Interview zur Referendarvergütung

"Jeder sollte prüfen, ob er zu wenig bekommen hat"

Interview mit Thorsten SüßLesedauer: 9 Minuten
NRW bereitet nach dem Urteil des OVG Münster schon die Nachzahlungen für Referendare vor, die jahrelang zu wenig Bezüge erhalten haben. Auch Jung-Juristen in anderen Bundesländern können Nachzahlungen verlangen, noch mehr könnte ihnen allen das BVerwG zusprechen. Wer was seit wann nachfordern kann und wie NRW die klagenden Referendare provoziert hat, erklärt ihr Anwalt Thorsten Süß.

LTO: Herr Süß, wer sind die Kläger? Süß: In Nordrhein-Westfalen gibt es zahlreiche Verfahren rund um das Thema Unterhaltsbeihilfe. Zwei stammen aus dem Bezirk des Verwaltungsgerichts (VG) Minden, eines davon betrifft einen Referendar aus Paderborn, den wir in beiden Instanzen betreut haben. Die Vertretung eines weiteren Bielefelder Referendars, der in einem "Musterprozess" den umfangreichsten Rechtsstreit ausgelöst hat, haben wir erst in zweiter Instanz mit übernommen. In diesem Verfahren geht es um viele Rechtsfragen zur Unterhaltsbeihilfe. Der Kläger hat vor kurzem das Examen gemacht, bei den mündlichen Verhandlungen vor dem VG und dem Oberverwaltungsgericht (OVG) war er noch Referendar. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er den Streitstoff außerordentlich gründlich aufgearbeitet. LTO: Können Sie das Verfahren einmal kurz resümieren: Was waren die wesentlichen Streitpunkte, wie haben die Gerichte entschieden? Süß: Vor dem VG Minden ging es zunächst darum, ob die Unterhaltsbeihilfe bis Oktober 2014 unter Zugrundelegung des Landes- oder des Bundesbesoldungsgesetzes zu ermitteln war. Der Wortlaut der Unterhaltsbeihilfe-Verordnung sprach eindeutig vom "Bundesbesoldungsgesetz", weshalb der Klage auch insoweit stattgegeben wurde. LTO: Da das Landesbesoldungsgesetz geringere Höchstbeträge vorsieht als das des Bundes, bekamen die Referendare also seit 2006 zu geringe Bezüge, das hat zwischenzeitlich unter diesem Gesichtspunkt auch das OVG Münster bestätigt. Um wieviel Geld geht es dabei? Süß: Kurz gesagt, je nach Einstellungszeitpunkt und Familienzuschlagsberechtigung, um einen Betrag von durchschnittlich ca. 30 bis 40 Euro pro Monat, den das Land in den letzten Jahren zu wenig gezahlt hat, mal mehr, mal weniger. In einigen Fällen ist der Betrag über das ganze Referendariat gerechnet vierstellig, für die meisten geht es um einen hohen dreistelligen Betrag. Allerdings wurde 2012 und 2013 die Unterhaltsbeihilfe selbst unter Zugrundelegung des Landesbesoldungsrechts um 0,90 Euro monatlich zu niedrig bemessen, was in der Klage ebenfalls geltend gemacht wurde.

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Auch noch 100 statt 85 Prozent?

LTO: Anders als in den diversen anderen in NRW laufenden Verfahren ging es dem Kollegen in Bielefeld aber noch um mehr als nur diese fehlerhafte Verweisung. Süß: Richtig, dieses Verfahren ist insofern einzigartig und der Streit wird vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) fortgesetzt: Der ehemalige Referendar aus Bielefeld wollte nicht nur 85, sondern 100 Prozent der höchsten Anwärterbezüge erhalten.

Der Kläger argumentiert, dass bei der Beihilfe eine Ungleichbehandlung mit Forstreferendaren vorliegt, die unter anderem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Insoweit hatte das VG die Klage aber mit kurzer Begründung abgewiesen, da es meinte, dass das Forstreferendariat eine "Spezialausbildung für den öffentlichen Dienst" und die Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertigt sei. Ich halte das für fraglich, da im Schnitt noch weniger Forst- als Rechtsreferendare später in den Staatsdienst gehen. Das OVG hat die Auffassung der ersten Instanz aber  leider bestätigt. Im Berufungsverfahren richtete sich die Aufmerksamkeit dann aber auch auf formale Rechtsfragen: Nach unserer Auffassung ist die Unterhaltsbeihilfe zum 1. Januar 2006 nicht wirksam von früher 100 auf dann 85 der höchsten Anwärterbezüge abgesenkt worden.

"NRW bereitet die Nachzahlungen schon vor"

LTO: Wie begründen Sie diese Ansicht? Süß: Die entsprechende Rechtsverordnung verstieß zum einen gegen das Zitiergebot aus Art. 70 S. 3 der Landesverfassung, da in der Verordnung keine Ermächtigungsgrundlage genannt wurde. Überdies konnte sie – skurrilerweise selbst nach Auffassung der Landesregierung – die Unterhaltsbeihilfe-Verordnung von 1999 nicht ändern, da diese seinerzeit vom Landtag als formelles Gesetz beschlossen wurde. Auch diese Argumentation ließ das OVG nicht gelten -was erstaunlich ist und den Bielefelder Kläger auch veranlasst hat, die Sache nach Leipzig zu schicken. LTO: In welchen Punkten sind die Entscheidungen inzwischen rechtskräftig? Und wie geht es in den übrigen Punkten weiter? Süß: Das OVG hat die Revision gegen seine Urteile nicht zugelassen. Nichtzulassungsbeschwerde hat das Land nicht eingereicht, so dass die Entscheidungen rechtskräftig geworden sind, soweit es um den Verweis auf das Bundesbesoldungsgesetz und einige Nebenfragen geht. Nach unserem Kenntnisstand bereitet das Land daher auch Nachzahlungen an die Referendare vor, die eine solche beantragt haben. Wegen der Abweisung der Klage im Übrigen haben wir Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt, über die bald  zunächst das OVG und anschließend wohl das BVerwG entscheiden werden. Teilweise geht das Verfahren also noch weiter.

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2/3: NRW, Niedersachsen, Saarland – und vielleicht auch sonst

LTO: Welche Referendare betrifft das alles konkret? Nur solche aus NRW oder auch aus anderen Bundesländern? Süß: Unmittelbar betrifft der Rechtsstreit nur Referendare aus Nordrhein-Westfalen, allerdings stellt sich eine ähnliche Problematik auch in anderen Bundesländern, die für ihre Referendare keinen Festbetrag für die Unterhaltsbeihilfe vorsahen, sondern einen dynamischen Verweis auf das Bundesbesoldungsgesetz. LTO: Was raten Sie eventuell Betroffenen? Süß: Jeder einzelne muss prüfen, ob während seines Referendariats -  eventuell auch  teilweise - ein solcher Verweis galt und ihm niedrigere Beträge als die nach dem Bundesbesoldungsgesetz gezahlt wurden. Dies galt nach unserem Kenntnisstand beispielsweise für Niedersachsen bis zum 31. Dezember 2013, als das JAG dort geändert wurde, aber auch für das Saarland. Dort klagte ein Referendar zunächst erfolglos vor dem VG und schloss dann vor dem OVG einen Vergleich, aufgrund dessen ihm die Fehlbeträge unter Zugrundelegung des Bundesbesoldungsgesetzes nachgezahlt wurden. Die formelle Verfassungswidrigkeit der Verordnung zur Absenkung der Unterhaltsbeihilfe ist allein ein Problem in Nordrhein-Westfalen. Die Gleichbehandlungsproblematik stellt sich in anderen Bundesländern gegebenenfalls dann, wenn es dort – wie mit den Forstreferendaren in NRW - ebenfalls Referendare gibt, die nicht verbeamtet werden, sondern als öffentlich-rechtliche Auszubildende eine höhere Unterhaltsbeihilfe als Rechtsreferendare erhalten.

Dreijährige Verjährungsfrist – aber ab wann?

LTO: In welchem Zeitraum muss man Referendar - gewesen - sein, um zu profitieren? Süß: Das ist leider noch vollkommen offen. Nach Auffassung des Landes, die aber sowohl von das VG als auch das OVG schon abgelehnt haben, war es zur Wahrung der Ansprüche erforderlich, in jedem Haushaltsjahr einen Widerspruch gegen die Höhe der Unterhaltsbeihilfe einzulegen, um keine Ansprüche zu verlieren. Das ist aber schon deshalb fernliegend, weil dieser aus dem Beamtenrecht bekannte Grundsatz nicht für gesetzlich vorgesehene Ansprüche und ohnehin nicht außerhalb des Beamtenrechts gilt. Das OVG hat dementsprechend entschieden, dass nur die dreijährige Verjährung analog § 199 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Ansprüche undurchsetzbar macht. Entscheidungserheblich war dies in unserem Prozess jedoch nicht. Problematisch ist, wann die notwendige Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB vorliegt. Nach unserer Auffassung konnte diese erst mit dem Urteil des OVG, frühestens aber mit dem Urteil des VG Minden eintreten, da zuvor die Rechtslage unklar und eine Klageerhebung unzumutbar war. Damit würde eine dreijährige Verjährungsfrist erst Ende 2014 beginnen. Die Verwaltungsgerichte orientieren sich bei dieser Frage grundsätzlich an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der davon ausgeht, dass bei verworrener Rechtslage keine Anspruchskenntnis vorliegt, sondern erst dann, wenn eine obergerichtliche Klärung begonnen hat. Immerhin hatten die Verwaltungsgerichte Köln und Minden noch Anfang und Mitte 2014 unterschiedlich zur Frage der Anwendbarkeit des Bundesbesoldungsgesetzes entschieden. Als "normaler Referendar" kann man ohne entsprechende Gerichtsurteile wohl auch kaum davon ausgehen, dass die Bezügemitteilungen des Landesamts für Besoldung und Versorgung (LBV) falsch sind. Gesichert ist diese Annahme aber natürlich nicht.

Betroffene Referendare: abwarten oder Widerspruch einlegen

LTO: Welches Vorgehen würden Sie den betroffenen Referendaren nun empfehlen? Süß: Das bleibt eine Frage des Einzelfalls. Im Zweifel muss jeder Betroffene selbstständig die Rechtslage prüfen oder sich beraten lassen. Allgemein kann man sagen, dass all diejenigen, die noch nicht von der möglicherweise doch nur dreijährigen Verjährungsfrist bedroht sind, zunächst einmal abwarten könnten. Alle anderen könnten beim LBV einen wohl nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB verjährungshemmenden Widerspruch gegen die Höhe der Unterhaltsbeihilfe einlegen, eine Nachzahlung beantragen und einen Antrag auf Ruhendstellung des Widerspruchsverfahrens bis zur Rechtskraft in dem laufenden Verfahren stellen. LTO: Kann man damit rechnen, dass das das LBV das mitmacht? Süß: Bislang hat hat das LBV sich darauf eingelassen, da es ja auch kein Interesse an einer Klagewelle hat. Spätestens mit der Entscheidung des BVerwG sollte dann Klarheit bezüglich der Höhe der Unterhaltsbeihilfe herrschen. Wer Ansprüche außerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist geltend machen will, wird unter Umständen klagen müssen. Ob sich die Verwaltungsgerichte der hier vertretenen Auffassung zur Verjährung anschließen werden, können wir natürlich nicht prognostizieren. In diesem Zusammenhang ergibt sich übrigens ein Strauß von Folgeproblemen: Sobald eine Nachzahlung durch das Land erfolgt, muss jeder nämlich prüfen, ob seine Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder dem Versorgungswerk neu aufzurollen ist. das Land also auch dorthin eine Nachzahlung leisten muss. Vielleicht besteht auch ein Anspruch auf Nachzahlung von Arbeitslosengeld, Elterngeld oder ähnliche Leistungen, die einkommensabhängig sind. Möglicherweise ergeben sich auch steuerrechtliche Nachteile.

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3/3: "Das Land hat sich fragwürdig verhalten"

LTO: Wie haben Sie das Verhalten des beklagten Landes im Prozess erlebt? Zugespitzt formuliert: Wurde hier an einer unhaltbaren Rechtsansicht im Sinne klammer Kassen dennoch festgehalten? Süß: Dem Land ist sicher zugute zu halten, dass zum Schluss viele Referendare Ansprüche angemeldet haben und die Personaldecke im öffentlichen Dienst schwierig ist. "Unhaltbar" war die Ansicht des Landes ex-ante wohl auch nicht; immerhin hatte das VG Köln diese Auffassung geteilt. Trotzdem sind die Kläger vom Verhalten des Landes in großen Teilen enttäuscht. Reaktionen erfolgten häufig erst, als gerichtliche Schritte eingeleitet wurden; selbst gerichtliche Fristen verstrichen ohne adäquate Reaktion. In Teilen werden die Urteile des Verwaltungsgerichts - etwa zum Auszahlungszeitpunkt - einfach nicht umgesetzt, obwohl seit über einem halben Jahr Rechtskraft eingetreten ist. Man räumte vor Gericht Fehler ein, erkannte die offensichtlichen Ansprüche aber trotz Hinweises der Richter nicht an – und ließ sie dann rechtskräftig werden. Selbst die offensichtliche Fehlberechnung nach dem Landesbesoldungsrecht ist nicht nachvergütet worden. Die Kläger mögen sich von all diesen Fragwürdigkeiten durchaus provoziert gefühlt haben.

"Eigentlich keine kritischen Stimmen von Kollegen"

LTO: Der Kläger und sein Kollege haben viele Unterlagen zum Verfahren online gestellt, aber stets mit einem Passwort geschützt – warum? Süß: Beiden war es wichtig, alle betroffenen Kolleginnen und Kollegen, aber eben auch nur diese, über den Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten. Letztlich wurden über ihre Homepage ja auch bislang schon mehr als 2.000 Euro zur Finanzierung des Prozesses gesammelt. Allen Spendern schulden die Kollegen eine regelmäßige Information über den Fortschritt des Verfahrens. Allerdings waren und sind beide der Meinung, dass es nicht nötig ist, ihre Namen zu publizieren. Die Spendengelder werden übrigens an die S.O.S.-Kinderdörfer gespendet, soweit sie nicht für Verfahrenskosten verbraucht werden. LTO: Wie waren die Reaktionen, die der Kläger aus dem Kreis der Referendare erhalten hat? Süß: Soweit ich weiß, gab es nur Zustimmung, keine kritischen Stimmen. Alle Kolleginnen und Kollegen waren froh, dass sich einmal jemand der Thematik annimmt und das Ganze möglichst durch alle Instanzen ficht, ohne dass jeder individuell ein Klagerisiko eingehen müsste. Denn im Alltag hat der "normale Referendar" natürlich weder Lust noch Zeit, sich mit dieser unübersichtlichen Thematik eingehend zu beschäftigen.

"Spendenaufkommen bislang nicht überragend"

LTO: War es schwer, die zur Prozessfinanzierung notwendigen Spenden aufzutreiben? Süß: Das ging wohl recht schnell, da es sich nur um eine Teilklage mit einem Streitwert von 500 Euro handelt. Andererseits sind drei Instanzen mit notwendiger anwaltlicher Vertretung immer potentiell kostenträchtig. Der Bielefelder Kläger hatte auch Glück, dass das Land keinen Rechtsanwalt mandatiert hat. Für das Land geht es immerhin um hohe Millionenbeträge. Gleichwohl bittet der Kläger um weitere Spenden, erstens natürlich für die S.O.S. Kinderdörfer, zweitens aber auch, um die bereits entstandenen Kosten, die er nicht vollständig vom Land zurückerhalten wird, auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Angesichts der hohen Zahl der Betroffenen kann das Spendenaufkommen bislang nämlich auch nicht als überragend bezeichnet werden. Viele Referendare informierten sich gerne über die Homepage, halten aber ihren Geldbeutel lieber geschlossen. LTO: Der Kläger und sein Kollege haben in die Zusammenstellung der Unterlagen, das Sammeln von Spenden usw. sehr viel Zeit investiert – was war ihre persönliche Motivation? Süß: Die Zeit und Energie, welche die Referendare auch persönlich in die Angelegenheit investiert haben, ist enorm. Letztlich ging es ihnen darum, endlich Rechtssicherheit für die Unterhaltsbeihilfe zu schaffen und auf die Nachzahlung freuen sie sich ebenfalls. Die praktischen Erfahrungen, sind auch nicht zu unterschätzen, immerhin haben sie sich in erster Instanz selbst vertreten. Ich bin aber sicher, dass einige unverständliche Verhaltensweisen des Landes sie provoziert haben, die Klage so groß aufzuziehen, wie sie es dann schließlich gemacht haben. Thorsten Süß ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Bergmann und Partner in Hamm.

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