Juristenausbildung international

Wie viel "Elite" steckt im Aus­land?

Gastkommentar von Elisabeth Baier, LL.M.Lesedauer: 7 Minuten
Als Stipendiatin machte sie den LL.M. an einer britischen Eliteuniversität – und erlebte so manche Überraschung. Deshalb setzt sich Elisabeth Baier kritisch mit der hiesigen wie der anglo-amerikanischen Juristenausbildung auseinander.

Erfahrungsberichte über ein Masterstudium im Ausland sind oft euphorisch und lesen sich regelrecht wie Abenteuergeschichten. Sie enthalten allerdings selten detaillierte oder kritische Schilderungen. Gleichzeitig führt der LL.M. oft nicht mehr als ein "Heckspoiler-Dasein" – der Titel zählt, Inhalt und Ergebnisse sind zweitrangig. Das verführt viele Studenten dazu, ihn als bloßes Urlaubsjahr anzusehen. Mit diesem Beitrag will ich versuchen, ein komplexeres Bild zu zeichnen und den Mythos der Eliteuniversitäten im Ausland zu entzaubern, nachdem ich das akademische Jahr 2017/2018 im Rahmen des LL.M.-Programms an der London School of Economics and Political Science (LSE) verbracht habe.

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Kleines Seminar statt voller Hörsaal

Das akademische Leben an der LSE gestaltet sich grundlegend anders als an deutschen Universitäten. Das Unterrichtskonzept sieht die Arbeit in kleinen Seminargruppen vor. Dabei wird vor jedem Seminar eine sogenannte reading list bereitgestellt, die vor Beginn gelesen werden sollte, damit man an der Diskussion im Kurs aktiv teilnehmen kann. Damit offenbart sich bereits ein ganz wesentlicher Unterschied zur juristischen Ausbildung in Deutschland: Der Unterricht ist deutlich interaktiver angelegt und nicht auf Falllösung, sondern eher abstrakt-theoretischer Auseinandersetzung mit dem Stoff fokussiert. Es war durchaus eine Herausforderung und willkommene Abwechslung, statt fünfstündiger Klausuren plötzlich Essays produzieren zu müssen. Eher irritiert war ich anfangs über die Tatsache, dass ein "term" gerade einmal sechs bis acht Semesterwochenstunden an Seminaren bereithält. Der Löwenanteil der Woche besteht also aus Eigenstudium, der Input der Lehre ist relativ überschaubar. Es ist beeindruckend, wie viel man aus dieser Art des Unterrichts als Student mitnehmen kann. Noch Monate nach meiner Zeit in London zehre ich davon und merke, dass wir keine Scheindiskussionen geführt, sondern tatsachlich über das geredet haben, was akademische Lehre und Praxis beschäftigt. Im völker(straf)rechtlichen Bereich kann ich den auf internationaler Ebene geführten Diskussionen nun gut folgen, kenne die wesentlichen Streitstände und Autoren – eine Erfahrung, die in Deutschland in dieser Form nicht möglich ist. Was auffällt: Deutsche Autoren sind so gut wie abwesend. Das liegt aus meiner Sicht keinesfalls daran, dass sie inhaltlich nichts beizutragen hätten, sondern dass in Deutschland mit Blick auf internationales Recht viel zu wenig Wert auf englischsprachige Publikationen gelegt wird. Diese sind aber der einzige Weg, die Stimme der deutschen Lehre in der Diskussion hörbar zu machen, wenn man die Deutungshoheit nicht anglo-amerikanischen Autoren überlassen will.

Mäuse in der Bibliothek

Doch was sich auf dem Papier gut anhört, wurde leider nicht immer in die Praxis umgesetzt. Das theoretische Unterrichtskonzept der LSE ging in meinem Fall nur in etwa der Hälfte der Kurse auf. Viele waren schlicht überfüllt oder wurden sehr konventionell unterrichtet und ließen ein klares Konzept des Kursleiters vermissen. Letzteres legt eine aus meiner Sicht generelle Schwäche der anglo-amerikanischen Unterrichtsphilosophie offen: Wenn es  Seminare gibt, die allzu offen gestaltet sind und der Dozent die Diskussion nicht lenkt, führt das oft zu inhaltsleeren und qualitativ selten hochwertigen Diskussionen. Schließlich gab es auch Kurse, die schlichtweg enttäuschend waren, von schlecht vorbereiteten Dozenten geführt wurden und im Wesentlichen aus dem Ablesen zahlreicher Power-Point-Folien in atemberaubender Geschwindigkeit bestanden – angesichts des  Niveaus, das sich die LSE in der Lehre selber zuschreibt und für das sie als Eliteuniversität geachtet wird, ein inakzeptabler Zustand. Insgesamt kann man sagen, dass das Lehrkonzept der LSE in der Theorie gut funktionieren könnte, die Praxis aber an einigen Stellen deutlich hinter den Ansprüchen zurück bleibt, die sich die Universität selber setzt. Auch die allgemeine Ausstattung der Universität und die administrative Begleitung des LL.M.-Programms ließen in vielerlei Hinsicht zu Wünschen übrig. Für Chaos bei der Kurswahl, defekte Computer und Mäuse in der Bibliothek (und damit sind die Nagetiere gemeint) bestand meinerseits angesichts der knapp 17.000 Euro Studiengebühren jedenfalls wenig Verständnis. Was hingegen hervorragend funktioniert, ist die riesige Werbemaschine der Universität: Hochwertige Website und aufwändiges Printmaterial, Merchandise, kostspielige Summer Schools, weltweite Events, um neue Studenten zu rekrutieren. Das gehört zur Wahrheit im gebührenfinanzierten Studium: Der Konkurrenzkampf unter den Universitäten ist knallhart, jeder Student bringt Geld ein und sichert das wirtschaftliche Überleben der Institution.

Im Ausland hat man mehr vom Prof – und mehr Prominenz

Aus Sicht einer deutschen Juristin ist der für das anglo-amerikanische System typische, deutlich engere und persönlichere Kontakt zwischen Studenten und Professoren positiv festzuhalten. Die allermeisten Dozenten sind offene Ansprechpartner für die Studenten und das auch außerhalb von offiziellen Sprechstunden, sei es wegen Nachfragen zum Stoff oder wenn es um Empfehlungsschreiben geht. Generell wird sehr viel mehr Wert auf die individuelle Förderung von Studenten gelegt. So gibt es ein Career Center, dass fachspezifische Veranstaltungen und individuelle Sprechstunden anbietet, und ein umfangreiches Angebot an studentischen Initiativen, die es ermöglichen, auch neben dem Studium praktische Erfahrungen im juristischen Bereich zu sammeln. Dazu zählen beispielsweise die in Deutschland immer noch stiefmütterlich behandelten Moot-Court-Wettbewerbe, Pro-Bono-Projektkooperationen mit Nichtregierungsorganisationen oder Publikationsmöglichkeiten in universitätseigenen Zeitschriften. Es wird auch mehr Wert auf die Vernetzung von Praxis und akademischer Lehre gelegt, viele Kurse werden deshalb von Praktikern unterrichtet. Hinzu kommen die von der Universität und Jurafakultät angebotenen Vorträge und Podiumsdiskussionen mit hochkarätigen Rednern aus Politik und Wirtschaft. Aber auch kleinere Veranstaltungen mit weniger prominenten Namen waren inhaltlich immer von hoher Qualität. Hier war deutlich zu spüren, wie anglo-amerikanische Universitäten mit guter Reputation, entsprechenden finanziellen Mitteln und guter Lage in den Metropolen der Welt Gäste eines völlig anderen Formates anziehen als die allermeisten deutschen Hochschulen.

Kommilitonen aus aller Welt – und meist aus der Oberschicht

Die Studentenschaft an der LSE ist extrem international, insgesamt liegt der Anteil an nicht britischen Studenten bei etwa 70 Prozent. Die meisten LL.M.-Studenten sind dabei zwischen 22 und 35 Jahre alt, wobei die jüngeren meist direkt nach ihrem Undergraduate Degree einsteigen, während die älteren oft bereits mehrere Jahre Berufserfahrung vorzuweisen haben. So oder so: Als deutscher Jurist kann man sich sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten Staatsexamen gut auf ein solches Studium einlassen. Es war sicherlich die bereicherndste Erfahrung meines LL.M.-Studiums, Kommilitonen – und damit auch verschiede Rechtssysteme - aus der ganzen Welt kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen. Dass ein Studium an solchen Universitäten viel Geld kostet, hat dabei natürlich Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Studentenschaft. Sie ist deutlich homogener als an deutschen Hochschulen - mit einem damit einhergehenden Verlust an gesellschaftlichen Perspektiven: Da nur ein Bruchteil der Studenten durch Stipendien gefördert werden, repräsentieren diese in den ganz überwiegenden Fällen die oberen Gesellschaftsschichten ihrer jeweiligen Heimatländer. Das muss an sich noch nichts heißen – dennoch sollte man sich bewusst sein, dass man sich an an den allermeisten ausländischen Universitäten auf den vorderen Plätzen der gängigen Rankings in einer sehr elitären Umgebung bewegt. Das Bild einer ausschlieβlich intellektuellen Elite, das die Universitäten vorwiegend zu zeichnen versuchen, hält der Realität nicht stand: Die Dichte an leistungsstarken Studenten ist meines Erachtens nicht höher als an staatlichen Hochschulen in Deutschland. Mit dem Studium einher gingen für mich zum Teil sehr befremdliche Erwartungshaltungen mancher Studenten. Einige Kommilitonen kommunizierten ganz offen, dass sie für das investierte Geld auch einen entsprechenden Abschluss erwarteten. Die folgende Statistik soll jeder interpretieren, wie er will: Im Abschlussjahrgang 2017/2018 ist von knapp über 300 Studenten kein einziger durchgefallen, gerade einmal sechs Prozent haben lediglich die unterste Notenstufe "Pass" erreicht, während 75 Prozent mit einem ordentlichen "Merit" und 19 Prozent mit der höchsten Notenstufe "Distinction" abschlossen.

Wenn Bildung zur Ware und Studenten zu Kunden werden

Es hinterlässt einen faden Beigeschmack, ein System zu erleben, in dem Name und Ranking der Universität mehr zu zählen scheinen als die individuelle Leistung und das, was einem vor Ort tatsächlich geboten wird. Man findet sich plötzlich ungewollt selber in einem Denkmodus wieder, in dem allem ein Wert zugeschrieben wird: Um wie viel Prozent steigert dieser Abschluss meine späteren Karriereaussichten? Was bringt mir dieses oder jenes Networking Event? Was ist eine Seminarstunde heruntergerechnet wert?   Man mag von der Gestaltung der deutschen Juristenausbildung halten, was man will, und zu Recht ihre immense Dauer, den umfangreichen Stoff und die obsessive Fixierung auf Noten kritisieren. Aber: Im Vergleich zu dem, was sich in anderen Teilen der Welt abspielt, ist sie deutlich breiteren Gesellschaftsschichten zugänglich und generiert mit den Staatsexamina –  in einem niemals komplett fairen System – zumindest ein deutlich höheres Maß an Objektivität und Messbarkeit individueller Leistung. Und das über sämtliche juristische Fakultäten hinweg und unabhängig von der Reputation der jeweiligen Universität.

"Elite" sagt erst einmal wenig

Was bleibt nun als Erkenntnis unterm Strich? Bei aller Kritik hat das anglo-amerikanische universitäre Ausbildungssystem viele positive Elemente, die deutsche Universitäten durchaus als Anstoß zur Veränderung nehmen dürften. Die deutsche Lehre sollte sich offener, moderner und vielseitiger zeigen. Universitäten hierzulande sollten sich dafür meines Erachtens international viel selbstbewusster zeigen, denn sie müssen sich keinesfalls hinter angeblichen Eliteuniversitäten aus dem Ausland verstecken. Und letztlich: Der bloße Stempel "Elite" hat für sich gesehen wenig Aussagekraft. Jeder Jurist in Ausbildung sollte stets den Anspruch an sich selbst bewahren, dass der Erkenntniswert eines Abschlusses sich nicht nur finanziell bemessen und für mehr stehen sollte als ein bloßer Titel hinter dem Komma. Die Autorin Elisabeth Baier ist aktuell Carlo-Schmid-Stipendiatin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sie hat an der Universität Passau Jura studiert, am Kammergericht ihr Referendariat absolviert und einen LL.M. mit völkerrechtlichem Schwerpunkt von der London School of Economics.

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