Haftungsfall Wettervorhersage

Ein Staatsexamen mitten im Sommerloch

von Roland SchimmelLesedauer: 6 Minuten
Ein Fall aus der Tagespresse für den lockeren Einstieg ins Examen? Immer schön Zeitung lesen vor der mündlichen Prüfung? Ob der Blick dabei allerdings an der Meldung unter "Vermischtes" hängen geblieben wäre, dass ein Bürgermeister in einem belgischen Badeort sich so sehr über die schlechte Wettervorhersage ärgerte, dass er vor Gericht zog? Besser immer alles lesen, sinniert Roland Schimmel.

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Als der Prüfer im Zivilrecht, vorab als nicht "protokollfest" bekannt, mit der Darstellung des Sachverhalts beginnt, unterdrücken Sie das intuitive Bedürfnis, eine kleine Gershwin-Melodie zu pfeifen, obwohl das sonst immer sehr beruhigend auf Sie wirkt. Nach einer recht unerfreulichen mittelfristigen Wettervorhersage, über die die Presse mangels wichtigerer Nachrichten breit berichtete ("Der Sommer 2012 fällt aus"), stornieren zahlreiche Urlauber ihren Hotelaufenthalt in einem kleinen Städtchen an der belgischen Küste. Die Umsatzausfälle der örtlichen Hoteliers sind beträchtlich. Der Bürgermeister der Gemeinde kündigt an, deshalb den Wetterdienst gerichtlich auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Eine Wettervorhersage über mehrere Wochen sei gar nicht seriös möglich – und offensichtlich seien die Stornierungen genau in den Tagen nach der Presseberichterstattung eingegangen. Hat die Gemeinde einen Anspruch auf Schadensersatz?

Sommerloch … an' the livin' is easy

Im ersten Augenblick gehen Ihnen unsortiert haufenweise Stichwörter durch den Kopf: Expertenhaftung? Sachverständigenhaftung? Schadenszurechnung? Schutzbereich der Norm? IPR-Probleme? Das Ergebnis allerdings scheint einigermaßen klar: Die Wettervorhersage steht in der Zeitung nicht zufällig neben dem Horoskop. Dafür darf es keine Haftung geben können … sollen … dürfen. Andererseits: Wer hat sich nicht schon über unzuverlässige Wettervorhersagen geärgert, zumal wenn darauf verbindliche Planungen gestützt waren, und sei es nur die Bergtour in den Ferien? Schließlich muss ein Wetterdienst keine langfristigen Vorhersagen abgeben – und wie heikel die sind, wissen die Meteorologen doch selbst am besten …?

Und wie es der Zufall will: Sie sind als erster dran

Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, nageln Sie den Prüfer zunächst darauf fest, dass der Sachverhalt ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilen sei. Sodann vereinbaren Sie, dass es sich nicht um eine staatliche Wettervorhersage handele, sondern um einen privaten Betreiber meteorologischer Dienste. Damit dürften staatshaftungsrechtliche Ansprüche ausgeschlossen sein. Als nächstes könnten Sie – um noch nicht inhaltlich in die Diskussion einsteigen zu müssen – die Ansprüche gegen die Zeitung (den Verlag, den verantwortlichen Redakteur usw.) in die zweite Reihe schieben, so dass allein der Wetterdienst im Fokus steht. Nun präzisieren Sie weiter: Als Anspruchsteller sähen Sie lieber den Hotelier als den Bürgermeister. Schließlich ist der messbare Vermögensnachteil nicht bei Letzterem eingetreten. Günstigstenfalls ist der Prüfer beeindruckt von Ihrer Fähigkeit, auf diplomatische Art aus einer diffusen Zeitungsmeldung einen vernünftigen Sachverhalt zu konstruieren (womit Sie übrigens die Arbeit erledigt hätten, die er sich vor der Prüfung hätte machen müssen.) Vielleicht belohnt er Sie, indem er den Kandidaten zu Ihrer Linken drannimmt. Wenn nicht, müssen Sie jetzt in der Sache Position beziehen.

Also suchen Sie eine Anspruchsgrundlage

Laut denkend schließen Sie zuerst vertragliche Ansprüche aus: Zwischen dem Hotelier und dem Wetterdienst gibt es keine vertragliche Verbindung. Auch die Ausdehnung des Schutzbereichs einer vielleicht anderweitig bestehenden Vertragsbeziehung auf den geschädigten Hotelier liegt fern. Sollte Ihr Prüfer überraschend Interesse an den Einzelheiten des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte signalisieren, folgen Sie seiner Anregung. Sowohl an der erforderlichen gläubigergleichen Gefährdung des Hoteliers als auch an deren Erkennbarkeit dürfte der Gedanke aber letztendlich scheitern. Jetzt sind Sie bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung angelangt. Mangels Vorsatzes beim Wetterdienst kommt eine Haftung aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht in Betracht. Über die fehlende Sittenwidrigkeit verlieren Sie schon kein Wort mehr.

§ 823 BGB: Wenigstens eine Norm von vorn bis hinten prüfen

Bei § 823 Abs. 1 BGB holen Sie kurz Luft und schicken ein skeptisches "Hier habe ich Zweifel bei fast allen Normvoraussetzungen." vorweg. Dann sollten Sie als verletztes Rechtsgut zügig das Recht am Unternehmen (in der Sprache des Reichsgerichts: dem "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb") identifizieren. Damit eröffnen Sie ein weites Feld für die Diskussion Ihrer Mitprüflinge, nämlich die Frage nach den richtigen Zurechnungskriterien bei der Verletzung eines so genannten Rahmenrechts. Sie entscheiden diese Frage nicht abschließend, sondern lassen nur durchblicken, dass der Bundesgerichtshof (BGH) auf den wenig aussagekräftigen Begriff der Betriebsbezogenheit abstellt. Daran dürfte es aber fehlen, schließlich weiß die Wetteragentur nichts von der Existenz des Hoteliers. Selbst wenn man das anders sähe, wäre doch die Zurechnung des Ursachenverlaufs einigermaßen problematisch. Ob nämlich eine solche eher entfernt liegende (wenn auch nicht unwahrscheinliche) Rechtsgutverletzung in den Schutzbereich der Vorschrift fällt, muss bezweifelt werden. Im Gegenteil wird man die Stornierung von Hotelbuchungen im Rahmen des gesetzlich und vertraglich Zulässigen als Teil des unternehmerischen Risikos des Hoteliers verstehen müssen. Damit ist die Folgefrage aufgeworfen, ob überhaupt ein absolutes Recht des Hoteliers verletzt ist: Bei den Vertragsbeziehungen zu den Hotelgästen handelt es sich gerade um relative Rechte. Dass diese eigentumsgleich geschützt sein sollten, bedürfte näherer Begründung. Außerdem ist die Verletzung des Rechts am Unternehmen nur eine ziemlich mittelbare. In der Ursachenkette stehen zwischen der Vorhersage und der Verletzung einer deliktisch geschützten Erwartung immerhin die freien Willensentscheidungen der Hotelgäste. Man mag diesen Verlauf als adäquat kausal bezeichnen, aber unproblematisch ist das nicht. Fahrlässigkeit wird dem Wetterdienst regelmäßig nicht vorzuwerfen sein, solange er die Vorhersage lege artis getroffen hat. Allenfalls könnte man überlegen, ob mit abnehmender Prognosesicherheit auf längerfristige Vorhersagen nicht ganz verzichtet werden sollte. Nicht wenige Nachfrager – etwa in der Landwirtschaft – werden aber auch an einer nur maßvoll verlässlichen Vorhersage interessiert sein.

Einmal tief Luft holen …

Die Stornierung von Hotelbuchungen unter den Begriff des entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) zu fassen und damit als Schaden zu identifizieren, wird nicht allzu problematisch sein. Nicht ganz eindeutig zu beantworten ist aber die anschließende Frage nach der Ursachenbeziehung zwischen der Vorhersage des Wetterdiensts und dem Umsatzverlust des Hoteliers. Man kann nicht wissen, ob nicht auch ohne die Vorhersage Buchungen wegen schlechten Wetters storniert worden oder von vornherein ausgeblieben wären. Damit haben Sie schon mal ein ordentliches Gerüst geliefert. Fleisch an die Knochen sollen jetzt Ihre Kollegen bringen. Wenn Ihr Prüfer immer noch Sie anguckt, versuchen Sie es mit einem Schlenker: "Für eine Haftung des Wetterdienstes kommt also nur eine Lösung de lege ferenda in Betracht." Ob aber eine solche tatsächlich erforderlich ist – wie etwa bei Ratingagenturen –, ist dem weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers überlassen. Angesichts der obigen Überlegungen zum Erwartungshorizont des Adressaten der Wettervorhersage sowie der geringen Wahrscheinlichkeit nicht kunstgerecht ausgeführter Vorhersagen ist mit dem Vorliegen eines Gesetzesentwurfs frühestens im Sommer 2014 … (hier verkneifen Sie sich das Wort "Sommerloch", um den Prüfer nicht zu reizen; stattdessen summen Sie leise Rudi Carrells Klassiker "Wann wird´s mal wieder richtig Sommer?" von 1975).

Und Schluss

Wenn Sie bis hier gekommen sind, können Sie Ihren Prüfungsvortrag schließen mit "Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit". Eigentlich wollten Sie diesen Satz ja erst im Zweiten Staatsexamen sagen, nach dem Aktenvortrag. Immerhin: Vorläufig haben Sie sich den Weg nach dort frei argumentiert. Ein Alternativszenario: Sie holen tief Luft und sehen – unauffällig! – nach der Uhr. Vier Minuten der Prüfung sind vergangen. Es wird Zeit für die wirklich unangenehmen Fragen. Ihr Prüfer nickt Ihnen verbindlich zu, sein Blick wandert weiter zu Ihrem Nachbarn. Gott sei Dank. Ein zweites Alternativszenario: Sie wachen auf. Schweißgebadet. Es ist halb sechs. Der Wecker klingelt penetrant. Alles nur geträumt. Die Prüfung liegt noch vor Ihnen, in gut drei Stunden geht's los. So ein Ärger. Aber wenigstens eins ist sicher: Die Haftung der Wetterdienste kriegen Sie irgendwie in den Griff. Der Autor Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main. Er prüft gelegentlich im Ersten Staatsexamen.

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