Blackout in der mündlichen Prüfung

Die Angst vor dem Nichts

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten

In der mündlichen Prüfung einen Blackout zu haben und nichts mehr zu wissen – eine Horrorvorstellung, gerade für Jurastudierende und Referendare, bei denen es maßgeblich auf wenige Prüfungsleistungen ankommt. Was Prüfer und Psychologen raten.

Anzeige

Der Prüfer stellt eine Frage - und alles, was man zuvor gelernt hat, löst sich in Nichts auf. Filmriss. Das Gehirn macht einfach dicht. Eine typische Blackout-Situation. "Ein Blackout entsteht, wenn man sich auf einem sehr hohen Stressniveau befindet", erklärt Diplom-Psychologin Dr. Doris Wolf. "Dann werden Glukokortikoiden, die sogenannten Stresshormone, ausgeschüttet. Sie wirken sich hemmend auf die Aktivität des Hippocampus aus, der für die Speicherung und den Abruf von Informationen zuständig ist."

Als Folge funktioniert die Weiterleitung von Informationen zwischen den einzelnen Nervenzellen nicht mehr. Man kann sich an sein erlerntes Wissen nicht mehr erinnern – und steht im doppelten Sinne auf der Leitung. "Gelöscht ist das Wissen jedoch nicht. Kehrt man wieder in einen entspannten Zustand zurück, kann man wieder problemlos darauf zugreifen", sagt Wolf, Autorin des Ratgebers "So überwinden Sie Prüfungsängste".

In der Praxis kommt Blackout allerdings äußerst selten vor. "Es ist wie bei einem Schlangenbiss", zieht Sabine Grotehusmann einen Vergleich. "Die meisten sterben nicht am Schlangengift, sondern bekommen aus Angst einen Herzinfarkt." Anders gesagt: Die Angst vor einem Blackout ist viel größer als das Risiko, wegen eines Blackouts durchzufallen. Trotzdem sind diese Versagensängste bei den Seminaren, Coachings und Vorträgen der Dozentin gegen Prüfungsangst immer wieder ein großes Thema. Grotehusmann hält unter anderem Vorträge an der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln. "Die riesige Stoffmenge, die Jurastudierende zu bewältigen haben, führt bei vielen zu einem großen Druck", weiß sie. Ihr Tipp: Sich nicht von den Lerntechniken der anderen nervös machen lassen, sondern seine eigene Lernmethode finden und verfolgen. Ein anderes Mittel, um sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen, sind gehirngerechte Lerntechniken. "Damit lässt sich Wissen fester im Gedächtnis verankern und ist leichter abrufbar", sagt die Dozentin.

Prüferin: "Üben Sie die mündliche Examenssituation!"

Christine Haumer, Richterin am Oberlandesgericht München, hat als Prüferin schon viele Examen abgenommen und bespricht das Thema Prüfungsangst auch in ihrer Ausbildung für Referendare und in Arbeitskreisen. "Im Studium werden mündliche Vorträge selten geübt. Die typische Reaktion von Studierenden, wenn es um Referate geht, ist oft zunächst: wegducken", sagt die Richterin. Aber auch Referendare vor der zweiten staatlichen Prüfung sind oft nervös. "Schließlich hängt von der Examensnote ab, welchen Beruf sie später ergreifen können."

Haumer rät daher, die mündliche Examenssituation vorab mit Kommilitonen oder Referendarskollegen zu üben. Auch das Zuhören bei Prüfungen kann helfen, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie solch ein Prüfungstag eigentlich abläuft. "Dabei zeigt sich: Die meisten Prüfer sind den Kandidaten wohlgesonnen", so ihre Erfahrung.

Das bestätigt auch Guido Tiesel, stellvertretender Leiter des Landesjustizprüfungsamts Bayern. In Fortbildungen für Prüferinnen und Prüfer weist er darauf hin, dass diese sich an die eigene Prüfungssituation zurückerinnern sollen. "Jeder ist in der Prüfung nervös, es ist schließlich ein ganz besonderer Tag." Er rät den Prüfern, für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen: "Ein Lächeln und den Prüflingen viel Erfolg wünschen, kann schon einen Unterschied machen – auch bereits im Vorgespräch."

Auch er hat es bisher nur sehr selten erlebt, dass Prüflinge einen Blackout hatten. "Meiner Ansicht nach hilft es dann nicht, wenn der Prüfer sagt: Ich weiß genau, dass Sie das wissen. Ich finde es besser, den Prüfling dann erst einmal in Ruhe zu lassen, die Frage an einen anderen Kandidaten weiterzugeben und dem Prüfling später eine neue Chance zu geben, sein Wissen zu zeigen." Oft wisse ein Examenskandidat ja nur punktuell nicht weiter.    

Haumer rät Studierenden und Referendarinnen und Referendaren bei Nichtwissen, noch mal eine Stufe im Prüfungsschema zurückzugehen oder auf das Gesagte des Vorredners einzugehen. „Wenn gar nichts mehr geht, kann man durchaus sagen, dass man gerade den Faden verloren hat und einen Moment braucht, um sich wieder zu sammeln.“ Das sei allemal besser, als einfach zu schweigen – denn Reden vertreibe in der Regel die Angst.

"Manche müssen kurz physisch die gestaute Energie rauslassen"

Gut zu wissen ist zudem, dass ein Blackout meist nur kurz anhält. "Er ist ein Schutzmechanismus aus der Steinzeit: Soll ich bei Gefahr lieber angreifen oder weglaufen?", erklärt Dozentin Grotehusmann den Instinkt. Die Entscheidung muss schnell fallen – und dann reagiert der Körper auch wieder. Wer diesen Moment aushält, springt schneller wieder an. "Manche müssen auch ganz physisch ihre Energie rauslassen, indem sie zum Beispiel aufstehen und das Fenster öffnen, ein Blatt Papier zerknüllen oder zur Toilette gehen", so ihre Beobachtung.

Man kann auch vorher üben, diese Energiereaktionen bewusst zu steuern, zum Beispiel in Form von Atemtechniken. "Atmen Sie etwas tiefer ein, als Sie das gewöhnlich tun, und halten Sie Ihren Atem für circa sechs bis zehn Sekunden an. Dann atmen Sie in einer Bewegung wieder aus und warten wiederum einige Sekunden", erklärt Psychologin Wolf. „Wiederholen Sie diese Atemübung zwei bis drei Minuten beziehungsweise solange, bis Sie deutlich entspannter und ruhiger sind.“ Am besten sei es, solch eine Atemtechnik oder ein Entspannungsverfahren wie etwa das Autogene Training, Yoga, Meditation oder die Progressive Muskelentspannung frühzeitig zu erlernen, um die Techniken bei Bedarf abzurufen. "Angst führt automatisch dazu, dass man sich verspannt und eine unsichere Körperhaltung einnimmt, was den Zugriff auf unser Wissen erschwert", sagt Wolf. "Sicherheit gewinnt man zurück, wenn man sich bei einem Blackout ganz bewusst in eine selbstbewusste, aufrechte Körperhaltung begibt."

Grundsätzlich ist es besser, sich in der Prüfungsvorbereitung auf Lerntechniken zu konzentrieren, statt zu viel über einen möglichen Blackout nachzudenken, ist Grotehusmann überzeugt. Und das bis zur letzten Minute: "Es empfiehlt sich nicht, im Vorbereitungsraum mit den Prüflingen zu sprechen, die das Mündliche schon hinter sich haben. Denn die Erzählungen, was alles schiefgelaufen ist, machen eher nervös, als dass sie helfen." Lieber Kopfhörer aufsetzen und sich in eine ruhige Ecke zurückziehen, so ihr Tipp. Mit einem entspannten Einstieg habe der Blackout erst gar keine Chance, sich anzuschleichen. 

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Examen

Verwandte Themen:
  • Examen
  • Staatsexamen
  • Jurastudium
  • Studium
  • Psychologie

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter