Juristische Ausbildung

Als Pro­zess­be­o­b­achter bei Kara­džić & Co.

von Sascha HörmannLesedauer: 5 Minuten
Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist einer der Wesenszüge des fairen Strafverfahrens. Vor allem bei komplexen und langwierigen Verfahren verfolgen daher Beobachter das Geschehen und machen den Prozessverlauf einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die Uni Marburg bietet seit Anfang 2011 ein neues Projekt, in dem Studenten sich auf diesen interessanten Job vorbereiten können.

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Berichte verfassen. Was sich zunächst einfach anhört, erfordert auf dem zweiten Blick einiges an entsprechendem Know-How. Florian Hansen erklärt, dass zunächst detaillierte Kenntnisse des jeweiligen Prozessrechtes gefragt seien. Hinzu brauche man Überblick über den Hintergrund des Verfahrens sowie das richtige Gefühl für die Schwerpunktsetzung, so der Marburger, der selbst sieben Monate als Verfahrensbeobachter am so genannten Khmer-Rouge-Tribunal in Kambodscha verbrachte. Er begleitete dort als Teil eines internationalen Teams das Verfahren gegen Kaing Guek Eav, genannt "Duch", dem ehemaligen Leiter des Foltergefängnisses Tuol Sleng. "Die Zeit in dieser wunderschönen Gegend der Welt, mit seinen ganz eigenen Regeln möchte ich nicht missen, sie hat mich sicher persönlich weitergebracht." Dies gelte erst recht auch vor dem Hintergrund, dass die tagtägliche Auseinandersetzung mit den Massenverbrechen der Roten Khmer, die Schönheit des Landes schnell wieder vergessen ließ. Das nötige Rüstzeug für einen solchen Einsatz als "Monitor", so der englische Begriff für die Berichterstatter, können sich Studierende der Uni Marburg seit diesem Jahr im Rahmen eines Projekts des "Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse" zulegen. Am Ende des Monitoring-Programms, das Theorie und Praxis verbinden und die Teilnehmer systematisch auf mögliche Auslandsaufenthalte vorbereiten will, wartet ein Zertifikat.

"Einzigartiges Angebot"

Die auf zwei Semester angelegte Ausbildung zum Prozessbeobachter richtet sich in erster Linie an Studierende der Rechtswissenschaft, steht aber auch Teilnehmern anderer Fachbereiche offen. Inhaltlich wird einiges geboten aber auch verlangt. Neben dem Besuch von Vorlesungen zum Völkerstrafrecht und Strafverfahrensrecht müssen die zukünftigen Berichterstatter auch die dazugehörigen Klausuren sowie eine Seminararbeit bestehen. Hinzu kommen vertiefende Workshops zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens und den Prinzipien des Monitorings. Für die praktischen Arbeiten, also dem Verfassen von Berichten, wird das Landgericht Marburg besucht, das wenige hundert Meter die Straße herunter liegt. Denn erst wenn auch eine Mindestanzahl an Verhandlungstagen im Gerichtssaal verbracht wurde, gilt die Ausbildung als durchlaufen. Das mag anstrengend klingen, dafür sei aber die Vorbereitung für einen Einsatz als Prozessbeobachter "in dieser Form sicher einzigartig", meint Hansen, der heute einer der Koordinatoren des Projekts ist. Nirgendwo anders würde man so umfassend auf eine solche Tätigkeit vorbereitet. Zumal vor einem Aufenthalt bei einem der internationalen Tribunale noch einmal das entsprechende Landesverfahrensrecht studiert würde. Der jetzige Umfang der Lehrinhalte ist das Ergebnis eines ersten Pilotprojekts, in dessen Rahmen das Konzept erprobt wurde. Den Anlass gab die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Onesphore R. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt im Januar 2011. Dem  in Deutschland lebenden Ruander wird vorgeworfen, sich im Jahre 1994 des Völkermordes an über 3700 Menschen schuldig gemacht zu haben. Einige Wochen zuvor stellt die Universität Marburg die Idee der Begleitung des Verfahrens durch studentische Prozessbeobachter zum ersten Mal vor. Die Resonanz war bemerkenswert: Damals bewarben sich 92 Studierende verschiedener Fachbereiche um die Teilnahme. "Das war wirklich bemerkenswert, wir waren von einem so starken Interesse schier überwältigt", meint der Leiter der Zusatzqualifikation, Prof. Dr. Christoph Safferling, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität.

Anstrengend, aber es lohnt

Anhand von Motivationsschreiben wurden schließlich 30 Teilnehmer ausgewählt. Unter ihnen war auch Martin. Ihn reizte die Aussicht, gewissermaßen „vor der eigenen Haustür“ ein Verfahren begleiten zu können, mit dem sich sonst nur internationale Tribunale befassen. Seitdem ist immer eines von insgesamt sieben Teams an einem Verhandlungstag im nicht weit entfernten Frankfurt und verfasst im Anschluss daran einen Bericht, der das Prozessgeschehen detailliert abbildet. Die "Monitors" dokumentieren dabei in aller Regel mehr als das Gericht selbst. Denn gemäß § 272 StPO genügt es, wenn das Protokoll der Hauptverhandlung "den Gang der Verhandlung im wesentlichen" wiedergibt. Die „Monitoring-Reports“ werden anschließend online gestellt. Allerdings  in stark gekürzter Form, um den Verlauf des Verfahrens nicht zu beeinflussen. Doch nach Beendigung der Verfahren fängt die wissenschaftliche Auswertung erst an: "Dann werden die Aufzeichnungen unter Berücksichtigung bestimmter Fragestellungen, etwa zur Rolle der Nebenklage oder verschiedenen Bereichen des Beweisrechts ausgewertet", erklärt Professor Safferling. "Wenn man bedenkt, dass die Studierenden neben all den obligatorischen Veranstaltungen des Studiums auch noch zusätzliche Arbeit auf sich nehmen, das heißt, unsere Veranstaltungen besuchen, regelmäßig an das OLG fahren und dann noch Berichte verfassen, muss man natürlich feststellen, dass der Arbeitsaufwand hoch ist. Das gilt vor allem für unsere Teamleiter, die ja noch mehr leisten", gibt der Verantwortliche der Ausbildung zu. Dass die Teilnehmer eine besondere Motivation haben, bemerkt der Professor aber auch in anderen Veranstaltungen. "Es hat sich schon früh gezeigt, dass die Mitglieder der Prozessbeobachtergruppe auch in den übrigen Vorlesungen sehr aktiv und interessiert sind." Vor allem in den Vorlesungen zum Strafprozessrecht gäbe es immer wieder Fragen aus dem aktuellen Prozessgeschehen. "Es scheint, als ob die Verbindung zwischen Lehre und Praxis die Studierenden besonders aktivieren", vermutet Safferling.

Besser, als trockener Frontalunterricht

Das kann Franziska, die als Teamleiterin mit dabei ist, bestätigen: "Normalerweise besteht das Jurastudium vorwiegend aus Frontalunterricht, alles ist sehr theoretisch und oft etwas trocken. Bei der Prozessbeobachtung ist das anders, man bekommt einen Einblick in den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, auf den man im Studium sonst nicht vorbereitet wird". Zudem schaffe die regelmäßige Beschäftigung mit der Praxis "ein Ziel vor Augen, dass auch über zähe Phasen im Studium hinweg helfen kann", erklärt die Jurastudentin mit Blick auf die eigene Examensvorbereitung. An internationalen Gerichten und Tribunalen ist die langfristige Begleitung der Strafverfahren absolut üblich. Für die Absolventen ergibt sich also ein internationales Tätigkeitsfeld etwa bei Nichtregierungsorganisationen, wissenschaftlichen Einrichtungen und zum Teil auch bei internationalen Organisationen. Das Völkerstrafrecht gewinnt zunehmend an Bedeutung, und so ist auch davon auszugehen, dass es in Zukunft zu immer mehr Verfahren kommen wird, bei denen ein starkes Interesse an qualifizierter Beobachtung besteht. Ein enormer Bedarf als an Spezialisten, die in der Lage sind, das Prozessgeschehen dauerhaft, objektiv und mit juristischem Sachverstand zu begleiten. Für alle Interessierten, die sich jetzt schon als Prozessbeobachter in Kambodscha, Tansania, Sierra Leone oder dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag sehen, schafft das Marburger Monitoring-Programm eine gute erste Grundlage. Mehr auf LTO.de: Interdisziplinäre Studiengänge: Spezialist oder Schmalspurjurist? Grenzüberschreitende Juristenausbildung: Deutsches Recht macht Schule Moot Courts: Probe für den Ernstfall

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