Promovieren als Arbeiterkind

"Den Mut auf­bringen, sich für ein Sti­pen­dium zu bewerben"

Interview von Pauline DietrichLesedauer: 5 Minuten

Haben die Eltern nicht studiert, können sie häufig keine Fragen in Bezug auf eine Promotion beantworten. Anna K. Bernzen und Dana-Sophia Valentiner geben im Interview mit Pauline Dietrich Tipps speziell für Arbeiterkinder.

LTO: Frau Dr. Bernzen, Frau Dr. Valentiner, Sie haben zusammen mit Herrn Prof. Dr. Thomas Klindt am 22. September 2021 eine Informationsveranstaltung zum Thema "Promovieren als Erstakademiker:in/Arbeiterkind in Jura" organisiert und durchgeführt. Was genau ist mit "Erstakademiker:in" bzw. Arbeiterkind gemeint?

Dr. Anna K. Bernzen: Wir haben mit dem Beratungstermin diejenigen angesprochen, deren Eltern keine Akademiker:innen sind und die überlegen, eine Promotion in Jura in Angriff zu nehmen. Ich zum Beispiel bin keine Erstakademikerin. Meine Eltern haben beide studiert. Bei meinem Engagement für arbeiterkind.de im "Arbeitskreis Promotion" habe ich jedoch viel über die Herausforderungen von Studierenden, bei denen das anders aussieht, gelernt und kann auch die Erfahrungen aus meiner eigenen Promotionszeit teilen.

Dr. Dana-Sophia Valentiner: Meine Eltern beispielsweise haben keine Studienabschlüsse. Meine Erfahrungen kann ich daher direkt an andere Promovierende weitergeben.

Warum müssen Erstakademiker:innen zum Thema Promotion gesondert beraten werden?

Valentiner: Im Vergleich zu anderen haben sie oftmals einen Wissensnachteil in Bezug auf das Thema Promotion. Das meine ich nicht in fachlicher Hinsicht, schließlich hat man das Studium genauso erfolgreich durchlaufen wie andere. Allerdings fehlen die Ansprechpersonen im familiären Nahbereich, die bereits Erfahrungen mit Promotionen gemacht haben.

Sie können keine Tipps in grundlegenden Dingen geben, zum Beispiel wie man eine Promotion angeht oder an welche Institutionen man sich wenden kann. Gibt es Familienmitglieder, die sich damit schon einmal auseinandergesetzt haben, ist man bereits einen Schritt weiter und kann sich früher um andere Fragen kümmern. Zum Beispiel bin ich mir unsicher, ob meine Familie überhaupt wusste, dass man in Jura promovieren kann.

Bernzen: Ich kann das aus der Sicht eines Akademikerkindes nur bestätigen. Ich habe unter anderem bei meinem Engagement für arbeiterkind.de festgestellt, dass sich mir im Vorfeld der Promotion und währenddessen viele Fragen erst gar nicht gestellt haben, die bei Erstakademiker:innen aufkommen. So zeigt auch der Hochschul-Bildungs-Report 2020, dass zehn Prozent der Akademikerkinder promovieren, bei Nicht-Akademikereltern jedoch nur ein Prozent.

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"Fachbereich Jura eher konservativ und hierarchisch aufgebaut"

Sehen Sie im Bereich Jura hier nochmals eine besondere Hemmschwelle?

Valentiner: Ich denke, die Problematik zieht sich durch alle Fachbereiche. Die Rechtswissenschaft unterscheidet sich von anderen aber durch die sehr lange Ausbildungsdauer. Die Frage, ob man sich dann noch einer Promotion als weiteren Ausbildungsschritt widmen sollte, ist daher besonders relevant – insbesondere in Bezug auf die Finanzierung des Lebensunterhalts.

Bernzen: Im juristischen Bereich stellt sich vor einer Promotion auch immer die Frage, ob man zuerst das Referendariat absolvieren sollte. Außerdem ist der Fachbereich Jura im Vergleich zu anderen eher konservativ und hierarchisch aufgebaut. Dort hineinzufinden kann schwierig sein, vor allem, wenn man im Studium noch nicht an einem Lehrstuhl gearbeitet hat. Ein Teilnehmer unserer Veranstaltung hat gefragt, wie die wissenschaftliche Arbeit generell aussieht, schließlich komme man damit im Jurastudium nur selten in Kontakt. Wenn man von Haus aus niemanden hat, der einem das erklärt, kann es sehr abschreckend sein, sich auf eine Promotion einzulassen.

Eines der Hauptthemen auf Ihrer Informationsveranstaltung war die Finanzierung einer Promotion. Welche Tipps können Sie Erstakademiker:innen diesbezüglich geben?

Bernzen: Auf jeden Fall den Mut aufzubringen, sich für ein Promotionsstipendium zu bewerben. Es gibt 13 große Begabtenförderungswerke in Deutschland, die Lebenshaltungsstipendien in Höhe von ca. 1.450 Euro im Monat zahlen. Wir haben das beide gemacht und man erlangt eine sehr große Freiheit während der Promotion. Viele trauen sich jedoch nicht, sich zu bewerben. Ein Teilnehmer fragte uns, ob man ein "Sehr gut" im Staatsexamen brauche, um ein Stipendium zu erhalten – das braucht man bei Weitem nicht.

Valentiner: Der Nachteil bei Promotionsstipendien ist jedoch der Aufwand – die Bewerbung an sich dauert bereits sehr lange, sodass eine finanzielle Überbrückung notwendig ist. Dessen sollte man sich bewusst sein.

Daneben gibt es die sogenannte interne Promotion, bei der man an dem Lehrstuhl, an dem man promoviert, auch arbeitet. Der Vorteil ist, dass man so einfacher in Kontakt mit anderen Promovierenden kommt. Wissenschaftliche Mitarbeitende müssen aber aufpassen, dass sie seitens des Lehrstuhls genügend Zeit für die Promotion bekommen. Auch mit einem Stipendium kann die wissenschaftliche Tätigkeit verbunden werden – allerdings erlauben die Begabtenförderungswerke nur eine Beschäftigung im Umfang einer Viertelstelle neben einem Stipendium.

Bernzen: Einen dritten Weg der Finanzierung stellt die Arbeit in einer Kanzlei dar, so kann man auch berufsbegleitend als Anwältin oder Anwalt promovieren.

"Ein Thema wählen, das Freude macht"

Welche Tipps können Sie Erstakademiker:innen denn in Bezug auf die Themenfindung geben?

Bernzen: Man sollte ein Thema wählen, an dem man Freude hat – schließlich beschäftigt man sich sehr lange damit. Inspiration findet man in juristischen Fachzeitschriften oder bei der Teilnahme an Kongressen.

Valentiner: Das Schwerpunktbereichsstudium könnte auch ein Anhaltspunkt sein. Eventuell stößt man dort auf eine Fragestellung, die man sich im Rahmen einer Promotion genauer angucken könnte. Zudem kann ich empfehlen, Nachrichten wie Eure bei LTO zu lesen und so auf spannende Themen zu stoßen. Daneben gibt es Promotionskolloquien. Außerdem könnte man Lehrstühle anschreiben und fragen, ob diese bereits Promotionsthemen zur Verfügung haben. Der Praxiseinblick, beispielsweise im Referendariat, kann auch inspirierend sein.

"Networking betreiben"

Wenn man extern, also nicht an dem Lehrstuhl der betreuenden Person, promoviert: Wie findet man dann die richtige Betreuungsperson?

Valentiner: Wenn man bereits eine grobe Themenidee hat, könnte man schauen, welche Professor:innen in diesen Bereichen ihren Schwerpunkt haben. Damit hätte man eine sehr gute inhaltliche Betreuung. Jedenfalls sollte man sich frühzeitig um eine Betreuungsperson kümmern. Am einfachsten ist es, wenn bereits ein Anknüpfungspunkt zu der betreuenden Person besteht. So kann man sich bereits in einem Seminar positiv hervorheben und dort engagieren. Zudem kann ich immer empfehlen, sich als studentische Hilfskraft zu bewerben – auch initiativ.

Bernzen: Empfehlenswert ist auch die Teilnahme an bereits thematisch sortierten Kollegs. Oftmals kann man sich im Rahmen dessen auf eine Promotion in dem dort behandelten Themenfeld bewerben.

Finanzierung, Themenfindung und Betreuungsperson – diese Fragen stellen sich vor der Promotion. Welchen Tipp geben Sie Erstakademiker:innen für die Zeit der Promotion an sich?

Valentiner: Networking zu betreiben! Sich gegenseitig stärken und austauschen – das gilt für alle Promovierenden. Hier sind besonders die Nachwuchstagungen hilfreich, wo man auf viele andere Promovierende trifft.

Bernzen: Auch die sozialen Medien bieten gute Möglichkeiten zum Networking. Jeder hat ein Fachgebiet, zu dem man sich äußern kann – da sollte man sich trauen, etwas zu sagen oder zu schreiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Pauline Dietrich.

Dr. Anna K. Bernzen habilitiert derzeit an der Universität Bonn. Dort ist sie zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht tätig. Für ihre Dissertation mit dem Titel "Gerichtssaalberichterstattung" erhielt Frau Dr. Bernzen den Injipn-Bakker-Grunwald-Preis der Universität Osnabrück.

Dr. Dana-Sophia Valentiner ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg tätig und habilitiert ebenfalls. Ihre Dissertation zum Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung wurde im Jahr 2021 mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Wissenschaftspreis des Deutschen Juristinnenbundes (djb) ausgezeichnet.

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