Vorwürfe gegen Juristen-Coaching

Ein neues Geschäft mit der Angst?

von Markus SehlLesedauer: 8 Minuten

Nach einem Shitstorm in sozialen Netzwerken wehren sich zwei selbsternannte Coaches für Jurastudenten gegen eine "Hetzjagd". Der Vorwurf: Sie nutzten die Angst labiler Examenskandidaten aus, um an ihnen zu verdienen.

Auf der Website von "Achtzehngewinnt", einem Jura-Coaching-Unternehmen aus Neuss bei Düsseldorf, findet sich seit einigen Tagen der Hinweis, dass das Unternehmen Opfer einer "Hetzjagd" im Netz geworden sei. Zudem seien die IT-Systeme angegriffen worden. Strafanzeige sei erstattet, die "Drahtzieher" würden ermittelt. Eine ehemalige Kundin soll eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben und 7.000 Euro Schadensersatz zahlen. Wer sich mit Fragen bei dem Unternehmen meldet, erhält Antworten nur noch von der Presserechtskanzlei Höcker Rechtsanwälte aus Köln.   

Ein Beispiel für den Shitstorm in den sozialen Medien, auf Instagram und Twitter, klingt so: "Was sich die Witzfiguren von achtzehngewinnt denken, wenn sie armen verunsicherten Jurastudenten einen Haufen Geld abzocken wollen". 

Das Unternehmen verfügt laut Homepage über eine Handvoll Mitarbeiter und hat Start-Up-Charakter. Javid Safaei Ashtiani, Kopf und Gesicht des Unternehmens, ist nach eigenen Angaben Jurist mit erstem Staatsexamen. Der Name des Unternehmens ist eine Anspielung auf die Maximalpunktzahl in Jura-Prüfungen. Als "eine der erfolgreichsten & exklusivsten deutschen Jura-Coaching-Akademien" will Achtzehngewinnt laut Webseite dabei helfen, das Jurastudium mit Prädikat abzuschließen. "Prädikatsexamen mit System" lautet der Slogan.  

"Im ersten Schritt sorgen wir dafür, dass du maximale Stressresistenz und Disziplin durch das richtige Mindset Upgrade erhältst," so das Konzept laut Webseite. Und: "Eine tägliche Erfolgskontrolle und der direkte Austausch mit deinem persönlichen Mentor komplettieren unser Konzept und sorgen für Erfolg." 

Ein Resultat oder konkretes Ergebnis verspreche man aber nicht, betonte das Unternehmen auf Nachfrage von LTO. Vielmehr biete man "eine Dienstleistung, in deren Rahmen intensiv daran gearbeitet wird, das persönliche Potenzial der Kunden in vollem Umfang zu entfalten".  

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Bereinige Dein Umfeld 

Die Jurastudentin Nicole erhebt Vorwürfe gegen die Geschäftspraxis des Unternehmens. Sie ist im achten Semester an der Uni Köln eingeschrieben und heißt eigentlich anders. Ihren richtigen Namen, der der Redaktion bekannt ist, möchte sie lieber nicht lesen. Sie schämt sich, dass sie 2019 auf das Angebot von Achtzehngewinnt "hereingefallen" ist, so erzählt sie es.  

Sie habe 1.500 Euro für ein "4-Wochen-Elitetraining" bezahlt, dafür habe es acht Mal jeweils eine Stunde Coaching mit Ashtiani per Zoom gegeben. Viel Geld für eine Studentin und viel zu viel für die Gegenleistung, wie sie findet. Was sie für ihr Geld bekommen hat, sei "alles heiße Luft" gewesen. 

Vor jedem Videotreffen habe sie einen kurzen Fragebogen ausfüllen müssen, der dann gemeinsam mit dem Coach besprochen wurde. Die Fragen lauteten etwa: "Guckst du oft andere an und fragst dich, wie man so motiviert sein kann?", "Wie sind die Klausuren bisher bei dir gelaufen?" oder "Was hält dich deiner Meinung aktuell noch davon ab, das nächste Level zu erreichen?" Es gibt auch Tipps, um das eigene Umfeld von "negativen Menschen" ("Blocker, Hater, Altlasten") zu "bereinigen". "Nur weil Menschen 'gut'/'nett'/'lieb' sind oder Du sie schon lange kennst, haben sie keine Berechtigung, in Deinem Leben zu sein bzw. Dir Deine Zeit zu stehlen", heißt es in Kursunterlagen von Achtzehngewinnt, die LTO vorliegen. Der Begriff des Coachings ist derzeit keine geschützte Berufsbezeichnung.  

Die einzig sichere Chance für Dich, das Studium nochmal in den Griff zu bekommen 

Vor allem aber wirft Nicole den Coaches vor, sie hätten sie unter Druck gesetzt und ihre bedürftige Lage ausgenutzt, um sie zum Vertragsabschluss zu bringen. 

Alles habe mit der Angst angefangen. Der Angst, im Examen zu versagen, erzählt sie. Sie sei im Sommer 2019 in der großen Übung durch eine wichtige Zivilrechtsprüfung gefallen, im Strafrecht habe sie nur knapp bestanden, die Ausgangslage für das anstehende Examen sei alles andere als gut gewesen. Über Werbung im Internet sei sie auf das Unternehmen und seine Coaching-Angebote aufmerksam geworden.  

Sie habe auch dann per SMS mit den Unternehmern kommuniziert. Die hätten ihr Mut gemacht und ihr ihre Sorgen genommen. Das sei genau das gewesen, was sie damals gesucht habe. Als es aber auf den Vertragsabschluss zuging, sei sie unsicher geworden wegen der hohen Kosten.  Dann seien die Nachrichten nachdrücklicher geworden. 

In einer der Nachrichten, die sie von einem Mitarbeiter von Achtzehngewinnt erhielt, heißt es u.a. "ich denke, wir wissen beide, dass dies die einzige sichere Chance für dich ist, das Studium nochmal in den Griff zu bekommen." Und weiter: "Ob dir das ein Investment von 1500€ in dich selbst wert ist, musst du entscheiden."  

Nicht jede Kommunikation von Anfang an einwandfrei 

Achtzehngewinnt teilte auf LTO-Anfrage dazu über Höcker Rechtsanwälte mit, der Mitarbeiter habe nach einem Beratungsgespräch mit der Studentin das Studium und das Examen tatsächlich als gefährdet angesehen und seine ehrliche Meinung dazu geäußert. Dabei könne es "im Einzelfall passieren, dass die Formulierung der Einschätzung wie in dem von Ihnen zitierten Satz [...] von dem Interessenten als zu direkt empfunden wird". Das sei aber die absolute Ausnahme. Irgendeine Druckausübung sei damit nicht verbunden. Denn der Mitarbeiter habe dem Interessenten ja selbst die Wahl gelassen, ob er die 1.500 Euro investieren und Achtzehngewinnt beauftragen wolle oder nicht.  

Welcher Mitarbeitende die Aussage getätigt hat, teilt das Unternehmen auch auf Nachfrage nicht mit. Von Inhaber und Gesicht von Achtzehngewinnt, Javid Safaei Ashtiani, stamme sie nicht, er habe auch kein Wissen davon gehabt und verzichte, wie auch alle Mitarbeiter des Unternehmens, generell auf missverständliche Formulierungen. Bei einem jungen Unternehmen könne man nicht ausschließen, "dass von Anfang an nicht jede Kommunikation einwandfrei ist". Und weiter: "Heute würde diese Formulierung nicht wiederholt werden, obwohl sie weder rechtlich noch moralisch angreifbar ist".  

Weiter heißt es in der SMS an Nicole: "Wie Javid schon angekündigt hatte, können wir das Angebot über den heutigen Tag hinaus nicht aufrecht erhalten – wir haben heute Nachmittag um 16/17 Uhr noch zwei Gespräche, die dann den besprochenen Platz angeboten bekommen und einnehmen würden." Nicole solle sich schnell entscheiden. 

Sie nennt das im Nachhinein "manipulativ", sie fühlte sich unter Druck gesetzt. Heute sagt sie: "Die ziehen einfach Studenten ab."  

"Über 100 zufriedene Kunden" 

Allein ist sie mit dem Vorwurf nicht. Nachdem über einen Meme-Account auf der Plattform Instagram Screenshots veröffentlicht wurden, vernetzten sich offenbar weitere Betroffene bzw. angeblich Betroffene.  

Achtzehngewinnt selbst gibt auf seiner Webseite an, "über 100 zufriedene Kunden hervorgebracht" zu haben, und spricht gegenüber LTO von 500 Beratungsgesprächen, die man geführt habe.   

Der Meme-Account auf Instagram ist mittlerweile deaktiviert. Der Betreiber des Accounts will sich auf sein Studium konzentrieren, Anfeindungen in den vergangenen Tagen hätten ihm schwer zu schaffen gemacht. Screenshots von Chatverläufen, die auf seinem Account veröffentlicht wurden, hält er für echt. Achtzehngewinnt erklärte dagegen, auf Instagram kursierende Screenshots stammten aus einer Kommunikation mit einer Person, die tatsächlich keine Examenskandidatin gewesen sei, und seien "gefaked" bzw. manipuliert.  

Nach Recherchen von LTO soll es jedenfalls noch mindestens fünf weitere Betroffene geben, die ähnliche Vorwürfe erheben wie Nicole - und die sich nun selbst juristisch beraten lassen wollen. Eine Studentin hat den von ihr geschlossenen Vertrag nach dem Fernabsatzrecht widerrufen und ihr Geld von Achtzehngewinnt zurückerhalten.

Abmahnung statt Geld zurück

Auch Nicole hat inzwischen einen Anwalt, der die Sache prüft. Sie hatte zunächst gehofft, dass sie das Geld kulanzhalber zurückbekommen würde. Aber am Mittwoch erhielt sie Post von der Kanzlei Höcker. "Erst zeigten sich die Unternehmer von Achtzehngewinnt gegenüber meiner Mandantin kulant, dann brach der Kontakt ab und sie bekam ein Anwaltsschreiben zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung", sagt der Anwalt. Die junge Frau solle es, so die Aufforderung, unterlassen, Kommunikation zwischen ihr und dem Unternehmen zur Veröffentlichung an Influencer weiterzugeben sowie Lernmaterialien des Unternehmens bei Jodel zu veröffentlichen. Achtzehngewinnt fordert zudem 7.000 Euro Schadensersatz in Form entgangenen Gewinns von der Studentin, so ihr Anwalt. Den Streitwert der Angelegenheit beziffern Höcker Rechtsanwälte auf 37.000 Euro.

Der Anwalt von Nicole sieht einen Widerspruch zwischen dem öffentlichem Auftreten des Unternehmens, das Transparenz und Kulanz versprochen haben soll, und dem Vorgehen gegen Einzelne im Hintergrund. "Das hat schon einen faden Beigeschmack." Er will nach eigener Aussage prüfen, ob beim Vertragsschluss ein Verstoß gegen § 138 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorlag. Danach sind Rechtsgeschäfte nichtig, durch die jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.  

Warum Nicole jetzt erst über den Vorgang sprechen will? "Ich habe ja noch gar kein Examen und ich habe mich nicht getraut, Kritik an diesen Kursen zu äußern". Sie würde sich selbst als eher naiv beschreiben, sagt sie.  

Ein neues Geschäft mit der Angst? 

Mittlerweile hat die Studentin nach eigenen Angaben auch Fachschaften an Jurafakultäten und Anbieter privater Repetitorien angeschrieben. Sie will nicht nur ihr Geld zurück, sondern auch andere vor den Coaches warnen: "Sie nutzen die Angst in einer Phase enormen Stresses, in der Examenskandidaten psychisch instabil sind, um sie zum Abschluss eines Vertrags zu bringen", erklärt sie.  

Achtzehngewinnt weist das auf Anfrage von LTO energisch zurück: Das Unternehmen helfe Studenten und Examenskandidaten vielmehr, "diese schwierige Phase der Nervosität und des Stresses erfolgreich zu überwinden", heißt es im Schreiben von Höcker Rechtsanwälte. "Selbstredend" spreche das Marketing dieses Ziel auch an. Und weiter: "Sie wissen, dass Sie einen solchen Vorwurf auch jedem einzelnen privaten Repetitor machen können, tun es aber nicht", schreibt Achtzehngewinnt. 

Noch immer zahlt die große Mehrheit der Jurastudenten Geld an private Unternehmen, um sich auf das Erste Staatsexamen vorzubereiten. In praktisch jeder Universitätsstadt gibt es Repetitorien wie Alpmann-Schmidt, Hemmer oder Jura Intensiv, die Marktführer meist organisiert in einer Art Franchise-Modell. In der Regel hochqualifizierte Juristen vermitteln den Examenskandidaten neben dem juristischen Wissen vor allem die Strukturen zur Lösung der Fälle, aus denen die juristische Prüfung besteht.  

Das Geschäftsmodell existiert seit Jahrzehnten. Es basiert darauf, dass die universitäre juristische Ausbildung als nicht ausreichend angesehen und dargestellt wird. Für die Vermittlung des umfangreichen Stoffs fürs juristische Staatsexamen zahlen die Kandidaten zwischen 100 und 200 Euro im Monat. Der Markt ist hart umkämpft, zumal Jurafakultäten den privaten Repetitoren zunehmend den Kampf ansagen und Universitätsrepetitorien aufsetzen, um die Studenten selbst aufs Examen vorzubereiten.

Das juristische Staatsexamen gilt als schwierig. Die Stoffmenge ist extrem umfangreich und nimmt immer weiter zu, abstraktes gelerntes Wissen genügt nicht, um die gestellten Fälle zu lösen. Das Geschäftsmodell der privaten Repetitoren wird deshalb schon lange als Geschäft mit der Angst der Studenten bezeichnet.  

Offenbar entdecken jetzt auch andere Geschäftszweige dieses Modell für sich. Wo Angst ist, sind Unternehmen nicht weit, die damit werben, fürs richtige Mindset für den Erfolg zu sorgen. Wer sich davon angesprochen fühlt und wie erfolgreich diese Unternehmen am Ende sein werden, dürfte von der Qualität ihres Angebots abhängen. Auch der Markt angsterfüllter Juristen funktioniert nach den Regeln des Marktes.  

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