Mein Weihnachtswunsch

Eine moderne Juris­ten­aus­bil­dung

Gastbeitrag von Tianyu YuanLesedauer: 5 Minuten
Die Juristenausbildung orientiert sich aktuell viel zu wenig an der digitalen Arbeitswelt, meint Tianyu Yuan. Er glaubt, dass selbst die um Nachwuchs ringende Justiz profitiert, wenn man daran endlich einmal etwas änderte.

Ich habe sehr gerne Jura studiert. Sogar die Zeit im Referendariat habe ich genossen. Aber nicht wegen, sondern trotz der Ausbildungsrealität. Nun ist bald Weihnachten. Damit dürfen sich auch zu Nüchternheit und Skepsis erzogene Juristen dazu hinreißen lassen, Wünsche zu äußern. Und ich wünsche mir, dass künftige Juristengenerationen sagen können: "Ich bin glücklich, Jura studiert zu haben!" Das klingt zuerst wie ein schlechter Scherz. Und je länger man darüber nachdenkt, desto realitätsfremder erscheint er. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass sich die Dinge in der Juristenausbildung (langsam) zu einem Besseren wenden können. Aber nur dann, wenn sich genug Menschen deutlich hörbar diesem Wunsch anschließen.

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Spaß trotz Juristenausbildung

Eigentlich könnte mir die Juristenausbildung egal sein. Ich habe schließlich beide Examen in der Tasche. Ist es also öffentliche Traumabewältigung, wenn ich an eine Reform der Juristenausbildung appelliere? Wohl kaum. Meine Ausbildungszeit war super. Aber nur deshalb, weil ich sie aktiv umgestaltet habe. Im Kern hieß das: Kaum Vorlesungen besuchen, sehr flexibel (man muss ja nur an Klausurtagen anwesend sein) und eigenständig arbeiten, im Referendariat möglichst viele Stationen außerhalb des Ausbildungsgerichtsbezirks absolvieren. Jedoch hat es sich ergeben, dass ich mich in den vergangenen zwei Monaten mehrfach mit der digitalen Transformation in der Juristenausbildung beschäftigt habe. So etwa auf dem Legal Retreat aus dem Blickwinkel des Legal Design Thinking, als Teilnehmer einer Beratung hochrangiger Vertreter wichtiger Landesjustizprüfungsämter und schließlich auf dem Panel zur "Digitalisierung im Jurastudium" im Rahmen des größten deutschsprachigen Legal-Tech-Kongresses – der Legal Evolution.

Null Bock auf Technik - sind Jurastudenten altmodisch?

Obwohl zunächst zu befürchten war, dass das durch die Bank weg progressiv besetzte Panel auf der Legal Evolution in digitalisierungsfreundlicher Harmonie eintönig wirken würde, nahm die Debatte einen hitzigen Verlauf. So äußerte einer der Diskutanten den Gedanken, Jurastudenten hätten ohnehin einen Hang zum Altmodischen und würden neue Angebote mit Digitalisierungsbezug gar nicht nachfragen. Dabei liegt auf der Hand, dass gerade der enorme Prüfungsdruck des Staatsexamens und die Prüfungsmodalitäten Studenten wie Referendare zur Perfektion im Umfang mit Gesetzesbüchern, Stift und Papier zwingen. Die Gedanken werden dabei diszipliniert, besonders geschickt mit Fremdbesitzerexzessen und bereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnissen umgehen zu können. Fragen der Digitalisierung? Fehlanzeige. Alles fürs Examen, lautet die Devise. Dass der Wunsch der Studenten nach Ausbildungsinhalten mit Digitalisierungsbezug keine Einbildung ist, zeigen bereits die zahlreichen studentischen Initiativen, wie etwa die Munich Legal Tech oder das Frankfurter Legal Tech Lab. Sie sind ein verlässlicher Indikator. Es muss schon einiges zusammenkommen, wenn Studenten wichtige Zeit für Klausur- und Examensvorbereitung opfern, um etwas Realitätsbezug an die Universitäten zu bringen. Der tief menschliche Wunsch, die eigene Lebenszeit mit Relevantem zu verbringen, ist eben stärker.

Auch die Universitäten müssen Digitalisierung erst lernen

Damit liegt der Finger schon indirekt in der Wunde: Die meisten Professoren an den juristischen Fakultäten haben gar nicht die Fähigkeiten, um Themen wie juristisches Projektmanagement, Künstliche Intelligenz im Recht, Legal Tech oder Legal Design zu unterrichten. Das ist natürlich nicht verwunderlich, denn sie selbst wurden nicht darin ausgebildet und die Digitalisierung ist auch für sie (noch) Neuland. Deshalb ist es wichtig, dass die juristischen Fakultäten sich einerseits in Richtung anderer Disziplinen wie BWL, Informatik oder Computerlinguistik, aber andererseits auch für die Praxis öffnen. Diese Öffnung muss durch das Prüfungsrecht flankiert werden, damit für die Studenten auch ein mehr als nur intrinsischer Anreiz besteht, solche Angebote wahrzunehmen. Viele Jurastudenten sind technikaffin – man muss ihnen aber auch die Zeit geben, dieses Interesse abseits des Weges zum sagenumwobenen (Prädikats-)Examen zu erkunden.

Die Praxis braucht keine digitalen Analphabeten

Es ist schon fast absurd, hinsichtlich der Juristenausbildung den Wunsch äußern zu müssen, dass Kompetenzen auf den Lehrplan gelangen, die in der heutigen Arbeitswelt nachfragt werden. Die Praxis hat ein großes Interesse daran, dass sich das bald ändert. Denn alles, was Universitäten und Ausbildungsgerichte versäumen, muss kostspielig on the job nachgeholt werden. Der Erfolg eines solchen Unterfangens ist zweifelhaft, wie man etwa am sogenannten Upskilling berufstätiger Juristen in Sachen Digitalisierung erkennen kann, das auch zahlungskräftige Arbeitgeber selten strukturiert anbieten. Je weiter die digitale Transformation voranschreitet, desto absurder wird der analoge Zustand der Juristenausbildung. Menschen studieren Jura, weil sie insbesondere wissen möchten, wie wesentliche Bereiche ihres von Digitalisierung geprägten Lebens reguliert werden. Derzeit gewinnt man immer mehr den Eindruck, mit dem Jurastudium auch das unausgesprochene Pflichtfach "Belletristik der Rechtsgeschichte" gewählt zu haben – ich denke da zum Beispiel an ein Weinfass in einem Trierer Keller. Zur Praxis gehört natürlich auch die Justiz als wichtiger Arbeitgeber, die unweigerlich mit der Juristenausbildung in Verbindung gebracht wird. In den vergangenen Jahren ist es für die Justiz nicht einfacher geworden, an geeigneten Nachwuchs zu kommen. Eine mit Augenmaß vorgenommene Reform der Juristenausbildung könnte gerade sie als Arbeitgeber attraktiver machen. Mit dem E-Government-Gesetz muss sich die Justiz ohnehin digitalisieren. Warum dann nicht gleichzeitig zeigen, dass sie auch Digitalisierung in der Juristenausbildung kann?

Auf eine kürzere Wunschliste im nächsten Jahr

Natürlich erwarte ich nicht, dass diese Wünsche schon bald in Erfüllung gehen. Allerdings habe ich die – durchaus berechtigte – Hoffnung, dass die Wunschliste für 2019 kürzer ausfallen wird. Ich wünsche mir von den Justizprüfungsämtern, Digitalisierung und die Vermittlung digitaler Kompetenzen in die Prüfungsordnungen aufzunehmen. Dadurch werden Lehrende legitimiert, entsprechende Veranstaltungen anzubieten, und Studenten hätten auch einmal einen triftigen Grund, diese zu besuchen. Von den Lehrenden wünsche ich mir, mehr digitale Lebenssachverhalte zum Gegenstand juristischer Ausführungen zu machen. Von den Studenten und Referendaren wünsche ich mir, diese Wünsche gegenüber den Entscheidungsträgern auch zu artikulieren. Schließlich wünsche ich mir bei der Erfüllung dieser Wünsche einen deutlichen Sinn fürs Design Thinking. Der Nutzer – oder auch der Student - muss mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen, wenn es darum geht, die Dinge – oder auch das Studium - für ihn zu gestalten. An diesem Punkt liegen im neuen Jahr die Dinge im Rahmen meiner Arbeit auch in meiner Hand. Der Autor Tianyu Yuan wünscht frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg und promoviert zur Automatisierung in der Subsumtion. 2016 hat er das Legal Tech Startup LEX superior gegründet, das sich der Digitalisierung der Juristenausbildung widmet.

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