Reform des Jurastudiums

Zurück in die Pro­vinz

von Prof. Dr. Stephan LorenzLesedauer: 4 Minuten
Das Schwerpunktstudium zu kürzen, ändert wenig, meint Stephan Lorenz. Doch das IPR aus dem Pflichtstoffkatalog zu streichen dafür umso mehr: Diese "skandalöse Provinzialisierung der Juristenausbildung" mache Absolventen praxisuntauglich.

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Im November 2016 hat die Justizministerkonferenz (JuMiKo) den Bericht ihres Koordinierungsausschusses (KOA) zur Reform des Jurastudiums abgesegnet. Danach sollen der Zeit- und Prüfungsaufwand für das Schwerpunktstudium auf 16 Semesterwochenstunden (SWS) beziehungsweise drei Prüfungsleistungen reduziert werden. Auch soll die Note nur noch zu 20 anstatt wie bisher mit 30 Prozent in das Ergebnis der ersten juristischen Prüfung zählen. Zudem ist geplant, den Pflichtstoff in beiden Staatsexamen zu reduzieren. Im Herbst 2017 soll der KOA wieder an die JuMiKo berichten und bis dahin Kritik und Anregungen aus Lehre und Praxis berücksichtigen. Genug Zeit, um Experten zu Wort kommen zu lassen. Prof. Dr. Stephan Lorenz hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der LMU München inne und ist Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Regelmäßig nimmt er Gastprofessuren in Belgien und Taiwan wahr. Seiner Ansicht nach ist das Schwerpunktstudium entbehrlich, die Streichung bestimmter Rechtsgebiete aus dem Pflichtstoffkatalog hingegen eine Katastrophe:

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2/2: Schwerpunktnote längst desavouiert

Jeder Versuch, die Prüfungsbedingungen für die Erste und Zweite juristische Prüfung zu erleichtern, ist zu begrüßen. Die entscheidende Frage ist nur, ob es dazu wirklich einer Stoffreduzierung bedarf. Studierende beklagen sich nämlich weniger über den Umfang des Prüfungsstoffs als über die Prüfungswirklichkeit: Leider zu häufig hängt der Erfolg in der Klausur von der Kenntnis spezieller höchstgerichtlicher Entscheidungen oder spezieller Vorlieben der Aufgabensteller ab. Studierende und Referendare dürfen aber legitimer Weise erwarten, dass – wie es auch in den Prüfungsordnungen heißt – ein Klausurfall mit "Überblick über das Recht, juristischem Verständnis und Fähigkeit zu methodischem Arbeiten" gelöst werden kann (so etwa § 16 II BayJAPO). Das entspricht leider allzu häufig nicht der Realität. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu denken, die Notenskala von null bis 18 Punkten endlich auch einmal nach oben hin auszuschöpfen. Darüber hinaus muss auch die Frage erlaubt sein, ob es wirklich Sinn macht, die Schwerpunktbereiche um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Der Bericht des KOA beklagt insbesondere die Differenz der Durchschnittsnoten zwischen dem Schwerpunktbereich und dem staatlichen Teil der Prüfung. Der ist aber im System angelegt und damit nicht änderbar: Studierende sind im Schwerpunktbereich in der Regel besonders motiviert, der Stoff überschaubarer und die Prüfungsleistungen abgeschichtet. Im Grunde ist der Schwerpunktbereich auch schon deshalb desavouiert, weil sämtliche Bundesländer im Examenszeugnis trotz Bildung einer Gesamtnote im Verhältnis 70 zu 30 die staatliche Note getrennt ausweisen und in der Einstellungspraxis zumindest der privaten Arbeitgeber letztlich allein die Note des staatlichen Teils ausschlaggebend ist. All das wird sich auch durch eine leichte Reduzierung der Gewichtung der Schwerpunktbereiche nicht ändern. Natürlich hat das Schwerpunktstudium auch Vorteile. Ihnen gegenüber steht aber deren schwerster und auch schlicht unbehebbarer Nachteil, nämlich der Einfluss auf das Studienverhalten. Es zeigt sich, dass sich Studierende nach dem Grundstudium fast ausschließlich den Schwerpunktbereichen zuwenden und erst nach deren Abschluss die Vorbereitung auf den staatlichen Teil der Prüfung beginnen. Wegen der langen Unterbrechung sind sie dann allzu häufig nicht in der Lage, an das vorher erworbene Wissen anzuknüpfen. Das treibt die Studierenden nicht nur zum kommerziellen Repetitor, sondern hat einen fatalen Einfluss auf die Note im viel wichtigeren staatlichen Teil der Ersten Juristischen Prüfung. Schon deshalb wäre eine Rückkehr zum vorherigen System der zusätzlichen Wahlfachklausur in der staatlichen Prüfung die beste Lösung. Dass es soweit kommen wird, ist allerdings schon angesichts der entgegenstehenden Mehrheitsmeinung an den juristischen Fakultäten nicht zu erwarten.

Pflichtstoff kürzen? Ja, aber sinnvoll

Über Details der vom KOA vorgeschlagenen Stoffkürzungen kann man sicherlich im Detail streiten, im Großen und Ganzen erscheinen sie – bis auf einen gleich zu erörternden wichtigen Punkt - angemessen. Zu begrüßen ist dabei vor allem eine Anpassung des Prüfungsstoffs an die Examenswirklichkeit. Gemeint sind damit diejenigen Bereiche, die bisher zum Pflichtstoff gehörten, aber ohnehin nie geprüft wurden. Damit erhalten die in der Examensvorbereitung ohnehin schon gestressten Kandidaten eine gewisse Sicherheit. Neben bestimmten, eher abseitigen Kleinigkeiten, die eher zum Schmunzeln anregen, wie zum Beispiel die Streichung der "Draufgabe" nach § 336 – 338 BGB, gilt das etwa für das Familienrecht: Hier bleiben im Prüfungsstoff für das Erste Examen letztlich nur die Grundzüge über die Allgemeinen Wirkungen der Ehe, also insbesondere die "Schlüsselgewalt" nach § 1357 BGB, das eheliche Güterrecht und die allgemeinen Regeln über die Verwandtschaft übrig. Schockierend hingegen ist die Streichung des Internationalen Privatrechts (IPR). Derzeit sind die Grundzüge des IPR Pflichtstoff lediglich in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Reinland-Pfalz. Der KOA will nun das IPR gänzlich aus dem Pflichtstoff sowohl für die Erste als auch für die Zweite Prüfung verbannen. Das ist eine skandalöse Provinzialisierung der Juristenausbildung. Eine Reform des Prüfungsstoffs hätte vielmehr dazu Anlass geben müssen, das IPR bundesweit in den Pflichtstoff einzubeziehen. Man muss das Schlagwort der Globalisierung gar nicht bemühen, um sich zu vergegenwärtigen, dass die Auslandsberührung eines zivilrechtlichen Falls heute beispielsweise schon durch einen bloßen Mausklick bei Amazon, ebay oder Apple hergestellt wird. Ein Jurist, der über seine gesamte Ausbildung den Kontakt mit diesen Problemen vermeiden kann, ist – ganz abgesehen von seinem engen Horizont - für die Praxis schlicht nicht tauglich. Dabei sollte es selbstverständlich nicht darum gehen, sämtliche Details dieser in der Tat komplexen Materie zum Pflichtstoff zu machen. Allein eine Vermittlung der Grundlagen in einer Vorlesung von zwei Semesterwochenstunden würde schon genügen, Studierende zumindest mit den mittlerweile weitgehend in Europäischen Verordnungen, den sogenannten Rom-Verordnungen, geregelten Grundlagen des IPR vertraut zu machen. Zwei kurze Stunden, die bei der Reduzierung der Schwerpunktbereiche sicherlich frei werden dürften.

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