Erinnerungen eines Spions für Deutschland

Ein zufriedener Todeskandidat

von Martin RathLesedauer: 6 Minuten
Obwohl er 1945 in den USA zum Tode verurteilt werden sollte, erhielt Erich Gimpel viel Zeit, das gute Essen und den vorbildlichen Strafvollzug auf der Gefängnisinsel Alcatraz zu loben. Eine Geschichte über einen etwas dilettantischen Spion.

Am 29. November 1944 stiegen vor der Küste des US-Bundesstaats Maine zwei Männer aus dem deutschen U-Boot 1230, kamen mittels Schlauchboot an Land, um alsbald von einem 15-jährigen Pfadfinder entdeckt zu werden. Diesem kam es verdächtig vor, dass die beiden Herren mit schweren Koffern durch die vorwinterliche Landschaft marschierten, noch dazu ortsunüblich gekleidet – ein wahrer Herr trägt schließlich Hut. Freilich hielt die örtliche Polizeibehörde nichts vom Verdacht des Knaben, hier seien Spione an Land gekommen. Auch die regionale Dependance der Bundespolizei FBI wies den hartnäckigen Pfadfinder ab. Man glaubte, er sei von jener Spionage-Paranoia erfasst, die seit Jahren die US-Medien beherrschte. Dank dieser Nachlässigkeiten gelang es den Agenten, dem 35-jährigen deutschen Staatsangehörigen Erich Gimpel und dem 26-jährigen US-Bürger William Curtis Colepaugh, mit der Eisenbahn über Boston nach New York zu reisen. Gimpel gab später an, dass der Kauf von Hüten mit zu den ersten Taten ihrer Arbeit als Spione zählte.

Ein deutscher Spion und die Atombombe

Dem Zusammenspiel aus der bräsigen Polizeiarbeit in Maine und ungeschriebenen Gepflogenheiten des US-amerikanischen Staatsbetriebs in Washington sollten Colepaugh und Gimpel später ihr Überleben verdanken. Doch der Reihe nach. In New York City will Erich Gimpel, wie er in den 1950er Jahren in seinen Erinnerungen unter dem markigen Titel "Spion für Deutschland" behauptete, erfolgreich einen Informanten aus einem deutschen Agentennetzwerk um Auskünfte zum Stand des Manhattan-Projekts angegangen sein. Ein wenig Nötigung sei dabei im Spiel gewesen, weil dieser Mr. Brown, seit geraumer Zeit von Kontakten zum Deutschen Reich abgeschnitten, inzwischen doch eher an den Sieg der Alliierten geglaubt habe. Gimpel sollte später in seinen Erinnerungen des Weiteren erzählen, dass es ihm gelungen sei, einen Funkspruch nach Deutschland abzusetzen und seine Auftraggeber im Reichssicherheitshauptamt darüber zu informieren, dass sich die junge US-amerikanische Atomindustrie anschicke, zwei oder drei Bomben fertigzustellen. Zur Zuverlässigkeit solcher Selbstauskünfte in den Erinnerungen des Spions wird noch ein Wort zu verlieren sein.

Spione werden hingerichtet. Damit muss man leben

Colepaugh, der nach Darstellung seines Kollegen Gimpel in Feigheit, Angst und Alkohol versank und nach Jahren im tristen Deutschland wohl auch die Lust an der bunten Lebenslust seines Heimatlandes wiederfand  – man hatte in den Koffern reichlich US-Dollar aus Reichsbankbeständen mitgeführt – stellte sich am 26. Dezember 1944 dem FBI. Gimpel wurde vier Tage später gefasst, als er sich bei einem Zeitungshändler in New York City eine peruanische Zeitung kaufen wollte. Colepaugh hatte den Ermittlern verraten, dass sein Compagnon in den 1930er Jahren als deutscher Gastarbeiter in dem lateinamerikanischen Land lebte. Lustig immerhin, dass Gimpel später unaufhörlich darauf herumreiten sollte, um wie viel professioneller er selbst doch das Spionagehandwerk betrieben habe, im Vergleich zu seinem unsicheren jungen Kollegen. Immerhin war auch Gimpel ernsthaft und professionell genug zu wissen, dass ihn kein anderes Urteil als die Todesstrafe erwarten würde. Spione, die ihre Waffen nicht offen tragen, stehen bekanntlich nicht unter dem besonderen Schutz des Kriegsvölkerrechts. Im Sommer 1942 waren bereits zwei Gruppen deutscher Agenten vor den Küsten Floridas und Long Islands aus den U-Booten gestiegen.

Warum US-Bürger nach dem 11. September 2001 kaum Rechtsschutz hatten

Das strafrechtliche Nachspiel der Vorgänge von 1942 bildet bis heute einen wichtigen Komplex im Bemühen US-amerikanischer Juristen, die Staatsgewalt über den heimlichen Feinde ihrer Nation hereinbrechen zu lassen und natürlich auch – was in Deutschland gern übersehen wird – das besondere Feindstraf- und -strafprozessrecht einzuhegen, wenn nicht ganz zu beenden. Im Fall von 1942, als späterer Vorgang beim U.S. Supreme Court bekannt unter der Bezeichnung Ex parte Quirin, 317 U.S. 1 (1942),  setzte US-Präsident Franklin D. Roosevelt durch eine "Executive Proclamation" einen militärischen Spruchkörper eigener Art ein, zu Deutsch: ein Sondergericht. Richter, Ankläger und Verteidiger wurden vorgegeben, eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Richter entstammte dem Generalsrang der US-Streitkräfte. Das Beweiserfordernis wurde im Vergleich zu Geschworenengerichten reduziert. Alle acht U-Boot-Agenten des Jahres 1942 waren wegen des Vorwurfs der Spionage, Sabotage und Verschwörung zum Tod verurteilt, sechs von ihnen starben am 8. August 1942 auf dem elektrischen Stuhl. Der oberste Gerichtshof der USA verweigerte 1942 auch jenen beiden Angeklagten, die als US-Staatsangehörige nach der US-Verfassung womöglich Anspruch gehabt hätten, vor ein reguläres Gericht zu kommen, diesen Schutz. Damit wurde die Quirin-Entscheidung zur Grundlage des juristischen Vorgehens gegen US-Bürger, denen die US-Regierungen nach den Anschlägen des 9. November 2001 den Schutz durch ordentliche Gerichte beziehungsweise das Verfahren vor gewöhnlichen Militärgerichten verweigerte, man könne ihnen als klandestine Feinde einen Sonderstatus zuweisen – so wie einst den deutschen U-Boot-Agenten.

2/2: Ein faires Verfahren?

Dieses juristische Vorspiel vor Augen zeigte sich Erich Gimpel im Januar, Februar 1945 eher verwundert, mit wie viel prozessualer Umständemacherei ihm und seinem hasenfüßigen Gefährten der Prozess gemacht wurde. Über die Majore Charles E. Reagin und John E. Haginey schrieb Gimpel Worte, die jedem Vertreter des Berufsstands wie Honig im Bart kleben dürften: "Sie waren die besten Verteidiger, die ich finden konnte, und sie setzten sich für mich ein, als seien sie nicht Angehörige eines Volkes, gegen das ich als Spion ausgezogen war." Gegen Gimpel und Colepaugh wurde vor einem Militärgericht in New York verhandelt, dem diese Zuständigkeit außerordentlich zugewiesen worden war. Nur war die Sondergerichtsbarkeit ein bisschen weniger schamlos: Die Einberufung des Gerichts wurde dem örtlichen Militärbefehlshaber überlassen, die Prüfung, ob die Spielregeln eines fairen Verfahrens eingehalten worden waren, verblieb in der regulären Zuständigkeit der Militärjustizbehörden. Nicht anders als erwartet, endete das Verfahren mit zwei Todesurteilen. Die veränderte Zuständigkeit spielte Gimpel und Colepaugh ohne ihr Wissen in die Hand: In New York wurden Delinquenten seit bald 50 Jahren mit elektrischem Strom getötet. Weil es der Militärgerichtsbarkeit gefiel, die beiden zum Tod durch Erhängen zu verurteilen, war damit wieder etwas Zeit gewonnen. Unfair war das Verfahren, soweit man Gimpel folgt, keineswegs. Beide Angeklagten waren geständig. Gimpel beschwert sich nur darüber, dass ihm der Ankläger im rhetorischen Überschwang auch aus der Versenkung eines Handelsfrachters den Strick drehen wollte, dessen Besatzung das U-Boot 1230 auf der Heimfahrt ein nasses Grab bereitet hatte. Da fühlte er sich unschuldig.

Ein Todesfall öffnet den Gnadenweg neu

Die Hinrichtung wurde für den 15. April 1945 festgesetzt, nachdem die förmliche Überprüfung des Urteils abgeschlossen war und Präsident Roosevelt die Gnadengesuche abgewiesen hatte. Gimpel sollte sich später über fanatische Nazis in US-Haft mokieren, die sich lieber töten ließen, als um – nicht selten gewährte – Gnade zu bitten. Am 12. April 1945 starb Roosevelt. Während der Staatstrauer galt es als verbindliche Praxis, keine Todesurteile zu vollstrecken. Die Verteidiger Gimpels und Colepaughs stellten neue Gnadengesuche, obwohl man das als juristisch unfein hätte ansehen können. Präsident Truman begnadigte zu lebenslanger Haft. Erich Gimpel wurde 1955 aus der Haft entlassen, seit 1949 konsularisch betreut vom Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in San Francisco. Nach einem Fluchtversuch war Gimpel auf Alcatraz untergebracht worden. Colepaugh musste als verräterischer US-Bürger fünf Jahre länger in Haft bleiben.

Erinnerungsarbeit eines Ex-Spions

Erich Gimpel veröffentlichte zusammen mit dem damals berühmten Journalisten Will Berthold Erinnerungen über seine Spionage-Ausbildung, seinen guten Monat Spionageaufenthalt in New York: Spion für Deutschland". Vieles darin wirkt unglaubwürdig und für den Publikumsgeschmack der 1950er-Jahre erfunden, beispielsweise eine Liebesgeschichte zwischen Erich Gimpel und einer US-Bürgerin, mit der er für kurze Zeit das Appartement eines gemeinsamen Bekannten bezieht. Die Relevanz des Falls Quirin im Streit der US-Juristen zu den verfassungsmäßigen Rechten klandestiner Gegner steht außer Frage. Der Fall Gimpel ist nicht ganz unwichtig, kam er 1945 doch deshalb nicht vor eine nicht gar zu sonderliche Sondergerichtsbarkeit, weil man damals die Norm, die der US-Präsident seit 1942 als Ermächtigungsgrundlage für solche Verfahren heranzog, nicht überstrapazieren wollte. Erich Gimpels Erinnerungen sind bei aller Unzuverlässigkeit in manchem Detail für die aktuelle Diskussion doch ganz interessant, erzählen sie doch von der teils ungeheuren Inkompetenz, in der die deutschen Geheimdienste während des Zweiten Weltkriegs ihre Spionage in den USA betrieben. Ein Mann brauchte einen Hut, wenn er in den USA nicht auffallen wollte. Und Banknotenbündel mit Dollar-Scheinen umwickelt man besser nicht mit den Banderolen der Reichsbank. Ein anderer Beobachter der deutschen Geheimdienste jener Jahre, Erich Kästner, blickte auf ein Verhör bei der Gestapo in Berlin weniger erschreckt als verwundert zurück: Wie Männer, die nicht erwachsen geworden seien und auf brutale Weise Karl-May-Romane nachspielen wollten, waren ihm die Herren vom Inlandsgeheimdienst erschienen. Man weiß nicht, ob das Geschäft heute mit größerer Seriosität betrieben wird. Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

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Thema:

Spionage

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