation fördernde Ansprache. Bereits meine Eltern haben ihr Studium mit einem Satz wie diesem begonnen und ich bin bereit zu wetten, dass auch nach mir die kommenden Generationen angehender Rechtswissenschaftler mit dieser flammenden, vor Leidenschaft strotzenden Rede ihr Studentenleben beginnen werden – und ab da sicherlich in vollen Zügen genießen. Nicht. Diese Angst ist es auch, die die meisten Studenten zur Examensvorbereitung schließlich in die Arme der Repetitoren treibt, welche sie natürlich gerne gluckenhaft betreuen und versprechen, dass nur mit ihren Falllösungen sieben oder mehr Punkte im Examen erreichbar und die Uni-Repetitorien nicht gut seien. Was nichts kostet, ist nichts wert, heißt es ja so schön. Das kann ich so nun wirklich nicht stehen lassen und damit auch die Frage beantworten, was ich mir im Studium vermehr gewünscht hätte: Gute Kolloquien, in denen echte Examensfälle mit wissenschaftlichen Mitarbeitern der Lehrstühle durchdiskutiert werden. Meine Erfahrung war und ist bis heute im Beruf, dass Fälle, die man gemeinsam in einer kleineren Gruppe argumentativ erörtert, am lehrreichsten sind.

Niemand will der Loser sein

Auf die samstäglichen Klausurenvormittage beim Repetitor trifft das leider nicht zu. Sicherlich ist das Klausurenschreiben unerlässlich, schon allein, um Routine beim Formulieren und ein Gefühl für das nötige Zeitmanagement zu bekommen. Aber als inhaltlich wirklich lehrreich habe ich die Klausurenkurse nicht wahrgenommen.  Neben der Angst selbst muss man auch mit der aus ihr resultierenden Ellenbogenmentalität einiger Studenten umgehen können. Angetrieben vom Horrorszenario, derjenige zu sein, der in Vergessenheit gerät und dessen Leben verpfuscht ist, weil er das Examen nicht geschafft hat, gibt es leider immer mehr Studenten, die nicht "nur" die Lehrbücher und Kommentare verstecken. Vielmehr ist es meiner Erfahrung nach auch keine Seltenheit, gleich die Seiten mit den entscheidenden Fundstellen zur Lösung des Kernproblems der gerade gestellten Hausarbeit aus den Büchern herauszureißen. Ich will mich aber nicht nur beklagen: Das Studium hat mir persönlich trotzdem Spaß gemacht und ich hatte auch Kommilitonen, die Teamgeist zeigten und das Studium so zu einer oft auch schönen Zeit machten, die ich nicht missen möchte.

Referendariat mit Reformbedarf

Die Frage, ob ich anschließend an das Studium auch das Referendariat absolvieren möchte, stellte sich mir nicht. Für mich war das einfach nur logisch. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wer ein Examen geschafft und die Klausuren überlebt hat, der packt das auch ein zweites Mal. Ganz davon abgesehen, dass ich für meinen Wunsch, Anwalt zu werden, sowieso beide Examen brauchte. Frustrierend am Referendariat war für mich, dass ich meinen Vorbereitungsdienst in der naiven Vorstellung angetreten habe, endlich die Praxis kennenzulernen. Leider musste ich feststellen, dass es dort – wie an der Universität – erneut vornehmlich darum geht, gezielt auf Klausuren zu lernen. Nur die – zumindest in Bayern – sehr ausgeprägte Anwesenheitspflicht unterschied Studium und Referendariat voneinander; leider nicht im Positiven. Zwar gab es auch Praxisbezug inklusive Sitzungsdienst während meines Referendariats. Schade nur, dass diese Zeit direkt von derjenigen für die Klausurvorbereitung abgeht. Ich wünsche allen künftigen Generationen von Juristen, dass das Referendariat reformiert wird, und künftig die praktischen Leistungen, vielleicht sogar in Verbindung mit Stationsklausuren, den wesentlichen Teil des zweiten Examens ausmachen.

Endlich fertig

Ich möchte nicht noch einmal Jura studieren. Im Gegenteil, ich bin sehr froh, das alles hinter mich gebracht zu haben und jetzt das tun zu können, was ich immer wollte: Als Rechtsanwalt Mitmenschen das Recht um ihr Problem herum erklären und im besten Fall eine zufriedenstellende Lösung für den Mandanten zu finden. Empfehlen möchte ich das Jurastudium aber trotzdem. Gerade denjenigen, die gerne über den Tellerrand blicken und generalistisch denken können. Alles in allem kann ich für mich den Schluss ziehen, dass es vornehmlich auf die persönlichen Neigungen und ehrliches Interesse ankommt. Dann bieten die Rechtswissenschaften nicht nur ein spannendes, wenn auch herausforderndes Studium, sondern auch gute berufliche Perspektiven. Der LTO-Leser Hans-Günter Huber ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator (CVM).

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