Sexismus in der Referendarausbildung

"Justiz ist für Frauen toll - wegen der Teilzeit"

Interview mit Dr. Daniela SchweiglerLesedauer: 5 Minuten
In Klausuren treten Männer als Richter, Staatsanwälte oder Familienernährer auf. Frauen kümmern sich unterdessen um die Kinder, um ihre Schuhe und Frisuren – so zumindest der Eindruck von Daniela Schweigler nach ihrem Rechtsreferendariat in Bayern. Mit ihrer Kritik stößt sie auf Unwillen: Ihr ehemaliger AG-Leiter nennt sie "(pseudo-)traumatisiert" und fordert sie auf, über wichtigere Dinge zu reden.

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LTO: Sie haben in der Deutschen Richterzeitung (DRiZ) das Frauenbild in der bayerischen Justizausbildung kritisiert und warten dabei mit einer ganzen Reihe von Beispielen auf. Sie beschreiben etwa folgenden Übungsfall: Die attraktive Friseurin fordert Schadensersatz von einem Mann, der im Schwimmbad mit seinem Kumpanen herumtollt und dabei Wasser auf ihre Frisur spritzt. Oder: In einem Fall häuslicher Gewalt geht es nicht nur um eine Scheidung und das Sorgerecht, die Frau will auch Schadensersatz von ihrem Mann, weil dieser ihre Absatzschuhe zersägt hat, direkt nachdem er sie verprügelt hatte. Sind das besonders krasse Beispiele? Schweigler: Das sind auf jeden Fall Beispiele, die ich als prägnant empfunden habe. Abschließend ist die Auswahl in dem Aufsatz aber nicht. Es ging mir weniger um einzelne besonders krasse Fälle, sondern eher um eine Gesamtschau von Klausurfällen, Unterrichtsmaterialien und Kommentaren der Ausbilder zwischendurch. Das ergibt ein Gesamtbild und zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausbildung. Irgendwann wird man dann mal hellhörig.

"Die negativen Reaktionen haben mich nicht überrascht"

LTO: Herrscht auch ein bestimmtes Männerbild vor? Schweigler: Ja, natürlich. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Mit den Frauenrollen werden gleichzeitig die Männerrollen festgelegt, das lässt sich gar nicht trennen. Im Familienrecht betreut eben oft die Frau den Haushalt, während der Mann der Ernährer ist. Er ist nie derjenige, der sich um die Kinder kümmert. LTO: Woher haben Sie Ihre Beispiele? Schweigler: Das sind meine Erfahrungen aus den Arbeitsgemeinschaften. LTO: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Beitrag in der DRiZ? Dr. Daniela SchweiglerSchweigler: Sehr unterschiedlich. Ich habe Lob und Zuspruch bekommen. Meistens persönlich in E-Mails oder von Bekannten, die mich direkt angesprochen haben. Daneben gab es Leserbriefe, die teilweise in der aktuellen DRiZ abgedruckt sind. Darin kamen recht erwartbare Einwände: So sei die Lebenswirklichkeit nun einmal. Ich würde übertreiben. Aber diese Reaktionen haben mich nicht überrascht. LTO: Ein Übungsleiter fordert Sie in einem der Leserbriefe etwa dazu auf, über wichtigere Dinge als über Männer oder Frauen in Übungsfällen und Klausuren zu reden. Ein Richter zeigt sich entsetzt, dass Ihr Artikel in "seiner" Verbandszeitung veröffentlicht wird. Er attestiert der Redaktion bestenfalls Blauäugigkeit und fordert diese auf, sich von dem Artikel zu distanzieren. Zuspruch kam dagegen von einer Vertreterin des Deutschen Juristinnenbunds. Gab es auch Reaktionen von offizieller Stelle? Vom Justizministerium? Schweigler: Bei mir persönlich nicht. Der eine abgedruckte Leserbrief stammt allerdings von meinem früheren AG-Leiter.

"Die meisten haben sich aus meiner Kritik eher eine Gaudi gemacht"

LTO: Haben Sie die Klausurstellungen auch schon während des Referendariats kritisiert? Schweigler: Ja, oft. Aber meistens wurde ich mit meiner Kritik nicht besonders ernst genommen. Die meisten haben sich daraus eher eine Gaudi gemacht. LTO: Sie leiten Ihren Aufsatz damit ein, dass zu Beginn des Referendariats auf ein Fußballturnier hingewiesen worden ist mit den Worten, die Herren mögen schon heute mit dem Training dafür beginnen. Wie stark ist Ihnen in der Praxis tatsächlich eine tradierte Frauenrolle aufgedrängt worden? Schweigler: Sehr häufig wird betont, wie prima es in der Justiz für Frauen ist, weil man da so toll in Teilzeit arbeiten kann. Das begegnet einem ständig. Da steckt für mich schon die Festlegung drin, dass Frauen so gerne Teilzeit arbeiten, weil sie für die Familie zuständig sind. Im Anwaltslehrgang meinte ein Anwalt etwa, Familienrecht wäre ja für die Damen besonders interessant.

"Die Rolle der 'Emanze' hatte ich schnell weg"

LTO: Hatten Ihre Kollegen einen ähnlichen Eindruck? Schweigler: Auch das war sehr unterschiedlich. Es gab einige, die sich ähnlich stark geärgert haben wie ich. Andere konnte ich zum Nachdenken bewegen. Und wieder andere haben meine Kritik nicht besonders ernst genommen. LTO: Wird man da schnell in eine bestimmte Ecke abgeschoben, aufgefordert, nicht weiter zu nerven? Schweigler: Die Rolle der "Emanze" hatte ich sicherlich schnell weg. Aber ich habe mich von niemandem angegriffen gefühlt. Die meisten fanden es wohl eher lustig, dass ich mich ständig aufgeregt habe. Teilweise hatte ich das Gefühl, es wurde schon regelrecht von mir erwartet, dass ich etwas sage, sobald wieder ein entsprechender Kommentar fiel oder eine Klausur mit den typischen Rollenbildern gestrickt war. LTO: Sind diese Rollenbilder in den Klausuren ein bayerisches Phänomen? Schweigler: Das kann ich nicht sagen. Ich habe mein Referendariat ja nur in Bayern gemacht und über meine Erfahrungen hinaus keine Beispiele gesammelt. Einige Reaktionen von Leserinnen deuten aber an, dass das nicht nur in Bayern so ist. Das wäre auch meine Vermutung.

"Ich unterstelle den AG-Leitern keine Frauenfeindlichkeit"

LTO: Wie sind Sie darauf gekommen, sich nicht nur aufzuregen, sondern Ihre Kritik in einem Artikel zusammenzufassen? Schweigler: Das war mir einfach ein Bedürfnis. Ich habe mich zwei Jahre lang sehr geärgert und wollte das dann nicht einfach so stehenlassen. Dann ändert sich ja nie etwas. LTO: Glauben Sie, es wird sich etwas ändern? Schweigler: Ich hoffe es. Das geht sicher nicht von heute auf morgen, weil das in den Köpfen ist. Viele dieser Dinge werden unbewusst weitergetragen. Ich unterstelle den AG-Leitern ja nicht, dass sie alle frauenfeindlich sind. Aber es fehlen die Strukturen, die so etwas verhindern. LTO: Wie könnten solche Strukturen aussehen? Schweigler: Ein positives Beispiel ist die Verwaltung in Oberbayern. Dort werden die Unterlagen gezielt auf Rollenklischees durchgesehen und im Zweifel geändert. Da gibt es dann auch Klausuren, in denen Bürgermeisterinnen und Unternehmerinnen vorkommen. LTO: Wollen Sie sich das Thema noch einmal etwas umfassender vornehmen? Schweigler: Nein, das habe ich nicht vor. Aber es wäre sicher ein interessantes Forschungsprojekt. Ich bin jetzt erst einmal auf der Suche nach einem Habilitationsvorhaben und forsche ja auch eher im öffentlichen Recht und im Sozialrecht. LTO: Vielen Dank für das Gespräch. Dr. Daniela Schweigler ist wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. In DRiZ 2014, 52 hat sie einen Beitrag mit dem Titel "Das Frauenbild in der bayerischen Justizausbildung" veröffentlicht.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.

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