Als Praktikant am UN-Tribunal in Kambodscha

"Wert­ge­schätzt, aber unbe­zahlt"

von Malte StedtnitzLesedauer: 6 Minuten
Völkermord, Zwangsheirat, über 280 Verhandlungstage und fast 200 Zeugen: Im November 2018 verurteilte das Tribunal zwei ehemalige Anführer der Roten Khmer. Malte Stedtnitz hat als "Legal Intern" am Verfahren mitgearbeitet. 

Im Kambodscha der Jahre von 1975 bis 1979 waren Vertreibung und Hunger, Folter und Tod an der Tagesordnung. Innerhalb kürzester Zeit führte der Versuch der Roten Khmer, das Land in einen radikal-kommunistischen Agrarstaat zu verwandeln, zum Tod von etwa 1,7 Millionen Menschen. Es ist wohl unmöglich, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen, ohne dabei ein gewisses Grauen zu empfinden. Wer die Gedenkstätten in Kambodscha besucht, die an die damalige Zeit erinnern – etwa das berüchtigte Foltergefängnis Tuol Sleng oder die „Killing Fields“ in Phnom Penh – verlässt sie niedergeschlagen und deprimiert. Um die juristische Aufarbeitung des Regimes kümmert sich seit 2006 das Rote-Khmer-Tribunal in Phnom Penh. Sein offizieller Name "Außerordentliche Kammern an den Gerichten von Kambodscha" deutet den Charakter als Hybrid-Gericht bereits an. Es ist sowohl mit internationalem wie auch nationalem Personal besetzt und wird von den Vereinten Nationen unterstützt. Von November 2017 bis April 2018 war ich an der Hauptverfahrenskammer als "Legal Intern" tätig.

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Ein Kulturschock zu Beginn

Nach dem ersten Staatsexamen brauchte ich nach achtzehn Monaten der Vorbereitung einen Tapetenwechsel und suchte nach Möglichkeiten für Auslandspraktika. Durch die Teilnahme an einem Moot Court am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag war ich bereits mit dem Völkerstrafrecht in Berührung gekommen und wusste von der Existenz des Rote-Khmer-Tribunals. Auf der Website fand ich die Dauerausschreibung und sandte Lebenslauf, Motivationsschreiben und eine englischsprachige Schriftprobe nach Kambodscha. Nach einem halb-stündigen Skype-Interview mit dem zuständigen Referenten ("Legal Officer") kam die Zusage. Anfang November 2017 traf ich schließlich in der kambodschanischen Hauptstadt ein. Es war meine erste Reise nach Südostasien, und so hatte ich am Anfang einen kleinen Kulturschock. Denn Phnom Penh ist eine Welt für sich. Zahllose Motorräder und Tuk Tuks wimmeln durch die Straßen, im Grunde ist permanent Stau. An jeder Straßenecke wird irgendetwas verkauft, überall sitzen Menschen auf roten Plastikstühlen und essen Suppe oder gebratene Nudeln. Ein großer Unterschied zum beschaulichen Freiburg, wo ich studiert hatte, und doch dauerte es nur wenige Tage bis ich diese andere Welt zu lieben begann. Denn die Menschen sind wahnsinnig freundlich und hilfsbereit. Jeden Morgen grüßte mich fröhlich der Tuk-Tuk-Fahrer, der stets auf der anderen Straßenseite wartete, und wir wechselten ein Paar Worte. Auch die Straßenverkäufer probieren gerne ihr Englisch aus, und wo das nicht klappt verständigt man sich mit Händen und Füßen. Schließlich sind es natürlich auch das tropische Klima und das gute Essen – insbesondere Fisch und Meeresfrüchte! – welche Kambodscha nicht nur zu einem beliebten Reiseziel, sondern auch zu einem wunderbaren Ort zum Leben machen.

Der erste Arbeitstag

Mein Arbeitstag begann um 6.45 Uhr und zwar eigentlich schon mit dem Gang zur Bushaltestelle. Das Rote-Khmer-Tribunal liegt nämlich keinesfalls an prominenter Stelle im Stadtzentrum, wie man es vielleicht erwarten würde, sondern auf einem Militärkomplex 16 Kilometer außerhalb – bei gewöhnlichem Verkehr ist das eine ganze Stunde Fahrzeit. Weil nahezu alle Angestellten des Gerichts im Stadtzentrum wohnen, verkehren Shuttlebusse zum Gericht. Wer besonders abenteuerlustig ist, stürzt sich selbst mit Auto, Motorrad, Tuk Tuk, oder gar dem Fahrrad in den Verkehr der kambodschanischen Hauptstadt.  Ich war Teil des Teams der "Trial Chamber". Wie das gesamte Gericht ist auch die Hauptverfahrenskammer zur Hälfte mit kambodschanischem und internationalem Personal besetzt. Neben den Richtern gibt es etwa fünfzehn "Legal Officers" und "Consultants" sowie zwischen vier und sechs "Legal Interns". Am ersten Tag erhielt ich beim gemeinsamen Mittagessen bereits einen ersten Einblick in die Arbeitsweise der Kammer. Der Umgang war ausgesprochen offen und freundlich – alle sprechen sich mit den Vornamen an, einzig die Richter werden mit "Judge" angesprochen. Die Kammer schrieb zu dieser Zeit das Urteil im Verfahren 002/02 gegen Nuon Chea und Khieu Samphan, die ranghöchsten noch lebenden Anführer der Roten Khmer. Die Schlussplädoyers waren im Juli 2017 gehalten worden. Nun galt es, die von den Parteien vorgebrachten Beweise und Argumente auszuwerten. Wir Praktikanten arbeiteten dabei den verschiedenen Teammitgliedern zu. So fassten wir etwa Zeugenaussagen zusammen, werteten Dokumente aus und formulierten hieraus erste Schriftsätze. Ebenso erstellten wir Gutachten zu den einzelnen juristischen Fragestellungen, die im Verfahren aufgeworfen worden waren.

283 Verhandlungstage, 185 Zeugenaussagen

Das Verfahren war von enormer Komplexität, umfasste die Anklageschrift doch einen Zeitraum von fast vier Jahren und Tatorte im ganzen Land. An 283 Verhandlungstagen hatten 185 Personen ausgesagt. Die Vorwürfe reichten von Zwangsheiraten zu Folter und dem Völkermord an verschiedenen Minderheiten. Bei einer derartigen Stofffülle dauert es naturgemäß eine gewisse Zeit, um sich in den Fall einzuarbeiten. Daher vergibt die Kammer gerne sechs-monatige Praktikumsplätze. Allerdings ist es auch möglich, nur drei Monate zu bleiben – weshalb sich das Praktikum auch hervorragend eignet als Wahlstation im Referendariat. Regelmäßig traf sich das Team im Konferenzsaal, um den Zwischenstand zu besprechen. War ein Abschnitt des Urteils fertig gestellt, ging er zunächst an die Praktikanten zum Fußnoten-Kontrollieren – nicht der beliebteste Job, aber natürlich ein notwendiger. Dann ging der Abschnitt in die Übersetzung. Das Gericht operiert offiziell in drei Sprachen: Englisch, Khmer und Französisch. Dabei spielt Französisch in der Praxis keine große Rolle und sorgt eher für Frustrationen im Team. Denn der generelle Eindruck ist, dass die Zeit und das Geld für die Übersetzungen an anderer Stelle besser eingesetzt wären. Das internationale und nationale Personal arbeitet dabei eher nebeneinander her und hat auch getrennte Büros. Dafür gab es aber auch zwei jüngere kambodschanische "Legal Officers", die sehr gut Englisch sprachen und eine vermittelnde Rolle einnahmen. So organisierten sie etwa ein Treffen zwischen uns Praktikanten und den nationalen Teammitgliedern, bei dem wir ihnen allerlei Fragen stellen konnten. Ausdrücklich luden sie uns ein, auch über sensible Themen offen zu sprechen, etwa die aktuelle politische Situation im Land. Denn schließlich, so drückte es eine von ihnen aus, "sind wir alle doch schließlich eine Kammer".

Streik wegen Praktikumsbedingungen

Die Zeit in Kambodscha war in jeder Hinsicht bereichernd. Die Arbeit war zwar intensiv, aber abwechslungsreich und spannend. Es gab einen regen Austausch im Team und die eigenen Ideen und Argumente wurden ernst genommen. Auch persönlich war es eine tolle Zeit. Es gab einen großen Pool an "Interns" am Gericht und wir machten viele Unternehmungen und Wochenendreisen. Ein besonderes Highlight war dabei das allwöchentliche Fußballturnier, bei dem sich die Mitarbeiter des Gerichts und andere "Expats" in Phnom Penh trafen. Eine schöne Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen und Kontakte zu knüpfen. Ein Wermutstropfen aber bleibt: Das Praktikum ist unbezahlt. Hierin unterscheidet es sich nicht von anderen Praktika der UN, etwa beim Jugoslawien- oder dem Ruanda-Tribunal. Dies ist ohne Frage ein inakzeptabler Zustand. Denn wer später beruflich an einem internationalen Gericht arbeiten möchte, muss fast zwangsläufig ein derartiges Praktikum absolviert haben: Jeder und jede einzelne meiner Vorgesetzen war früher selbst einmal "Intern" gewesen. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Personals: Nicht nur die Praktikanten, sondern auch die bezahlten Mitarbeiter kommen in der Mehrzahl aus westlichen, gutsituierten Verhältnissen. Für ein Organ der Vereinten Nationen ist das Gericht von erstaunlich geringer Diversität. Um auf den ausschließenden Charakter von unbezahlten Praktika aufmerksam zu machen, organisierten wir "Interns" schließlich einen Streik, der es sogar in die Presse schaffte. Einen Tag ließen wir die Arbeit ruhen, demonstrierten und sammelten Unterschriften. Natürlich nur ein kleiner Schritt – aber immerhin ein Anfang.  Malte Stedtnitz ist Master-Student an der Vrije Universiteit Amsterdam im Fach "International Crimes, Conflict and Criminology". Von November 2017 bis April 2018 war er als Legal Intern an der Hauptverfahrenskammer des Rote-Khmer-Tribunals in Phnom Penh tätig.

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