"Tatort Zukunft"

Ein Uni-Seminar im Knast

von Marcel SchneiderLesedauer: 4 Minuten

Zusammen mit zwei Hochschulen organisiert ein Berliner Verein Lehrveranstaltungen in der JVA Tegel. Jurastudenten treffen dabei auf gefangene Studenten – eine besondere Situation. Die Teilnahme können sie sich sogar anrechnen lassen.

Am Ende des Tages wird allen der Unterschied wieder bewusst: "Wenn die Gruppe nach dem Termin den Flur erreicht, an dem die Gefangenen nach rechts geführt werden, während die in Freiheit lebenden Studierenden nach links Richtung Ausgang abdrehen", erzählt Julian Knop. Er ist Vorsitzender des "Tatort Zukunft – Verein für Resozialisierung und Krimalprävention e. V.", der sich für die Resozialisierung straffällig in Erscheinung Getretener einsetzt.

Dessen neuestes Projekt, das zum ersten Mal im Wintersemester 2018/2019 umgesetzt wurde, ist ein besonderes Seminar mit dem Titel "Uni im Vollzug". Dabei besuchen Jurastudenten der Freien Universität (FU) Berlin und Studenten der Sozialen Arbeit von der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) eine kriminologische Veranstaltung – und zwar nicht nur in den Räumen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, sondern auch zusammen mit deren Gefangenen, die während ihrer Gefangenschaft an der Fernuniversität Hagen unter anderem Jura studieren.

"Ein ganz normales Seminar an einem nicht ganz normalen Ort – das ist die Idee dahinter", so Knop. Die Veranstaltung soll den gefangenen Studenten die Teilnahme an einer klassischen Lehrveranstaltung ermöglichen, schließlich ist der fachliche Austausch mit Kommilitonen und Dozenten durch die Inhaftierung beschränkt, Kriminologe Knop spricht von Tendenzen einer "Bildungsisolation". Die in Freiheit Studierenden hingegen lernten eine neue Perspektive kennen: "An der Uni bleibt das Recht abstrakt. Wenn ich aber mit jemandem über Normen spreche, von denen er direkt betroffen ist, sieht die Sache schon ganz anders aus."

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"Zoobesucher" dürfen nicht mitmachen

Den Verein gegründet hat Knop mit Julia Wegner und Anna Kroupa. Alle drei sind Doktoranden bei der Professorin für Strafrecht und Kriminologie Dr. Kirstin Drenkhahn von der FU Berlin. Seitens der ASH unterstützt der Professor für Recht und Kriminologie Dr. Heinz Cornel das Projekt. So haben sich im vergangenen Winter zwölf Jurastudenten der FU und zwei Teilnehmer von der ASH mit letztlich fünf gefangenen Studenten an elf Terminen getroffen.

Dabei stehen ganz klassische Themen auf dem Lehrplan, zum Beispiel Module zur Einführung in die Kriminologie, zur Strafvollzugsforschung oder Diskussionsrunden über Alternativen zur Gefängnisstrafe. Nur: Der Raum im Schulbereich der JVA hat vergitterte Fenster und ein Beamter des allgemeinen Vollzugsdienstes hält sich in der Nähe auf.

Die Jurastudenten können sich die Teilnahme als Schlüsselqualifikation anrechnen lassen, die Teilnehmer von der ASH erhalten Creditpoints für Ihren Bachelorabschluss. Beim Verein Tatort Zukunft klopft man die Seminarteilnehmer aber im Vorfeld in persönlichen Gesprächen auf ihre Motivation ab. Knop macht deutlich: "Verlässlichkeit ist uns wichtig, die Leute müssen Lust haben und dabeibleiben wollen. Wer nur einen Schein abgreifen und nebenbei mal ein Gefängnis und seine Gefangenen näher erleben möchte" — beim Verein nennen sie solche Kandidaten "Zoobesucher", auch wenn es solche Bewerber beim ersten Durchlauf nicht gegeben habe — "der ist bei uns falsch."

Das hat nicht nur etwas mit Respekt gegenüber den Gefangenen zu tun. Für die JVA ist das Seminar im eigenen Haus auch mit erheblichem Mehraufwand verbunden: Dozenten wie Studenten müssen im Vorfeld überprüft und zu den Terminen kontrolliert, eingeschleust und durch die Gebäude geführt werden. Die Chancen für eine Neuauflage des Seminars im kommenden Sommersemester stehen laut Knop aber trotzdem gut. Er geht davon aus, dass die JVA auch für die zweite Runde grünes Licht geben wird.

Pläne für ein bundesweites Projekt

Die Vision des Vereinsvorsitzenden ist es, mittelfristig wenigstens in jedem Bundesland eine Kooperation zwischen mindestens einer Hochschule und mindestens einer JVA zu etablieren. "In den USA ist der Austausch zwischen in Freiheit lebenden und inhaftierten Studierenden im Rahmen eines besonderen Programms schon lange gang und gäbe."

Er vermutet, dass eine bundesweite "Uni im Vollzug" weniger am Engagement der potenziellen Dozenten und der Gefängnisse scheitern könnte – problematisch könnte eher die Finanzierung des Projektes werden. Mit dieser Frage wollen sie sich beim Tatort Zukunft aber erst nach der Auswertung der (höchstwahrscheinlich) kommenden Neuauflage in Berlin beschäftigen.

Konkreter zeichnet sich da schon eine Zusammenarbeit mit der Fernuniversität Hagen zugunsten der gefangenen Studenten ab. Derzeit überlegt der Verein nämlich gemeinsam mit der Hochschule, ob man die Prüfungsordnung für freie wie gefangene Jurafernstudenten nicht anpassen könnte, indem man das Seminar um eine Abschlussarbeit ergänzt, die sie sich für das Schwerpunktbereichsstudium anrechnen lassen dürften – ganz im Sinne des Angleichungsgrundsatzes für den Strafvollzug, nach dem die Lebensverhältnisse drinnen wie draußen möglichst angepasst werden sollten.

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