Roland Freisler

Williger Vollstrecker im Namen des Führers

von André NiedostadekLesedauer: 8 Minuten
Er verurteilte die Mitglieder der "Weißen Rose" ebenso wie Verschwörer des Hitler-Attentats vom 20. Juli. Roland Freisler sah sich vor allem als politischen Soldaten. Das Schlachtfeld seines Fanatismus' war der Gerichtssaal. Vor 70 Jahren kam der Präsident des Volksgerichtshofs bei einem Bombenangriff ums Leben. André Niedostadek wirft einen Blick zurück.

Es ist der 25. Januar 1985. In wenigen Wochen jährt sich zum 40. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Landgericht in Frankfurt am Main muss sich an diesem Freitag Michael Kühnen verantworten. Er soll neonazistische Propagandamittel hergestellt und verbreitet haben. Das Gericht verurteilt den bekannten 29-jährigen Neonazi zu drei Jahren und vier Monaten Haft. Zur selben Zeit befassen sich in Bonn die Abgeordneten des Bundestags mit der Drucksache 10/2368. Es geht um den Umgang mit der NS-Justiz. Wie steht man zum staatlich verordneten Rechtsterror des Volksgerichtshofs, der für Tausende von Todesurteilen bis 1945 verantwortlich ist? Die Parlamentarier beschließen auf Empfehlung des Rechtsausschusses, sämtliche Urteile für null und nichtig zu erklären. "Die als Volksgerichtshof bezeichnete Institution", so heißt es in dem einstimmigen Beschluss, sei "kein Gericht im rechtsstaatlichen Sinne, sondern ein Terrorinstrument zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft".

Vom Gerichtssaal zum Schafott

Bis heute ist vor allem ein Name mit der nationalsozialistischen Unrechtswillkür verbunden: Roland Freisler, einer der letzten Präsidenten des Volksgerichtshofs. Mehr als 5.000 Todesurteile hat die Institution in seiner Zeit gefällt, manchmal mehr als ein Dutzend an einem Tag. Allein für etwa die Hälfte davon ist der von Freisler geführte Erste Senat verantwortlich. Schon leise Zweifel am Endsieg konnten direkt vom Gerichtssaal zum Schafott führen. Roland Freisler wird am 30. Oktober 1893 im beschaulichen Celle, dem Tor zur Lüneburger Heide, geboren. Das Elternhaus ist akademisch geprägt, der Vater Ingenieur und Studienrat. Nach dem Abitur beginnt Freisler zunächst in Kiel ein Jurastudium. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldet er sich freiwillig zum Kriegsdienst, gerät aber schon bald in russische Gefangenschaft. Den Rest des Krieges bleibt er interniert. Ob Freisler zu jener Zeit wirklich Gefallen an Marx, Lenin und dem Bolschewismus gefunden hat, weiß man nicht. Das Stigma wird ihm aber nachhängen. Als die Gefangenenlager nach Kriegsende aufgelöst werden, bleibt er noch zwei Jahre in der Sowjetunion. Wieder nach Deutschland zurückgekehrt schließt er sein Studium in Jena ab, wird mit "Summa cum laude" promoviert und gründet zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Oswald 1924 eine Anwaltskanzlei. Ein Jahr später wechselt das Chamäleon die Farbe. Auf die rote folgt die braune Karriere: Freisler tritt unter der Mitgliedsnummer 9679 der NSDAP bei. Er verteidigt straffällig gewordene Parteigenossen ebenso wie SA-Schergen. Er gilt sogar als "angenehmer Verteidiger". Ein Charakterzug, den man kaum glauben mag. Als Präsident des Volksgerichtshofs wird er sich später ausgiebig einer Gossensprache bedienen und nicht zögern, Angeklagte als "Ratte", "Jämmerling" oder "widerwärtige Kreatur" zu bezeichnen. Im März 1928 führt Freisler die achtzehnjährige Marion Russegger zum Traualtar. Das Paar bekommt zwei Söhne.

Vorkämpfer der NS-Rechtslehre

Roland Freisler beginnt sich politisch zu engagieren, zunächst im Stadtrat, ab 1932 als Abgeordneter im Preußischen Landtag. Auch seine juristische Karriere nimmt Fahrt auf: 1934 wird er als Staatssekretär ins Reichsjustizministerium beordert. Dort ist er jetzt zuständig für das Strafrecht, das Erbhofrecht, die Organisation des Justizwesens – und den Volksgerichtshof. Der wurde gerade auf Initiative von Adolf Hitler neu geschaffen, als Gegengewicht zum Reichsgericht. Dem wollte Hitler nicht weiter die politischen Straftaten überlassen. Im Prozess um den Reichstagsbrand hatte das Reichsgericht zwar den mutmaßlichen Täter Marinus van der Lubbe zum Tode verurteilt. Weitere Angeklagte, die der Kommunistischen Partei angehörten, hatte man jedoch freigesprochen. Als Sondergericht sollte der zunächst aus drei Senaten bestehende Volksgerichtshof nun Hoch- und Landesverräter regimetreu aburteilen – als erste und letzte Instanz und ohne Möglichkeit auf Rechtsmittel. Freisler verschreibt sich ganz der NS-Rechtslehre und Rechtspolitik. Unaufhörlich ereifert er sich für die nationalsozialistische Rechtsordnung, hält Vorträge und publiziert. Die Rasse ist für ihn "Träger und Ziel der deutschen Volksrechte". Und Richter seien die autorisierten Sprecher des nationalsozialistischen Volksgewissens. Im Januar 1942 ist er Teilnehmer an der Wannseekonferenz zur Endlösung der Judenfrage. Er gehört zum inneren Zirkel.

Richter und politischer Soldat

Als der bisherige Präsident des Volksgerichtshofs Otto Georg Thierack im August 1942 neuer Reichsjustizminister wird, ernennt Hitler Roland Freisler zu dessen Nachfolger. Für den Juristen mit politischen Ambitionen soll es eine Enttäuschung gewesen sein. Er soll sich selbst Hoffnungen auf das Ministeramt gemacht haben. Doch so gut war Hitler auf Freisler, der "ja in seiner ganzen Art ein Bolschewik" sei, nicht zu sprechen.  Vielleicht schwang auch noch nach, dass Hitler dessen Bruder Oswald schon vor einigen Jahren kurzerhand aus der Partei geworfen hatte. Im so genannten Berliner Katholikenprozess 1937 gegen den Widerstandskämpfer Joseph Cornelius Rossaint hatte Oswald Freisler als Verteidiger den Freispruch für einige Mitangeklagte erreicht. Als zwei Jahre später gegen ihn Ermittlungen laufen, begeht er unter nie ganz geklärten Umständen Selbstmord. Roland Freisler ist um die Gunst Hitlers bemüht. Nach der Ernennung bedankt er sich beim Führer: "Der Volksgerichtshof wird sich stets bemühen, so zu urteilen, wie er glaubt, dass Sie mein Führer, den Fall selbst beurteilen würden". Er unterzeichnet mit "in Treue Ihr politischer Soldat Roland Freisler". Und der politische Soldat kämpft. Sein Kriegsschauplatz ist dabei nicht nur der Gerichtssaal. Freisler wettert vor allem gegen Defätismus. Wer wagt es, den Krieg verloren zu geben? Einen feindlichen Radiosender zu hören, den Führer zu kritisieren, eine abfällige Bemerkung zu machen oder bloß eine bestimmte mentale Haltung an den Tag zu legen, macht Tausende zu politischen Feinden. Schon ein Witz kann zum Verbrechen werden.

2/2: "Sie aber werden uns nicht entwischen"

Die Verfahren unter Freislers Vorsitz geraten zu Schauprozessen. Er herrscht über den inzwischen auf sechs Senate angewachsenen Gerichtshof, der in einem alten Schulgebäude am Potsdamer Platz untergebracht ist, in der Bellevuestrasse 15, Berlin-Tiergarten, wo heute das Sony Center steht. Abgeurteilt wird aber an wechselnden Schauplätzen im Reich. Während Freislers Amtszeit wächst die Zahl der Todesurteile von 102 im Jahr 1941 auf 1.192 Urteile bereits ein Jahr später. Freisler ist nicht nur Richter, sondern zugleich erster Ankläger. Den übrigen Beteiligten kommt kaum mehr als eine Statistenrolle zu. Das Strafmaß steht ohnehin meist schon vorab fest. Ein Strafgesetzbuch wird nicht gebraucht und ist – als es einmal darauf ankommt – nicht einmal aufzutreiben. Der Vollzug eines Todesurteils erfolgt oft wenige Stunden nach der Urteilsverkündung. So wie im Februar 1943 beim Prozess gegen die Mitglieder der "Weiße Rose". Die Studenten Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst werden noch am gleichen Tag hingerichtet. Ein anderer Prozess findet im Herbst 1943 statt. Angeklagt ist Elfriede Scholz, die Schwester des Schriftstellers Erich Maria Remarque. Dessen Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" war bereits 1933 den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen zum Opfer gefallen. Als Freisler sie wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt, soll er bemerkt haben: "Ihr Bruder ist uns leider entwischt - Sie aber werden uns nicht entwischen."

Den Nazis zu extrem: Freislers propagandistisches Fiasko

Im Sommer 1944, dem D-Day, landen die Alliierten in der Normandie. Die militärische Niederlage beginnt sich abzuzeichnen. Einige Wochen später dann, am 20. Juli 1944, überlebt Adolf Hitler leicht verletzt das Attentat im Führerhauptquartier "Wolfsschanze". Zwölf andere trifft es schwerer, vier werden durch den Bombenanschlag getötet. Mit einigen Offizieren rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der die Bombe platziert hatte, macht man kurzen Prozess. Sie werden noch in der Nacht im Bendlerblock, dem Zentrum der Widerstandsgruppe, standrechtlich erschossen. Andere erwartet der Prozess vor dem Volksgerichtshof. Hitler gibt die Marschrichtung vor: Das werde "Freisler schon machen", soll er gesagt haben. Und tatsächlich zeigt der Präsident des Volksgerichtshofs sich einmal mehr als williger Helfer. Viele Angeklagte werden im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee gehenkt. Sein Führer hatte es so befohlen. Der vorherige Schauprozess gerät allerdings zu einem propagandistischen Fiasko. Der Senat tagt im Kammergericht Berlin. Überlieferte Filmaufnahmen zeigen einen Vorsitzenden, der poltert, sich in Rage schreit, den Angeklagten über den Mund fährt, sie verhöhnt und beschimpft als "Lump", "Jämmerling" oder "Früchtchen". Generalfeldmarschall Erwin* von Witzleben hatte man den Gürtel genommen. Als der seine Hose festhalten muss, fragt ihn Freisler: "Sie schmutziger alter Mann, was fummeln Sie dauernd an Ihrer Hose herum." Eigentlich für die Wochenschau gedacht, wird das Filmmaterial jedoch nicht gezeigt, sondern als "Geheime Reichssache" deklariert. Man ist besorgt, die Aufnahmen könnten Mitleid mit den Angeklagten aufkommen lassen. Selbst Freislers Vorgänger, Reichsjustizminister Thierack, geht die Prozessführung des Vorsitzenden augenscheinlich zu weit. In einem Schreiben an Reichsleiter Martin Bormann, den Sekretär des Führers im Führerhauptquartier, merkt er an, es beschädige "die Würde des Gerichts", von Angeklagten als "Würstchen" zu sprechen. Dem Präsidenten fehle es völlig "an eiskalter überlegener Zurückhaltung, die in solchem Prozess allein geboten ist". Rund 200 weitere Personen, unter ihnen Generäle und Oberste, werden später als mutmaßliche Mitattentäter oder Mitwisser nach weiteren Prozessen hingerichtet. Ein Grund lässt sich immer finden. So wie bei den Mitgliedern des Kreisauer Kreises rund um Helmuth James Graf von Moltke Ihm selbst kann zwar keine Beteiligung am Attentat vom 20. Juli nachgewiesen werden. Dafür verlegt sich das Gericht kurzerhand auf einen anderen Vorwurf: die geistige und religiöse Haltung des Angeklagten.

Der lange Schatten der Geschichte

Als die Alliierten am 3. Februar 1945 einen Bombenangriff über Berlin fliegen, ist am gleichen Tag im Völkischen Beobachter, dem publizistischen Parteiorgan der NSDAP, zu lesen, der Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Roland Freisler sei ums Leben gekommen. Unter welchen Umständen genau, dazu gibt es bis heute verschiedene Versionen. Als der Bundestag zu Beginn des Jahres 1985 den Volksgerichtshof ächtet, zeigt sich noch nicht, wie weit der Schatten der Geschichte reicht. Ein bayerischer Landtagsabgeordneter bringt kurz darauf ans Licht, dass Freislers Witwe, die zwischenzeitlich wieder ihren Mädchennamen angenommen hat und in München wohnt, seit 1974 vom zuständigen Versorgungsamt als Schadensausgleich eine Rente bezieht. Die Begründung der Behörde: Man müsse unterstellen, dass Freisler nach dem Krieg "als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre". Eine Nachkriegskarriere für Hitlers Mörder in Robe? Viele pflichten dem bei. Schließlich ist kein Richter von der Nachkriegsjustiz wirklich belangt worden. Die entsprechenden Weichen dazu hatte der Bundesgerichtshof schon in den 1950-er Jahren gestellt. Man habe sich ja im Rahmen der seinerzeit geltenden Rechtsordnung gehalten. Und Roland Freisler als der überzeugteste aller NS-Richter erst recht. Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz in Halberstadt.
Folgen Sie dem Autor auf Twitter unter @niedostadek * Anm. d. Red.: Fälschlich stand hier zunächst "Erich". Richtigerweise hieß der Offizier Erwin von Witzleben.

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